Anhausen

Als Nachbar war der Todesschütze „wunderbar“

Zwei Jacken der "Hells Angels" hängen gleich hinter der Haustür, durch die der 43-jäh­rige Anhau­sener am Mitt­woch­mor­gen eine
Zwei Jacken der "Hells Angels" hängen gleich hinter der Haustür, durch die der 43-jäh­rige Anhau­sener am Mitt­woch­mor­gen einen Poli­zei­beam­ten ohne Vor­war­nung erschoss. Foto: Foto: Kevin Rühle

Das blutige Ende eines Polizeieinsatzes hat den Westerwaldort Anhausen erschüttert. Die Menschen können es kaum fassen, denn der Täter galt als freundlich. Auch wenn man wusste, dass er zu den „Hells Angels“ gehörte.

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Anhausen – Das blutige Ende eines Polizeieinsatzes hat den Westerwaldort Anhausen erschüttert. Die Menschen können es kaum fassen, denn der Täter galt als freundlich. Auch wenn man wusste, dass er zu den „Hells Angels“ gehörte.

Höflich, nett, immer freundlich grüßend – so beschreiben ihn die Nachbarn. Gestern erschoss Karl-Heinz B. (43) einen 42-jährigen Polizisten durch die geschlossene Tür. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat Anklage wegen Mordes erhoben. Karl-Heinz B. ist Mitglied der berüchtigten Motorradgang „Hells Angels“ und sollte wegen seiner Verwicklungen ins Rotlichtmilieu festgenommen werden.

Beschauliche Wohngegend

Seit rund vier Jahren lebt der bislang nicht vorbestrafte Mann mit seiner 28-jährigen Freundin in dem beschaulichen Neubaugebiet am Ortsrand von Anhausen (Kreis Neuwied). Gutbürgerliche Einfamilienhäuser stehen hier, die ländliche Gegend macht einen friedlichen Eindruck.

Dieser Umgebung hatte sich B., der aus dem nahen Horhausen (Kreis Altenkirchen) stammt, scheinbar hervorragend angepasst. Ortsbürgermeisterin Heidelore Momm – sie wohnt Tür an Tür mit ihm – erzählt im Gespräch mit unserer Zeitung, dass er „als Nachbar eigentlich wunderbar“ war. Nein, eine engere Freundschaft habe sie und den groß gewachsenen Mann mit Zopf zwar nicht verbunden. „Ganz gut gekannt“ habe man sich aber doch, berichtet sie.

So habe B. erst vor wenigen Wochen bei der Beerdigung ihres Gatten den Sarg mitgetragen. „Ansonsten war er recht unauffällig. Ich kann nichts Schlechtes erzählen“, sagt sie kopfschüttelnd im Gespräch mit unserer Zeitung und ist sichtlich entsetzt. „Dass hier ein unschuldiger junger Mann sein Leben lassen musste ...“

Wie Momm sprechen die anderen Nachbarn positiv über B.s Auftreten in Anhausen. Ja, man habe wohl gehört, dass er Mitglied bei den „Hells Angels“ sei. Ja, auch über Kontakte ins Rotlichtmilieu sei im Dorf durchaus gemunkelt worden. Aber das? Die Anwohner sind fassungslos. „Und dann noch ein Polizist, der uns beschützt“, ist ein Mann erschüttert.

Angst vor B. hatten die Nachbarn nicht. „Wir haben uns hier nie unsicher gefühlt. Im Gegenteil“, erzählt zum Beispiel eine junge Frau. „Wir haben immer gesagt: Wenn etwas ist, holen wir den Kalli.“

Denn dass er Waffen besaß, sei bekannt gewesen. Das weiß auch ein älterer Anwohner zu bestätigen, der zudem von einem Streit B.s mit der rivalisierenden Rockergang „Bandidos“ berichtet. Das schlussfolgert er jedenfalls aus zwei Einbrüchen in jüngster Zeit in dessen Haus. Dabei sollen die Täter zunächst sein Harley-Davidson-Motorrad gestohlen haben und später – erst Anfang Februar – eine Pistole und Schmuck. Ein Zusammenhang mit dem Bandenkrieg zwischen „Hells Angels“ und „Bandidos“ bestand nach bisherigen Erkenntnissen allerdings grundsätzlich nicht. Dagegen war Karl-Heinz B. laut Ortsbürgermeisterin Momm auch Mitglied des lokalen Motorradklubs „Macabros“. Diese Gruppe betreibt im Anhausener Gewerbegebiet ein Klubhaus, ist aber polizeilich – von kleineren Schlägereien abgesehen – noch nicht näher in Erscheinung getreten. Für einen Kommentar zur Tat ihres Mitglieds waren die Macabros zunächst nicht zu erreichen. Der Vereinsvorsitzende sagte lediglich am Telefon: „Ich kannte ihn vom Sehen.“

Richtig verstanden haben die meisten Anwohner die Geschehnisse vom Morgen wohl noch nicht. Und so ist es auch ruhig in der von der Polizei abgesperrten Straße. Gaffer haben sich nicht versammelt, die Menschen bleiben größtenteils in ihren Häusern.

Von dem Einsatz selbst haben sie zuvor ebenso wenig mitbekommen. Weder das anrückende Sondereinsatzkommando noch die beiden Schüsse durch die Holztür hatten die Menschen in den frühen Morgenstunden aus dem Schlaf gerissen. Erst später, als Karl-Heinz B. bereits von den Beamten, die ihn ohne Einsatz ihrer Schusswaffen überwältigt hatten, abgeführt worden war, bemerkten sie die zahlreichen Polizisten. Dass zur Festnahme des Mannes gleich ein Sondereinsatzkommando in Anhausen angerückt war, begründet die Koblenzer Staatsanwaltschaft damit, dass es Hinweise gegeben habe, B. besitze eine Schusswaffe.

Verstrickt ins Rotlichtmilieu

Hintergrund des polizeilichen Zugriffs waren Verstrickungen ins Rotlichtmilieu. So wird Karl-Heinz B. räuberische Erpressung vorgeworfen. Er soll Prostituierte unter Androhung von Repressalien von einem lukrativen Ort im vorderen Westerwald vertrieben haben. Dazu passen könnte die Beobachtung einer Nachbarin, die im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt, dass an der Hauptstraße Richtung Dierdorf lange zwei oder drei Wohnwagen gestanden haben. Diese seien dann vom einen auf den anderen Tag nicht mehr da gewesen. Andere Informationen deuten jedoch auf Örtlichkeiten außerhalb des Kreises Neuwied hin.

Ulf Steffenfauseweh