Wetten, dass..?: Das Ende der großen Samstagabendshow

Hollywoodstar Cameron Diaz (rechtes Foto, mit Markus Lanz) sagte nach ihrem Auftritt am Samstagabend: „Ich war noch nie in einer Show irgendwo auf der Welt, die auch nur ansatzweise damit vergleichbar wäre.“
Hollywoodstar Cameron Diaz (rechtes Foto, mit Markus Lanz) sagte nach ihrem Auftritt am Samstagabend: „Ich war noch nie in einer Show irgendwo auf der Welt, die auch nur ansatzweise damit vergleichbar wäre.“ Foto: dpa

Fußball, Tatort, Dschungelcamp. Nur wenige Sendungen locken noch das ganz große Publikum. „Wetten, dass..?“ hat mangels Zuschauer aufgegeben – und die Ursachensuche für den Untergang der großen Samstagabendshow begonnen. Für den Direktor des Grimme-Instituts, Uwe Kammann, hat sie sich schlichtweg überlebt.

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„Den Schein eines generationenübergreifenden Lagerfeuers liefert nur noch der ,Tatort'“, ist Kammann überzeugt. „Das Schwinden der alten Bindemasse entspricht aber der gesellschaftlichen Entwicklung mit rasanter Individualisierung.“

Moderator Markus Lanz hatte nach Kammanns Meinung eine „eigentlich nicht zu lösende Aufgabe: Gegen den großen bunten Gottschalk anzumoderieren, der für alle Zuschauer im Hintergrund stets sichtbar war“. Die schwerste Hypothek war jedoch das Konzept, sagt der Grimme-Direktor: „Zu große Unterhaltungsrunden, zu viel Brimborium, zu viele Schein-Stars, zu viel lastende Grundroutine aus der 33-jährigen Geschichte.“

Aus Sicht des Medienwissenschaftlers Bernd Gäbler mutierte „Wetten, dass..?“ zur Thomas-Gottschalk-Show. Gottschalk war offenbar der letzte der Generation Rosenthal, Frankenfeld, Kuhlenkampff, Frank Elstner und Rudi Carrell, sagte Gäbler dem WDR. „Diese Epoche ist endgültig vorbei. Sie konnte nicht wiederbelebt werden.“

Große Künstler, unvergessene Momente: Während Schauspielerin Corinna Harfouch eine Wette verfolgte, blätterte Götz George gelangweilt in einem Filmheft (1998).
Große Künstler, unvergessene Momente: Während Schauspielerin Corinna Harfouch eine Wette verfolgte, blätterte Götz George gelangweilt in einem Filmheft (1998).
Foto: dpa

Das Ende der klassischen Samstagabend-unterhaltung muss das aus Gäblers Sicht aber nicht sein. „Vielleicht gibt es die wieder in anderen Formen, aber es ist sicher schwieriger, die große, generationsübergreifende Integration zu leisten.“ Hier war Fernsehen immer noch verbunden mit einem großen Kontinuitätsverprechen: „33 Jahre hat diese Sendung gedauert, sie hat alles überdauert: Helmut Kohl, Angela Merkel – alles andere ist schnelllebig.“

Den Anschein größerer generationsübergreifender Integrationsleistung erwecken für den Medienwissenschaftler zurzeit nur globale Formate, die überall gleich aussehen – so wie „Let's dance“, „Wer wird Millionär“ oder „The Voice“. Dabei ist ein großer, internationaler Markt entstanden. „Da werden sicher auch ARD und ZDF sich auf Dauer einkaufen.“

Kalkofe: Die Riesenquote wird es nicht mehr geben

TV-Kritiker Oliver Kalkofe begleitet das Fernsehen seit 20 Jahren mit seiner Sendung „Kalkofes Mattscheibe“. „Die Ära, in der sich Eltern, Großeltern, Enkel und Nachbarn gemeinsam vor der Flimmerkiste versammelten, ist definitiv vorbei“, sagt auch er. „Die Riesenquote, die sich aus allen Schichten zusammensetzt, wird es nicht mehr geben – man muss sich für einen bestimmten Teil des Publikums entscheiden und diesen konsequent und ehrlich bedienen. Denn wenn man versucht, ein Mosaik für alle zu basteln, ist immer ein Großteil gleichzeitig gelangweilt – und heutzutage gibt es genug Alternativen, da schaltet man einfach weg und sucht was anderes.“ 1981, als „Wetten, dass..?“ startete, hatten Zuschauer drei Sender zur Wahl – heute Dutzende. Und trotzdem schauen viele lieber ihre US-Serien auf DVD oder im Netz.

Für Medienforscher Hachmeister war das Ende sehr, sehr absehbar

Ende einer großen Show
Foto: dpa

Das Ende von „Wetten, dass..?“ kann nach Kalkofes Worten den Weg für etwas Neues freimachen. „Vielleicht denkt man klugerweise mal nicht über einen Nachfolger nach, sondern lieber einen bunten Strauß unterschiedlicher und neuer frischer Ideen, die jeweils einen anderen Teil des Publikums ansprechen.“

In den digitalen Spartensendern ist das Öffentlich-Rechtliche mutiger. Dort wird aus Sicht von vielen Medienexperten hervorragendes Fernsehen gemacht – und dort regieren auch mal Anarchisten wie Jan Böhmermann, der es jüngst sogar schaffte, Stefan Raab einen Aprilscherz zu spielen.

Sich etwas trauen. Das ist auch in den Augen von Medienforscher Lutz Hachmeister Gebot der Stunde. „Ich denke, dass man schon noch große Shows machen kann, die vielleicht sogar etwas politischer, etwas aktueller sind, etwas brisanter sind“, sagte er Deutschlandradio Kultur. „Ich denke damals an Adriano Celentano in Italien, als er mal aufgefordert hat, nicht wählen zu gehen gegen Berlusconi. Große Show – und die Mehrheit der Italiener hat da zugeschaut.“

Für Hachmeister war „Wetten, dass..?“ schon länger Teil des Retro-Fernsehens. „Diese Sendung hat sich selbst überlebt, und ich habe mich eigentlich gewundert, wie lange sie funktioniert hat.“ Man habe versucht, das Format immer ein bisschen aufzupeppen mit spektakulären Einzelaktionen. Dabei traten die Wetten immer mehr in den Hintergrund. Hachmeister: „Das Ende war sehr, sehr absehbar.“

Grimme-Direktor Kammann gibt zu bedenken, dass sich andere Unterhaltungssendungen über sechs bis sieben Millionen Zuschauer, die die Sendung zuletzt sahen, freuen würden. Dennoch hält er es für „selbstmörderisch“, das Format wiederbeleben zu wollen. Nach der Erfahrung, die Lanz habe machen müssen, „dass sich über das Netz blitzschnell und vehement eine wilde und schmähende Öffentlichkeit organisieren lässt“, würde sich das auch kein Moderator mehr antun wollen, mutmaßte er: „Diese Erfahrung und das Wissen um den Gottschalk-Schatten werden jeden abschrecken. Es sei denn, es findet sich ein Hasardeur, der alles auf eine Karte setzen will.“

Für Medienwissenwissenschaftler Gäbler fand das eigentliche Ende von „Wetten, dass..?“ ohnehin bereits am 4. Dezember 2010 statt: mit dem Unfall von Samuel Koch. Thomas Gottschalk beschloss damals, die Sendung nicht weiter zu moderieren. „Alles andere war nur noch ein Nachglühen.“ Birgit Pielen/dpa/epd