10 Jahre Hartz IV: Radikalkur gegen die Arbeitslosigkeit

Hartz IV
Der Anteil der Dauerempfänger von Hartz-IV hat sowohl im Westen, als auch in den Ostländern zugenommen. Foto: Jens Büttner

Die einen warnten vor der „Abrissbirne für den Sozialstaat“. Für die anderen war es die größte Arbeitsmarktreform aller Zeiten. Als die Vorlage für die Hartz-Reformen vor zehn Jahren (16. August) im Französischen Dom zu Berlin das Licht der Welt erblickte, versank Deutschland gerade in der Elbe-Jahrhundertflut: Viele werteten dies als schlechtes Omen für das, was die „Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit“ in einem feierlichem Akt als Rezept für ein neues deutsches Jobwunder präsentierte.

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Die vollmundige Botschaft des damaligen Kommissionsvorsitzenden und VW-Managers Peter Hartz lautete: Wenn alle „Profis der Nation“ an einem Strang ziehen, lässt sich die Arbeitslosigkeit auf dem Weg zur Vollbeschäftigung innerhalb von drei Jahren halbieren. Um den Kanzlerberater und Namensgeber der Reformen ist es nach einer Korruptionsaffäre mit Bewährungshaftstrafe und hoher Geldbuße still geworden. Im Saarland engagiert er sich weiter für Arbeitslose.

Hartz pflügte – sicher ungewollt – die politische Landschaft in Deutschland um. Das Herzstück der Reformen, die Hartz IV genannte Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II, löste eine beispiellose Protestwelle aus. Die Gewerkschaften liefen Sturm, Hunderttausende gingen auf die Straße. Die Kritik hält bis heute an.

Hartz IV brachte der SPD Niederlagen und Mitgliederschwund

Sammelbecken der Gegner wurde die neu gegründete Partei Die Linke. Sie ist inzwischen als fünfte politische Kraft etabliert. Sie lehnt Hartz IV bis heute als „Armut per Gesetz“ ab. Die SPD verlor mit der Einführung von Hartz IV Anfang 2005 krachend die Bundestagswahl sowie Landtagswahl um Landtagswahl, dazu massenhaft Mitglieder. Nach Beanstandungen durch das Bundesverfassungsgericht mussten wichtige Gesetzesregelungen nachgebessert werden. An den Sozialgerichten löste Hartz IV eine Klageflut aus.

Für viele Kritiker war mit Einführung von Hartz IV der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in einen „Kampf gegen die Arbeitslosen“ umgeschlagen. Fast jede Arbeit, auch gering bezahlte, war plötzlich zumutbar. Nur in Ausnahmefällen erwiesen sich die Jobs als Brücke in eine reguläre Beschäftigung. Langzeitarbeitslose werden meist als Letzte eingestellt und stehen als Erste wieder auf der Straße.

Auf der anderen Seite ist festzuhalten: Bei Beschäftigung und Jugendarbeitslosigkeit steht Deutschland trotz Euro-Krise im internationalen Vergleich aktuell gut da. Hartz IV hat zweifelsohne dazu beigetragen und auch dafür gesorgt, dass der Trend der zuvor ständig wachsenden Sockelarbeitslosigkeit gebrochen wurde.

„Die Hartz-Gesetze haben eine Menge an Flexibilität gebracht – und sie sind die Grundlage für die momentan starke wirtschaftliche Stellung Deutschlands in Europa. Das ist gut“, lautet die Bilanz des CDU-Arbeitsmarktexperten Karl Schiewerling. Seine SPD-Kollegin Anette Kramme sagt: „Was wir erreicht haben, allerdings nicht von Anfang an, ist das systematische Fördern der Arbeitslosen. Besonders in der Sozialhilfe fand das nicht statt.“

Verbesserung vor allem für ehemalige Sozialhilfeempfänger

Als Peter Hartz seine „Radikalkur gegen Arbeitslosigkeit“ vorlegte, gab es 3,8 Millionen Arbeitslose. Zehn Jahre und einige Reformen später sind es knapp 2,9 Millionen. Dazwischen – Anfang Februar 2005 – kletterte die Erwerbslosenzahl kurzzeitig auf den Rekordstand von 5,2 Millionen. Es waren jene 350 000 Erwerbsfähigen dazugekommen, die bis dahin als Sozialhilfeempfänger nicht mitgezählt worden waren. Für sie brachte die Reform unstreitig Verbesserungen.

Derzeit umfasst die Gruppe der Langzeitarbeitslosen noch etwa 1,9 Millionen Menschen. Den Einstieg in den Umbau des Arbeitsmarktes markierten im Jahr 2003 die Reformen Hartz I und II: Sie brachten die Ich-AG für arbeitslose Existenzgründer, 400-Euro-Jobs, Vermittlungsgutscheine, Jobcenter und die Pflicht zur umgehenden Meldung zur Arbeitssuche bei Kündigung. Instrumente wie der Jobfloater und Bildungsgutscheine sind längst in Vergessenheit geraten. Die Ich-AG war 2002 „Unwort des Jahres“. Hartz III schuf dann die Basis für den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit (BA) zu einem modernen Dienstleister.

Günther Voss