Interview mit Außenminister Steinmeier: Dialog für den Frieden

Foto: Jens Weber

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) setzt bei der Münchner Sicherheitskonferenz auf die Einsicht, „dass fünf Jahre weiterer Bürgerkrieg in Syrien keine Option ist“. Vertreten sind hier auch Repräsentanten der USA, von Russland, Saudi-Arabien, dem Iran und der Türkei, die eine Schlüsselrolle bei der Lösung des Konflikts einnehmen. Hier das Interview im Wortlaut:

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In welchen Staaten sind Sie in dieser Krisenzeit in den vergangenen vier Wochen gewesen?

Frank-Walter Steinmeier zu Besuch bei der Rhein-Zeitung

Jens Weber

Die Schüler und ihr Interviewpartner, Frank-Walter steinmeier.

Jens Weber

Frank-Walter Steinmeier zu Besuch bei der Rhein-Zeitung

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Frank-Walter Steinmeier zu Besuch bei der Rhein-Zeitung

Jens Weber

Frank-Walter Steinmeier zu Besuch bei der Rhein-Zeitung

Jens Weber

Machtkampf in Rheinland-PfalzVor der wichtigen Landtagswahl in Rheinland-Pfalz am 13. März steht mit der Flüchtlingsfrage auch die Bundespolitik stark im Fokus. Deshalb führen wir auch Interviews mit Bundespolitikern, heute mit dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner.

Ezio Gutzemberg

Das Jahr hat leider in der Tat alles andere als friedlich begonnen. Und wir haben in Deutschland lernen müssen, dass es keine wirklich entfernten Konflikte gibt, auch nicht die im Mittleren Osten und in Syrien. Deshalb war ich zuletzt auch im Iran und in Saudi-Arabien, davor in der Türkei – drei Staaten, die für das, was im Nahen und Mittleren Osten geschieht, eine entscheidende Rolle spielen und die wir brauchen, um nach fünf Jahren Bürgerkrieg eine friedliche Zukunft für Syrien zu schaffen, in der nicht mehr täglich Menschen sterben.

Wie sieht die Welt Deutschland? Es gibt Kreise, die behaupten, wir werden nicht mehr verstanden.

Das ist oft die Ausflucht derjenigen, die keine ernsthaften Debatten über die Ursachen von Fluchtbewegungen führen wollen. Wir Deutsche sollten uns nicht beklagen, wenn wir in den Augen vieler Menschen in der Welt als Hoffnungsanker gesehen werden, auch als ein Hort von Demokratie und Humanität. Das war vor 70 Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht absehbar und ist keine Selbstverständlichkeit. Selbstverständlich ist aber auch, dass wir nicht jedes Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen können. 2016 muss die Zahl deutlich sinken. Dafür müssen wir alles tun, was auf nationaler und internationaler Ebene möglich ist, ohne dabei unsere europäischen Werte aufzugeben. Aber wir müssen auch wissen: Wir werden immer nur Symptome kurieren, wenn wir nicht die Ursachen von Flucht bekämpfen. Das sind zurzeit vor allem Krieg und Gewalt im Mittleren Osten.

Ist Deutschland mit seinen faktisch offenen Grenzen also keine Belastung für die EU?

Kein Land in Europa profitiert so stark von offenen Grenzen wie wir. Wir leben vom Export der hier produzierten Güter und Waren. Diejenigen, die eine Grenzschließung für einen Ausweg halten, würden danach in Katzenjammer verfallen. Denn eine Grenzschließung wäre mit einem Niedergang der Wirtschaft und dem Verlust von Arbeitsplätzen verbunden. Deshalb ist die Lösung leider komplizierter. Es gibt nicht den einen Schalter, den man umlegen könnte – und dann wäre die Diskussion um Migration morgen vorbei. Diesen Schalter gibt es nicht, nicht in Deutschland, nicht in Bayern und auch nicht in Wildbad Kreuth. Wir müssen den Menschen klar sagen: Wir brauchen ein ganzes Bündel von Entscheidungen auf nationaler und europäischer Ebene. Dabei sind wir auch darauf angewiesen, dass wichtige Durchgangsländer wie die Türkei mitspielen und sich an die Verpflichtungen halten, die sie mit den Europäern eingegangen sind.

Ihre Reisediplomatie kann den Eindruck vermitteln, Sie würden auch mit dem Teufel reden, um den Syrien-Krieg beenden zu können. Gehen Sie mit etwas Zuversicht in die Gespräche bei der Münchner Sicherheitskonferenz?

Man bekommt ja von außen oft den Rat, mit dem einen oder anderen schwierigen Partner nicht zu reden. Es wäre sicherlich bequemer, Kontakte nur zu denjenigen zu unterhalten, die unsere Werte teilen. Hätten wir aber mit einem schwierigen Partner wie dem Iran, wo es auch Hinrichtungen und die Todesstrafe gibt, nicht zwölf Jahre lang geredet, dann hätte der Iran heute wahrscheinlich schon die Atombombe. In der Außenpolitik muss man gerade mit den Staaten reden, die schwierig sind und mit denen Konflikte bestehen. Das heißt nicht, dass wir unsere Differenzen unter den Tisch kehren. Aber gerade für die Lösung des Syrien-Konflikts brauchen wir auch diese Staaten. Für Optimismus besteht kein Anlass, aber: Immerhin haben wir in München die wichtigsten Partner an einem Tisch und hoffentlich bei allen die Einsicht, dass fünf Jahre weiterer Bürgerkrieg keine Option ist. Wir haben eine politische Verantwortung und sind in der moralischen Pflicht, das Leiden nach 300 000 Toten endlich zu beenden.

Gehört der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zu den schwierigen Partnern?

Die Lage in der Türkei ist in der Tat schwierig. Wir nutzen unsere Gespräche, auch um dazu aufzurufen, den Pfad des Dialogs mit den Kurden im eigenen Land wieder aufzunehmen. Zuletzt haben wir das bei den deutsch-türkischen Regierungskonsultationen in Berlin getan. Aber wir brauchen die Türkei für eine Lösung des Konfliktes in Syrien und in der Migrationsfrage, wo das Land eine Schlüsselrolle spielt.

Wie widersprüchlich ist die Forderung an die Türkei, die Grenzen für die Flüchtlinge aus Aleppo zu öffnen und die gegenüber der EU aber zu schließen?

Das ist kein Widerspruch. Wir arbeiten daran, dass die Türkei ihre Aufenthaltsmöglichkeiten für syrische Flüchtlinge verbessert und umgekehrt die EU bereit ist, Kontingente aufzunehmen.

Welches Drohpotenzial hat die Türkei damit?

Die Türkei hat ein eigenes Interesse daran, das Verhältnis zu Europa zu verbessern. Das zeigt doch der türkische Wunsch, über weitere Kapitel im Beitragsverfahren zu verhandeln. Das Rechtsstaatskapitel gehört dazu. Deshalb bin ich überzeugt, dass die Türkei ein Interesse hat, dass die Migrationsströme nicht dauerhaft das einzige Gesprächsthema mit der EU bleiben.

Laut wird gefordert, die EU-Außengrenzen stärker zu sichern. Im Fokus steht Griechenland mit 3074 Inseln. Ist dies zu schaffen?

Wir führen doch zum Teil Phantomdiskussionen, die zu nichts führen. Wir müssen endlich in den Außenschutz investieren. Natürlich wird man nicht einen Ring um jede Insel legen können. Aber es bestehen Möglichkeiten, den Außengrenzschutz in der Ägäis zwischen Griechenland und der Türkei mit der Grenzschutzagentur Frontex zu verbessern. Deutschland wird sich daran beteiligen – mit Personal, Finanzen und eigenen Schiffen. Das Beschimpfen Griechenlands führt jedenfalls nicht weiter. Das Ziel darf nicht die Abschottung zulasten von Nachbarn sein. Was wir brauchen, ist die Rückkehr zu geordneten Verhältnissen an den Grenzen und eine funktionierende Registrierung der Flüchtlinge.

Wie soll der Schutz gelingen, wenn Tausende Menschen in Seenot geraten?

Natürlich müssen wir Menschenleben retten. Aber damit sich die Menschen gar nicht erst auf den gefährlichen Weg machen, muss die Türkei auch effektiver Schlepper- und Schleuserwesen bekämpfen.

Zur ernsten Lage in Berlin: Die CSU droht mit Verfassungsklage, CSU-Chef Horst Seehofer sieht in Deutschland eine Herrschaft des Unrechts. Was ist los im Staate Deutschland?

Das ist doch keine Angelegenheit des Staates Deutschland, sondern ein Schauspiel innerhalb der CDU/CSU. Ich mag mir gar nicht vorstellen, welche Debatte wir hätten, wenn diese Äußerungen vom Koalitionspartner SPD gekommen wären. Meine Haltung ist: Die Menschen erwarten, dass wir unsere Arbeit machen, um das Land auf Kurs zu halten, und Entscheidungen treffen, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren. Daran arbeiten wir mit großer Ernsthaftigkeit und lassen uns von Querelen in der Union nicht allzu sehr beeindrucken.

Wer profitiert vom Zündeln der CSU?

Jene, die außerhalb der etablierten Parteien stehen, also AfD und andere von rechtsaußen. Die Äußerungen aus Bayern suggerieren, es gäbe einfache Lösungen. Berlin müsse diese nur umsetzen. Die Wahrheit ist nur: Wir werden nicht über Nacht eine veränderte Lage hinkriegen. Wir haben auf nationaler und internationaler Ebene weiter viele Anstrengungen zu unternehmen. Dazu gehören Verhandlungen mit der Türkei ebenso wie Gespräche über Rücknahmeabkommen mit Tunesien, Marokko und Algerien und vieles mehr. Es ist ein großes Bündel von Arbeit. Gleichzeitig müssen wir daran arbeiten, Fluchtursachen zu beseitigen.

Mutieren die drei Landtagswahlen zur Abstimmung über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung?

Das wird ein Thema sein, aber die Menschen sorgen sich auch über die Zukunft der Arbeitsplätze und fragen sich, wie wir die Wachstumsschwächen in Europa überwinden können.

Wie nehmen Sie Malu Dreyer wahr?

Ich finde Malu Dreyer großartig, als Person wie als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Ich weiß, wie sehr sie im Land geschätzt wird. Ich bin gern an ihrer Seite, um Menschen davon zu überzeugen, am 13. März zur Wahl zu gehen und ihr Kreuz bei denjenigen zu machen, die dieses Land über viele Jahre auf gutem Kurs gehalten haben.

Wie wirkt Herausforderin Julia Klöckner auf Sie?

Ich verstehe, dass man sich als Kandidatin bekannt machen muss. Sie ist ohne Zweifel sehr präsent, aber das Schicksal ihres Vorschlags A 2 in der Flüchtlingsfrage zeigt eben auch: Präsenz schafft noch keine Überzeugung.

Das Interview führten Chefredakteur Christian Lindner und Chefreporterin Ursula Samary