Athen

Votum spaltet Parlament und Gesellschaft

Flammender Protest vor dem griechischen Parlament gegen die Entscheidungen, die im Inneren des Gebäudes von den Abgeordneten getroffen worden sind.
Flammender Protest vor dem griechischen Parlament gegen die Entscheidungen, die im Inneren des Gebäudes von den Abgeordneten getroffen worden sind. Foto: dpa

Die Billigung neuer Belastungen im griechischen Parlament war die Vorbedingung für neue Kredite, um das vor der völligen Pleite stehende Griechenland wieder flottzumachen. Die Bevölkerung schwankt nun zwischen wütendem Krawall, Skepsis und verhaltener Zuversicht. Und im Parlament führt die Lage zu seltsamen Konstellationen.

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Von Takis Tsafos und Gregor Mayer

Denn Regierungschef Alexis Tsipras hat ein ungewöhnliches Problem – er regiert mit zwei unterschiedlichen Mehrheiten. Geht es im Parlament um die ungeliebten Sparprogramme, scheren seine extremen Linken aus und überlassen die Mehrheitsbeschaffung der Opposition. Geht es um die üblichen Fragen der Regierung, stehen die Abgeordneten der Rechts-links-Koalition wieder geschlossen hinter Tsipras, und die Opposition ist dagegen.

So hatte Tsipras am frühen Donnerstagmorgen bei der Abstimmung über das neue Reform- und Sparprogramm die Regierungsmehrheit praktisch verloren. Es gab 39 Abweichler, die am Nein festhielten. Damit schrumpfte die Regierungsmehrheit auf nur noch 123 Abgeordnete. Dennoch wurde das Programm von einer deutlichen Mehrheit von 229 der insgesamt 300 Abgeordneten im Parlament gebilligt. Die meisten Oppositionsparteien stimmten nämlich dafür.

Anschließend spielten sich ungewöhnliche Szenen im Parlament ab. Der Anführer der Abweichler und Chef der linken Plattform in der Syriza-Partei, Energieminister Panagiotis Lafazanis, sah in der ganzen Dramatik überhaupt kein Problem: „Wir werden gemeinsam weitermachen. Wir stützen die Regierung, sind aber gegen die Sparprogramme.“ Gleichzeitig erklärten die Chefs der Opposition, der proeuropäischen Konservativen, Sozialisten und Liberalen, sie würden Tsipras weiterhin bei allen Abstimmungen unterstützen, die für den Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone notwendig sind.

Die Regierung in Athen stützt sich im Parlament auf zwei Mehrheiten. Die eine segnet die Sparprogramme ab, die andere den Rest.  Foto: dpa
Die Regierung in Athen stützt sich im Parlament auf zwei Mehrheiten. Die eine segnet die Sparprogramme ab, die andere den Rest.
Foto: dpa

Eine Extra-Mehrheit für die Finanzen

Für Tsipras ist das eine einmalige Situation. „Er hat zwei Mehrheiten im Parlament, eine für die Finanzen und eine für alle anderen Themen“, kommentierten Analysten. Verfassungsexperten meinten, Tsipras habe „theoretisch und formell“ die Regierungsmehrheit nicht verloren. Denn bei der Abstimmung sei es nicht um ein Misstrauensvotum oder die Vertrauensfrage gegangen. Allerdings könne das Spiel mit der Wechselmehrheit nicht lange andauern. Tsipras ließ erklären, dass die Vollendung des Verfahrens für das Hilfsprogramm oberste Priorität habe. Mit dem Riss in der Regierungspartei werde man sich später beschäftigen.

Was aber denken die Griechen über den neuen Kurs? Mit prüfendem Blick überfliegt Rechtsanwalt Giannis Chatziantoniou die Zeitungen am Kiosk im Zentrum von Athen. Das Thema auf allen Titelseiten: das klare Votum des griechischen Parlaments für das neue Sparpaket. „Ich bin nicht zornig“, sagt der 55-Jährige und stellt seine beiden dick gefüllten Aktentaschen neben sich auf dem Boden ab. „Aber ich befürchte, dass sich dieses Maßnahmenprogramm nicht wird umsetzen lassen.“ Das Paket sieht unter anderem höhere Mehrwertsteuern, die Abschaffung der Frührente und die Anhebung des Rentenalters vor.

„Ich bin Firmenanwalt“, begründet Chatziantoniou. „Die Gesellschaft ist in der Krise, die Wirtschaft ist in der Krise. Alle meine Kunden kämpfen mit Problemen. Fast die Hälfte von ihnen ist schon pleite oder steht vor der Liquidation.“ Neue Belastungen seien nicht zu verkraften.

Die 33-jährige Sonnenbrillen-Verkäuferin Olga Papai sieht das Ganze gelassener. „Es gab keine andere Lösung“, kommentiert sie das Parlamentsvotum, das die regierende Linkspartei Syriza gegen die ablehnende Haltung von knapp 40 Abweichlern aus den eigenen Reihen nur mit den Stimmen der Opposition durchbrachte. „Da müssen wir jetzt durch. Es wird wieder besser werden, mit der Zeit, vielleicht.“

Bittere Wirklichkeit

In der Nacht zum Donnerstag protestierten Tausende Menschen vor dem Parlamentsgebäude auf dem Syntagma-Platz. Dass Molotowcocktails flogen, ein paar Autos in Flammen standen und die Polizei die Demonstranten mit Tränengas vor sich her trieb, ist aus griechischer Sicht fast schon bittere Tradition bei Debatten über Sparpläne. Nun war es aber das erste Mal, dass die Syriza-Regierung von Alexis Tsipras zum Adressaten wurde. Unter den Demonstranten waren viele junge Anhänger und Wähler der Linkspartei. „Vor zwei Monaten war noch Hoffnung“, sagte der 19-jährige Chemieingenieur-Student Vassilis. „Doch diese Regierung ist jetzt so wie die vorigen.“