Zeit der Versöhnung: Wie aus Israel und Deutschland Freunde geworden sind

Vor 50 Jahren haben Deutsche und Israelis diplomatische Beziehungen aufgenommen. Der Start war hart. Mittlerweile hat sich eine tiefe Freundschaft zwischen den Staaten entwickelt. Im Interview mit unserer Zeitung spricht Alfred Wittstock, der an der Uni Mainz die Studienstelle Israel leitet, über das schwierige Verhältnis.

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Von unserem Politikredakteur Dirk Eberz. Er bereiste er mehrere Tage lang Israel.

Berlin steht bei jungen Israelis hoch im Kurs. Was macht die Stadt so attraktiv? Geschichte oder Party?

Der Reiz von Berlin besteht sicher aus beidem. Auf der einen Seite vielleicht die Suche nach den Wurzeln der Großeltern. Auf der anderen Seite hat Berlin natürlich als Großstadt auch seinen eigenen Reiz. Die Stadt ist eben sehr hip. Party ist dabei ein Element, die Lebenshaltungskosten ein anderes. Die sind ja in Israel enorm hoch. Und in Berlin fallen einem keine Raketen auf den Kopf. Das ist also auch eine Entlastung von einem Stressalltag.

Wie hat sich denn das Deutschlandbild junger Israelis entwickelt?

Erstaunlicherweise ist das bei jungen Israelis immer positiver geworden. Mittlerweile ist das Ansehen Deutschlands sehr hoch. Für sie ist es ein Land, in dem man sich selbst verwirklichen kann, das größere Freiheiten bietet. Ohne Krieg. Aber auch die Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer Geschichte wird positiv gesehen. Und Israelis wissen auch die politische Stabilität zu schätzen. In Israel wird ja alle zwei Jahre gewählt.

Und wie sieht es umgekehrt aus?

Das Gegenteil. Das Israelbild deutscher Jugendlicher ist zunehmend negativ. Aber da spielt der Konflikt mit den Palästinensern eine große Rolle. Viele haben noch die Bilder aus dem Gazakrieg im Kopf.

Oft erzeugt die deutsche Sicht auf den Nahostkonflikt in Israel nur Kopfschütteln. Sind wir da oft naiv?

Ja, das denke ich sowieso. Die Deutschen leben auf einer Insel der Glückseligen. Für uns ist der Konflikt weit entfernt. Israel hingegen ist von zerfallenden Staaten wie Syrien und Irak umgeben, in denen der IS operiert. Alles ganz bestimmt keine Freunde des Landes. Da ist Israel so etwas wie das Auge im Sturm. Wenn sie an der Grenze zum Libanon stehen, ist Beirut gerade mal eine Autostunde entfernt. Und von den Golanhöhen sind es nur 65 Kilometer bis Damaskus. Dann beginnt sich die Weltsicht zu ändern.

Ist es vor dem Hintergrund des Holocaust überhaupt politisch korrekt, Israel zu kritisieren?

Natürlich können sie alles kritisieren in der Welt. Sie würden doch auch nie die Frage stellen, ob sie die Bankenpolitik der Schweiz kritisieren dürfen. Die Frage selbst impliziert ja schon eine Kopfsperre. Und bei Regierungskonsultationen wird hinter verschlossenen Türen sicher auch Klartext geredet.

Gehen wir mal 50 Jahre zurück. Da lag der Holocaust gerade mal 20 Jahre zurück. Aus israelischer Sicht war die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Deutschland ja so etwas wie ein Pakt mit dem Teufel.

Der Schritt ist in der israelischen Bevölkerung aufs Heftigste abgelehnt worden. Nach dem Massenmord an den Juden ist das ja auch verständlich. Und dann war der erste Botschafter auch noch ein ehemaliger hoher Wehrmachtsoffizier. Das war sicher nicht die feinfühligste Wahl. Die Ablehnung all dessen, was deutsch war, war auch ein Versuch, Distanz zu wahren zu einem Land, mit dem man eigentlich nichts zu tun haben wollte, aber aus politischen Gründen in Kontakt kommen musste – zum Aufbau dieses jungen Staates.

Welchen Beitrag hat Deutschland denn konkret geleistet?

Da geht es eigentlich gar nicht so sehr um die Gelder, die geflossen sind. Was dem damaligen Regierungschef Ben Gurion viel wichtiger gewesen ist, waren Güter. Deshalb ist ein großer Teil der vereinbarten finanziellen Leistungen in Waren geliefert worden: Maschinen, Lokomotiven und Lastwagen. Und dann gibt es da natürlich auch noch bis heute die militärische Hilfe. Das sind ja auch keine Touristentauchboote. Nichtsdestotrotz hat man in Israel damals oft von Blutgeld gesprochen.

Was dazu führte, dass deutsche Waren oft als Schweizer oder österreichische Produkte verkauft wurden. Wie hat sich dennoch eine Freundschaft zwischen den Ländern entwickelt?

Auf Dauer ließ es sich nicht durchsetzen, Distanz zu wahren. Denn mit den Maschinen kamen ja bald auch Menschen, die sie erklären und warten mussten. Und so haben sich dann Kontakte auf privater Ebene entwickelt. Und es gab auch weiter deutschsprachige Zeitungen. Viele blieben trotz des Holocaust in der deutschen Sprache und Kultur verwurzelt. Diese „Jeckes“, also Israelis mit deutschem Hintergrund, haben einen großen Beitrag zum Aufbau Israels geleistet.

Die Bundesrepublik ist der drittwichtigste Handelspartner Israels. Was macht das Land für deutsche Unternehmen so attraktiv?

Israel hat sich unheimlich gewandelt. Mittlerweile ist das Land eine Start-up-Nation. Nach den USA selbst hat Israel die meisten börsennotierten Unternehmen an der Nasdaq. Die Bevölkerung ist jung, dynamisch, gut ausgebildet und unglaublich innovativ. Das macht Israel für Jungunternehmer interessant. Die Menschen haben sehr viele Ideen und setzen sie auch um. Besonders in der Hochtechnologie. Da brauchen sie nur aus Tel Aviv rauszufahren ins Silicon Wadi, wo alles versammelt ist, was in der Welt einen Namen hat. So ist Israel auch gut durch die jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrisen gekommen. Selbst während der zweiten Intifada ist das Wachstum nicht auf null zusammengebrochen.

Haben Israelis auch aufgrund der ständigen Bedrohungslage eine andere Einstellung zum Risiko?

Ja, Israelis sind absolut risikobereit. Nach dem Motto: Ich kann es machen, ich probier's. Auch eine Insolvenz wird nicht als negativ betrachtet, sondern als Chance, ein zweites Mal zu starten. Denn man weiß ja, welchen Fehler man gemacht hat. Deshalb fließt unheimlich viel Risikokapital ins Land. Dass es sich lohnt, in Israel zu investieren, haben jetzt auch deutsche Unternehmen gemerkt. Die Telekom, Siemens, SAP und viele weitere sind bereits in Israel etabliert. Und das trotz der Bedrohungslage, die Unternehmen sonst abschreckt. Aber das Potenzial ist längst noch nicht ausgeschöpft.

Wie sieht die Zukunft aus? Wagen Sie mal eine Prognose.

Also, die Beziehungen sind schon ziemlich eng. Wo das Problem meines Erachtens liegt, sind diese negativen Bilder von Israel, gerade bei Jugendlichen. Das mischt sich dann oft mit antisemitischen Klischees. Daran muss man arbeiten: Dagegen muss man weiterhin angehen, aufklären und im ständigen Dialog mit Israel bleiben.