Wahlschlappe der Grünen offenbart Führungsdefizit: Die Grünen brauchen einen Neustart

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Eines kann man den Grünen-Politikern Eveline Lemke und Daniel Köbler nie mehr nehmen. Sie waren einst Helden. Vor fünf Jahren. Damals holte das Spitzenduo sensationelle 15,4 Prozent und zog in den Landtag ein. Die Grünen sahen sich bundesweit auf dem Weg zu einer Volkspartei. Natürlich wusste man, dass die Reaktorkatastrophe von Fukushima der Ökopartei ein Rekordergebnis beschert hatte. Aber mit 18 Abgeordneten, drei Ministerinnen und genug Geld in der Kasse konnte die Aufbauarbeit beginnen. Die Grünen wollten sich ein Fundament bauen, um sich in Rheinland-Pfalz auf Dauer als drittstärkste Kraft zu etablieren.

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Nun sind sie aufgewacht in Ruinen. Wie bescheiden es um die Grünen steht, zeigt, dass sie um 5,3 Prozent froh sein müssen. Sie haben nach der verlorenen Wahl nur noch ein Drittel ihrer Abgeordneten. Doch nicht alles, was zu diesem Fiasko führte, geht auf ihre Kappe. Rot-Grün lag irgendwann in weiter Ferne, und viele Anhänger der Ökopartei wollten unbedingt CDU-Chefin Julia Klöckner als Ministerpräsidentin verhindern. Also wählten sie die SPD. Malu Dreyer flogen massenhaft grüne Herzen und Stimmen zu.

Aber jenseits des Malu-Effekts müssen die Grünen sich die jüngste Pleite selbst zuschreiben. Ihre Führungsstrukturen waren ineffizient. Die interne Kommunikation ging häufig schief. Man muss nur an das Desaster um die vermeintliche Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik denken. Die Grünen haben viele Häuptlinge, aber kaum jemanden mit Autorität und Integrationskraft. Nun ist die gesamte Führungsriege beschädigt.

Besonders viel einstecken muss Daniel Köbler, der bisherige Fraktionschef. Er ist ein Schnelldenker und Schnellmerker, aber jemand, der in seinem Kommunikationsverhalten zu einem gewissen Autismus neigt. Lange bügelte er Kritik barsch als Majestätsbeleidigung ab. Inzwischen hat er Fehler erkannt. Und natürlich ist es ungerecht, allein ihn zum Sündenbock zu stempeln. Als Fraktionschef saß er häufig zwischen allen Stühlen.

Wirtschaftsministerin Eveline Lemke kämpft um ihre Karriere. Sie will Ministerin bleiben. Sollte das Wirtschaftsressort weg sein, dann eben Umwelt- und Energieministerin. Aber Lemke hat mehr Kredit verspielt, als sie vielleicht wahrhaben möchte. Sozialdemokratisch geprägt, musste sie erst lernen, wie Grüne Macht organisieren. Ein wenig wird sie damit noch immer fremdeln. Durchregieren kann nur, wer unangefochten ist. Das war Lemke nie. Sie amtierte zwar als Vize-Ministerpräsidentin, aber mehr Respekt hat sich Umweltministerin Ulrike Höfken erworben. Sie führte ihr Ressort professionell und setzte mit viel Geschick den Nationalpark durch. Sollte Lemke sie beerben wollen, dürfte sie auf Granit beißen.

Nahezu chancenlos, Ministerin zu bleiben, ist indes wohl Irene Alt. An der Basis ist sie zwar äußerst beliebt, aber sie hat sich zu viele handwerkliche Blößen gegeben. Der Flüchtlingszustrom offenbarte, dass Alt als Krisenmanagerin überfordert war.

Grundsätzlich gilt: Die Grünen haben ihre imposante Arbeitsbilanz viel zu lange viel zu schlecht verkauft. Doch vor allem plagt sie ein Führungsproblem. Daniel Köbler ist ein großes Talent, dem es möglicherweise noch an Reife fehlt. Eveline Lemke, das Gesicht der Partei, verpasste es, zur zentralen Führungsfigur zu werden. Landeschefin Katharina Binz hat Potenzial, ist aber zu jung und zu akademisch, um starke Autorität zu verkörpern. Der umgängliche, pragmatische Landeschef Thomas Petry wirkt auf manche blasser als eine weiße Wand.

Gesucht ist nun so etwas wie ein rheinland-pfälzischer Winfried Kretschmann: Ein kantiger, bodenständiger Politiker mit Gespür für Stimmungen und Strömungen. Einer, der den Laden zusammenhält. Vielleicht sollten die Grünen die Trennung von Amt und Mandat überdenken, obwohl sie jungen Talenten den Weg ebnet.

Der Mainzer Bürgermeister Günter Beck wäre eventuell jemand, der größere Strahlkraft entwickeln könnte. Er kann Klartext. Aber er hat über Mainz hinaus nie Ambitionen gezeigt. Vielleicht könnte man sich auch Fred Konrad vorstellen, der das Landtagsmandat knapp verpasst hat. Der Kinderarzt müsste nur bereit sein, sich stärker in die Parteiarbeit reinzuhängen. Zu den leiseren, integrativen Kräften gehört die Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner. Ideal wäre eine Führungsfigur, die das Herz von Irene Alt, den kühlen Kopf von Ulrike Höfken und die rhetorische Gabe von Daniel Köbler hätte. Aber Politik ist die Kunst des Machbaren. Für ein Regierungsamt ist übrigens auch der Koblenzer Nils Wiechmann im Gespräch, der aus dem Landtag ausscheidet.

Beim kleinen Parteitag am Samstag, dem bezeichnenderweise eine interne Aussprache vorangeht, dürften kritische Worte fallen. Das war auch in der gestrigen Fraktionssitzung so, bei der die befürchtete Abrechnung allerdings ausblieb.

Intern wird bereits sachte darüber nachgedacht, wie die Zukunft von Lemke (als zweite Ministerin?) oder Köbler (als Staatssekretär?) aussehen könnte. Nur können die Grünen ihr Führungspersonal nicht zu sehr schwächen. Demnächst soll es selbstbewusst mit SPD und FDP über eine rote Ampel verhandeln. Was wer wird, muss also vertagt werden. Doch ohne einen Neustart dürften die Grünen kaum wieder erstarken. Ein läppisches „Weiter so“ war noch nie ihre Botschaft.