200. Verhandlungstag im NSU-Prozess: Das Schweigen der Zschäpe

Ein Demonstrant übermalt das Fahndungsfoto von Beate Zschäpe. Wann bekennt die Hauptangeklagte im NSU-Prozess endlich Farbe? 
Ein Demonstrant übermalt das Fahndungsfoto von Beate Zschäpe. Wann bekennt die Hauptangeklagte im NSU-Prozess endlich Farbe?  Foto: dpa

Stets das gleiche Bild: Beate Zschäpe sitzt da, starrt auf ihren Laptop – und schweigt. Auch nach nunmehr fast 200 Verhandlungstagen sagt die Hauptangeklagte im Münchner NSU-Prozess keinen Ton. In den fast zwei Jahren seit dem Prozessauftakt am 6. Mai 2013 hat sie zum Vorsitzenden Richter Manfred Götzl nur ein paar wenige Worte gesagt – etwa auf Fragen nach ihrer Gesundheit und ihrer Verhandlungsfähigkeit. „Schweigen ist die effektivste Waffe der Verteidigung“, sagt ihr Anwalt Wolfgang Heer. Zschäpes Schweigen ist einer der Hauptgründe, warum der Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht so lange dauert. Und ein Ende ist nicht absehbar: Mit einem Urteil in diesem Jahr rechnet kaum jemand mehr.

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

Von Christoph Trost und Christoph Lemmer

Weil Zschäpe schweigt, muss das Gericht in mühevoller Kleinstarbeit versuchen, ein Mosaik aus Tausenden Teilen zusammenzusetzen. Es muss ergründen, ob tatsächlich stimmt, was die Bundesanwaltschaft an Vorwürfen zusammengetragen hat: dass Zschäpe wusste, dass ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mordend durch die Republik zogen, bis zum Schluss unbehelligt und unentdeckt von den Behörden; und dass sie all dies nicht nur geduldet, sondern unterstützt hat. Dann könnte sie als Mittäterin genauso bestraft werden, als hätte sie die zehn Menschen selbst umgebracht, für deren Tod der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) verantwortlich gemacht wird: neun Geschäftsleute ausländischer Herkunft und eine deutsche Polizistin.

Zudem ist sie als Mittäterin an zwei Sprengstoffanschlägen angeklagt. Böhnhardt und Mundlos sind tot – sie brachten sich den Ermittlungen zufolge im November 2011 selbst um, um nach einem missglückten Banküberfall der Festnahme zu entgehen. Deshalb die Frage: Kann Zschäpe, die einzige Überlebende, am Ende tatsächlich als Mittäterin verurteilt werden – oder „nur“ wegen der Brandlegung im letzten NSU-Unterschlupf in der Zwickauer Frühlingsstraße? Darüber gehen die Meinungen der Prozessbeteiligten weit auseinander.

Man habe bereits vor dem Prozessbeginn keine Grundlage für die Maximalanklage gesehen, argumentiert Zschäpe-Anwalt Heer. „Und durch das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme fühlen wir uns darin bestätigt – weil viele aus Sicht des Generalbundesanwalts belastende Aspekte nicht bestehen beziehungsweise deutlich relativiert wurden.“ Viele Nebenklageanwälte argumentieren dagegen, man könne nach derzeitigem Stand zu gar keinem anderen Schluss kommen, als dass Zschäpe von allen Taten ihrer beiden Freunde wusste – und diese billigte. „Es spricht sehr, sehr viel dafür, dass die drei gleichberechtigte Mitglieder der Gruppe waren“, sagt Anwalt Sebastian Scharmer.

Ansonsten gibt es auch nach 200 Verhandlungstagen noch viele Fragezeichen. Etwa: Kann es sein, dass der NSU wirklich eine abgeschlossene Terrorzelle mit nur drei Mitgliedern war? Kann es sein, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt derart wenig Unterstützer und Helfer hatten? Angeklagt sind vier: der Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben, André E., Holger G. und Carsten S., denen entweder Beihilfe zum Mord oder die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Aber muss es nicht noch mehr Mitwisser gegeben haben? Viele Nebenklageanwälte sind sich da quasi sicher. Die Nebenkläger, die ihre Väter, Ehemänner, Söhne verloren haben, wollen vor allem eines: endlich die ganze Wahrheit erfahren. Die Witwe des Mordopfers Theodoros Boulgarides sagte sogar einmal: „Das ist mir wichtiger als ein hartes Urteil.“