Zweite Halbzeit der Großen Koalition: Welche Zukunft hat diese politische Ehe?

Der Zenit ist der Punkt des Himmels, der sich genau über dem Beobachter befindet – und wer im Zenit steht, hat das Höchste an Erfolg und Entfaltung in einem Gesamtablauf erreicht. Nach ihrer dritten Wahl zur Kanzlerin 2013 hieß es, Angela Merkel stehe im Zenit ihrer Macht. Zur Mitte der Legislaturperiode, im August 2015, werde ihr Stern sinken. CDU-Präsidiumsmitglieder rechneten mit einer Debatte über Merkels Nachfolge als Parteichefin – sie werde ihr Amt als Kanzlerin abgeben, schrieben Journalisten. Doch heute steht Merkel immer noch im Zenit.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Die SPD fragt sich, wie lange dieser Zustand wohl noch andauert. Den Scheitelpunkt hat die 61-Jährige jedenfalls allem Anschein nach noch nicht überschritten. Sie gilt weiter als mächtigste Frau der Welt, die Union liegt in Umfragen ungebrochen über 40, der Koalitionspartner SPD bei bleiernen 25 Prozent. Viele Sozialdemokraten sind frustriert – und ratlos, wie sie aus der Umfragestarre herauskommen sollen. Schließlich ackerten sie in den vergangenen Monaten eifrig, arbeiteten den Koalitionsvertrag ab und setzten ein Projekt nach dem anderen durch.

Zwei schwere Rückschläge

Die CDU dagegen stützte sich auf das, was sie nicht macht: Steuern erhöhen und neue Schulden machen. Die schwarze Null, ein Haushalt ohne Neuverschuldung und Steuererhöhungen, ist Programm. Die Schwesterpartei CSU kämpft weiter um ihre Prestigeprojekte aus dem Wahlkampf: Maut und Betreuungsgeld. Die Maut wurde von der EU-Kommission, das Betreuungsgeld vom Bundesverfassungsgericht ausgebremst. Zwei schwere Rückschläge. Fragt sich, was das mit dem Gemüt der CSU macht – und mit dem von Parteichef Horst Seehofer. Aus der SPD kommen Warnungen, die Christsozialen seien schwer in die Enge getrieben und dürften nun um sich beißen. Das könnte gefährlich werden für das Klima in der Koalition. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi meint, dass Merkel einiges zu tun haben wird, um die eigenen Reihen zusammenzuhalten. Das habe sich schon in der Griechenland-Krise gezeigt. „Nicht die SPD ist das Problem, was den Zusammenhalt der Koalition angeht“, meint Yasmin Fahimi.

Allerdings machen auch die Sozialdemokraten in aller Regelmäßigkeit mit internen Querelen von sich reden. Zuletzt sorgte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) für Schnappatmung bei einigen Genossen, als er dafür plädierte, dass die SPD angesichts der Popularität Merkels doch lieber gleich auf einen Kanzlerkandidaten verzichten sollte. Die Parteispitze widersprach lautstark und empört. Doch tatsächlich hat Albig einen wunden Punkt angesprochen. Der SPD-Herausforderer dürfte es schwer haben gegen Merkel. Ob Parteichef Sigmar Gabriel selbst antritt, ist offen. Das Gerangel um diesen Job hält sich in Grenzen. Auch Merkel hat noch nicht verraten, ob sie antritt. Alle Welt geht davon aus. Tut sie es, dann hätte sie die Chance, Konrad Adenauer und Helmut Kohl einzuholen. Kohl hält den Rekord mit 16 Jahren Kanzlerschaft. Merkel ist im November zehn Jahre Kanzlerin, seit mehr als 15 Jahren führt die Frau aus der DDR die CDU.

Start in die zweite Halbzeit am Mittwoch

Am Mittwoch leitet sie die erste Kabinettssitzung nach ihrer persönlichen Sommerpause. Das markiert den Start in die zweite Halbzeit ihrer zweiten Großen Koalition. In zwei Jahren läuft um diese Zeit die heiße Wahlkampfphase an. Der Ton dürfte aber schon lange vorher rauer werden. Ein paar Mal knirschte es bereits bei Schwarz-Rot. Etwa in der Kinderpornografie-Affäre um SPD-Mann Sebastian Edathy, in deren Wirren Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zurücktreten musste. Oder in der Griechenland-Krise, als Gabriel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sich öffentlich vorwarfen, Informationsabläufe innerhalb der Regierung falsch darzustellen. Im Mai sorgte Gabriel auch für Ärger, als er Details aus einer vertraulichen Unterredung mit Merkel zur Geheimdienst-Spähaffäre ausplauderte. Diese gezielte Indiskretion wurde von einigen als – eher hilfloser – Versuch gewertet, an Merkels Ansehen zu kratzen. Die Arbeit der Geheimdienste ist für Merkel aber vielleicht tatsächlich das heikelste Thema. Die Kanzlerin, die überall in der Welt Bürger- und Freiheitsrechte einfordert, gilt als zu nachlässig gegenüber den USA, von deren Geheimdienst NSA sogar sie selbst bespitzelt wurde. Bis heute hat Präsident Barack Obama ihr nicht zugesichert, dass die USA deutsches Recht auf deutschem Boden einhalten.

Auf Wiedervorlage

Auch wenn die Koalition schon einen großen Teil ihres Koalitionsvertrages abgearbeitet hat, bis 2017 bergen noch viele Themen Konfliktpotenzial. Da ist zunächst ein drittes Griechenland-Hilfspaket. Noch nie verweigerten so viele Abgeordnete Merkel die Gefolgschaft wie im Juli bei der Abstimmung über die Aufnahme von Verhandlungen. Die mühselig aufgebaute Pkw-Maut und das Betreuungsgeld kommen auf Wiedervorlage. Bei der geplanten Erbschaftsteuer legt sich die CSU quer. Dann ist da noch das Ringen um ein Einwanderungsgesetz. Vor allem die CSU bremst, weil sie mehr Zuwanderung fürchtet. Und ein großes Thema ist und bleibt die wachsende Zahl an Flüchtlingen. Auch hier haben Union und SPD zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen.

Allerdings hat gerade ihre Außenpolitik Merkels Stellung in der Welt gestärkt. Sie gilt als Stabilitätsfaktor in Europa. Bei der Suche nach dem „Jugendwort“ des Jahres steht derzeit „merkeln“ ganz oben auf der Favoritenliste. Laut Langenscheidt-Verlag bedeutet das bei jungen Menschen – sie kennen die Bundesregierung bisher nur mit Merkel an der Spitze – so viel wie „Nichts tun, keine Entscheidungen treffen, keine Äußerungen von sich geben“. Fragt sich, ob sie das blöd oder bambus (cool) finden. Die Frage ist auch, was von Merkels langer Kanzlerschaft einmal in Erinnerung bleibt. Da, wo sie für ihre Verhältnisse mit viel Herzblut Politik macht, wird ihr Herzlosigkeit vorgeworfen: Im Bemühen, den Euro zu stärken und die Euro-Länder zusammenzuhalten. Ob sie hier Erfolg hat, dürfte sich erst in einigen Jahren zeigen. Vielleicht erst dann, wenn sie nicht mehr Kanzlerin ist.

Kristina Dunz/Christiane Jacke