Ratlosigkeit und Entsetzen nach Nein zu Olympia

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Dolchstoß, Schmach, Sargnagel: Das Hamburger Bewerbungsdesaster lässt den deutschen Sport ratlos zurück und macht alle Hoffnungen auf Olympia im eigenen Land für lange Zeit zunichte. „Dieses Signal sollte der gesamte Sport in Deutschland sehr ernst nehmen“, sagte DFB-Interimspräsident Reinhard Rauball, der sich mit seinem Verband um die Ausrichtung der EM 2024 bewirbt.

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Wenige Wochen nach dem kontinentalen Fußball-Turnier hätten die Spitzen von Sport und Politik auch gern Olympia-Fans aus aller Welt in Deutschland begrüßt. Doch daraus wird nichts – wohl für Jahrzehnte, wie Sportfunktionäre allesamt glauben. Welche Folgen das mehrheitliche Nein der Hamburger zu Olympischen Sommerspielen 2024 beispielsweise für den deutschen Leistungssport hat, ist noch nicht abzusehen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm das Votum „mit Bedauern zur Kenntnis“, wie die Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz sagte. „Aber natürlich ist es so, dass dieses Ergebnis zu respektieren ist.“ Die Kanzlerin erkennt selbstverständlich den Volkswillen an. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, Ressortchef Thomas de Maizière (CDU) respektiere das Nein: „Sicherlich werden künftige Bewerbungen – jedenfalls in naher Zukunft – durch ein solches Votum wohl nicht einfacher.“

Die Spitzenfunktionäre des deutschen Sports suchten am Tag nach dem Desaster händeringend nach Erklärungen, die Entscheidung hatte sie kalt erwischt. Man müsse analysieren, was die Gründe waren, „und dann müssen wir auch die Konsequenzen daraus ziehen und müssen den Sport für alle – aber auch den Spitzensport – weiter fördern“, sagte Michael Vesper, Vorstand im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB).

51,6 Prozent der 651 589 Hamburger, die sich am Referendum beteiligten, waren gegen Olympia. Nur 48,4 Prozent votierten nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis dafür. Von einem „Sargnagel für den Leistungssport“, sprach die dreimalige Schwimm-Paralympics-Siegerin Kirsten Bruhn. Auf der Mitgliederversammlung des DOSB am Samstag in Hannover sollen nun die Folgen diskutiert werden, kündigte Verbandspräsident Alfons Hörmann an. Ob es dann auch Personaldebatten geben wird, ist noch nicht abzusehen. Olympia sollte den deutschen Spitzensport beflügeln. Diese Chance für die kommende Generation sei vergeben, sagte Hörmann. Einen Plan B gibt es nicht. „Wir waren auf dieses Szenario bis zum heutigen Tag nicht vorbereitet.“ Erst die Pleite in München mit der Ablehnung von Winterspielen 2022, zwei Jahre später nun der Ringe-Reinfall mit Hamburg. Olympische Spiele in Deutschland werden „für eine Generation lang kein Thema mehr sein“, sagte der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Clemens Prokop.

Beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) in Lausanne rief das Hamburger Nein kein Erstaunen hervor. „Wenn man die Diskussionen in Deutschland zuletzt verfolgt hat, kommt dieses Ergebnis nicht ganz überraschend“, teilte ein IOC-Sprecher mit.

Die Sportausschussvorsitzende des Bundestags, Dagmar Freitag, nannte als Gründe für das Scheitern die „schwierige Situation für den Sport“. Affären und Skandale wie bei der Fifa, dem DFB oder in der russischen Leichtathletik haben demnach „ein sehr schwieriges Licht auf den Sport“ geworfen. Für Freitag ist eine neue Bewerbung für viele Jahre nicht möglich. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir es noch mal versuchen, sondern halte es für geboten, eine Denkpause zu verordnen“, sagte die SPD-Politikerin. In jedem Fall blickt der deutsche Spitzensport schweren Zeiten entgegen.

Die Frage ist, ob der Bund nach dem Nein zum Olympia-Projekt 2024, das Impuls und Katalysator für ein umfassendes Fitnessprogramm für den deutschen Sport sein sollte, noch zur entsprechenden Förderung bereit ist. Schließlich hatte de Maizière bereits im Sommer klargemacht, dass er „mindestens ein Drittel mehr Medaillen“ bei Olympischen Spielen erwartet – ohne Aufstockung der staatlichen Unterstützung.

Auch in den Ländern der vier verbliebenen Bewerber Paris, Rom, Budapest und Los Angeles fand das Hamburger Votum Widerhall. In Italien kommentierte „La Stampa“: „Rom verliert eine Rivalin für die Spiele 2024. Und es gibt da nichts zu feiern.“ Der Gastgeber von Olympia in neun Jahren wird auf der Vollversammlung des IOC im Sommer 2017 in Lima gewählt.