Urknall und Inflation – Als das Weltall alle Maßstäbe sprengte

Am Anfang war fast Nichts. Woher dieses Fast-Nichts kam, weiß kein Mensch. Theologen nennen das Vorher einen „Gedanken“, ein „Wort“: Am Anfang war das Wort… Jedenfalls war das Fast-Nichts sehr klein, ein Milliardstel eines Milliardstel eines Milliardstel der Größe des Punktes am Ende dieses Satzes – noch viel kleiner als ein Atomkern. Es wog nicht mehr als ein paar Kilogramm und war so extrem dicht, dass es den heißen Drang verspürte, sofort zu explodieren: mit dem Urknall.

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Von unserem Redakteur Jochen Magnus

Zuerst kleiner als ein Atomkern, dehnt sich das Universum augenblickblich auf ca. 10 Zentimeter Größe aus. Illustration: Svenja Wolf

In viel weniger als einem Augenblick (einem Bruchteil einer Sekunde mit mindestens 30 Nullen nach dem Komma) dehnte sich das Fast-Nichts auf die Größe einer Orange auf. Das universelle Früchtchen enthielt im Prinzip alles, was heute ist. Astronomen fanden nun einen ersten, direkten Beleg für die enorm schnelle Ausdehnung, die „kosmische Inflation“. Wenn er bestätigt werden kann, könnten sie dafür mit dem Nobelpreise belohnt werden.

Die Forscher des Harvard-Smithsonian-Zentrum für Astrophysik arbeiten mit dem Radioteleskop Bicep2. Es steht am Südpol auf 2800 Metern Höhe, weil dort die Luft klar und trocken ist. Das sind ideale Bedingungen, um Mikrowellenstrahlung aus dem All zu beobachten. Die Astronomen suchten nach einem bestimmten Muster der Wellen, die Rückschlüsse auf Gravitationswellen zulässt, die bei der Geburt des Universums erwartet werden.

Kosmische Inflation

Im Vordergrund das Radioteleskop Bicep2, mit dem die Mikrowellenstrahlung empfangen wird. Im Hintergrund das Südpol-Radioteleskop mit 10 Meter großem Reflektor.

Steffen Richter/ Harvard University

Sonnenuntergang am Teleskop.

Foto: Steffen Richter/ Harvard University

Ein Teammitglied untersucht das Bcip2-Teleskop.

Steffen Richter/ Harvard University

Nur ungefähr einen Kilometer ist die Beobachtungsstation vom geografischen Südpol entfernt.

Steffen Richter/ Harvard University

Ein Transportflugzeug passiert die Südpol-Station. Mehrere Teleskope sind im Hintergrund zu sehen. V.l.: Das Südpol-Teleskop, Bicep2 und das Keck Array Teleskop.

Steffen Richter/ Harvard University

Eine Visualisierung der Messungen des Bicep2-Teleskops. Die schwarzen Striche zeigen „ B-mode-Muster“ der Polarisierung der kosmischen Hintergrundstrahlung im Mikrowellen-Bereich. Diese Art der Polarisation wurde unmittelbar von Gravitationswellen des Urknalls hervorgerufen, sagen die Forscher.

dpa/HST

Die Grafik zeigt die Entwicklung des Universums vom Urknall bis heute. Grafik: dpa

dpa/HST

Das Bild des Hubble Space Telescopes enthält rund 10.000 Galaxien und große kosmische Objekte. Es Das Bild entstand aus 800 Einzelbelichtungen, die während 400 Erdumkreisungen Hubbles durchgeführt wurden. Die gesamte Belichtungszeit betrug mehrer Tage.

HST

Während des enorm schnellen Aufblähens des frühen Universums, auch „kosmische Inflation“ genannt, durchliefen den Raum Schockwellen. Solche Gravitations- oder Schwerkraftwellen entstehen nach Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie immer, wenn Massen bewegt werden. Sie dehnen und stauchen den Raum selbst und beeinflussen auch die Art und Richtung, wie Licht- und Radiowellen schwingen, „Polarisation“ genannt. Nach einem solchen Nachweis hatten die Astronomen lange gesucht und ihn gefunden und drei Jahre lang überprüft, wie der Leiter des Experiments John Kovac, jetzt der Zeitschrift „Nature“ sagte. Die Wahrscheinlichkeit einer Fehlmessung beträgt nur noch 1 zu 1,7 Millionen.

Die Mikrowellen, die ihr Teleskop am Pol auffängt, gehören zur ältesten Strahlung, die es gibt. Sie stammt aus einer Zeit kurz nach dem Urknall. Wobei „kurz“ hier 380.000 Jahre bedeuten, nicht viel bei dem heutigen Alter des Universums von 13,8 Milliarden Jahre. Zu dieser Zeit war die ultraheiße Strahlen- und Materiesuppe von unvorstellbar hohen Billionen Grad-Temperaturen auf 2700 Grad abgekühlt – so heiß wie etwa ein Halogen-Glühfaden. Das junge Universum wurde damit durchsichtig: Licht und andere Strahlung konnten sich ausbreiten. Dieses erste Licht ist heute noch zu sehen, besser gesagt, zu empfangen: Als kosmische Hintergrundstrahlung. Weil sich das Universum noch immer ausdehnt, wenn auch nicht mehr so „inflationär“ wie im ersten Sekundenbruchteil, wurden und werden auch die Wellen immer mehr in die Länge gezogen. Das sichtbare Licht dehnte sich in Jahrmilliarden zu langwelliger Strahlung der Art, wie sie auch in Mikrowellen-Geräten erzeugt wird.

Aus dem Dämmerung der Zeit

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„Wir messen ein Signal, das aus der Dämmerung der Zeit kommt“, unterstrich Ko-Autor Jamie Bock vom California Institute of Technology. Und dieses Signal war deutlich stärker als erwartet. „Es war wie eine Nadel im Heuhaufen zu suchen, aber stattdessen haben wir eine Brechstange gefunden“, erläuterte Clem Pryke von der Universität von Minnesota. Die Ergebnisse sind noch nicht in einem wissenschaftlichen Fachjournal veröffentlicht, erstaunen aber jetzt schon die Fachwelt.

Vorausgesetzt, dass die Beobachtungen durch andere Experimente bestätigt würden, seien die „Bicep2“-Entdeckungen großartige Nachrichten, betont der deutsche Gravitationswellenforscher Karsten Danzmann, Direktor am Hannoveraner Albert-Einstein-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, der selbst nicht an der Arbeit beteiligt war. „Diese Beobachtungen zeigen, dass Gravitationswellen Aspekte des Universums enthüllen, die wir auf keinem anderen Weg herausfinden können. Beispielsweise liefern uns Gravitationswellen einzigartige Informationen über die Eigenschaften des Universums gleich nach dem Urknall.“

Zeugen des frühen Universums

Denn das sehr frühe Universum bietet eine Umgebung, wie sie selbst in den größten Teilchenbeschleunigern niemals simuliert werden kann. Auch Beobachtungen von optischen und Radioteleskopen führen nur bis 380.000 Jahre nach dem Urknall zurück, weil das All vorher für Strahlung undurchlässig war. So ruht die Hoffnung auf den Gravitationswellen. Vielleicht führen die Daten des Bicep2-Teams und des Planck-Satelliten zu einer Theorie der Quantengravitation. Das ist eine von der Physiker-Gemeinde heiß herbeigesehnte Zusammenführung der Gravitation mit der Quantenmechanik, auf dem Weg zu der „Theorie von Allem“, der Weltformel, die alle bekannten Kräfte des Universums vereinigen und erklären kann.

Illustration: Svenja Wolf