Berlin

Thüringen: Ramelow will SPD in Koalition locken

Will SPD und Grüne mit den Linken an einen Tisch bringen: Bodo Ramelow möchte erster linker Regierungschef in einem Bundesland werden. Doch in der SPD rührt sich heftiger Widerstand gegen solch ein Bündnis.
Will SPD und Grüne mit den Linken an einen Tisch bringen: Bodo Ramelow möchte erster linker Regierungschef in einem Bundesland werden. Doch in der SPD rührt sich heftiger Widerstand gegen solch ein Bündnis. Foto: dpa

Thüringen steht vor einer historischen Entscheidung. Die SPD muss entscheiden, ob sie das ungeliebte Bündnis mit der CDU unter Christine Lieberknecht fortsetzen oder als Juniorpartner in eine rot-rot-grüne Koalition gehen und damit den Linken Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten küren will. Frühere DDR-Bürgerrechtler warnen davor.

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Von Eva Quadbeck, Michael Bröcker, Thomas Reisener und Simone Rothe

Bei den Landtagswahlen am Sonntag erhielt die Thüringer SPD mit nur 12,4 Prozent ein desaströses Ergebnis. Im Präsidium der Bundes-SPD wurde der Kurs der Thüringer Genossen kritisiert, die sich im Wahlkampf nicht festgelegt hatten, mit wem sie regieren wollen. Nach der Analyse einiger Teilnehmer hat die unentschlossene Haltung der SPD die CDU und die Linke gestärkt. Nach Angaben von Teilnehmern verlief die Debatte aber äußerst kontrovers.

Für beide Machtoptionen, Schwarz-Rot oder Rot-Rot-Grün, gibt es im Landtag nur die hauchdünne Mehrheit von einer Stimme. Folglich bergen beide Bündnisse hohe politische Risiken. Eine rot-rot-grüne Koalition stößt zudem auf den entschiedenen Widerstand ehemaliger DDR-Bürgerrechtler, die sich schon vor den Wahlen zu Wort gemeldet hatten.

Appell von SPD-Wendepolitikern

„Ihr verwischt die grundlegenden Unterschiede zwischen den demokratischen Parteien dieser Bundesrepublik und der Partei Die Linke, die die Überwindung/Änderung des politischen Systems der Bundesrepublik, wenn auch ominös formuliert, anstrebt“, heißt es in einer Resolution, die von zahlreichen SPD-Politikern aus der Bürgerrechtsbewegung unterzeichnet wurde. Unter ihnen sind Gunter Weißgerber und der frühere Staatssekretär Stephan Hilsberg. SPD-Vizechef Ralf Stegner wischte die Argumente beiseite: „Koalitionsfragen werden mit Blick nach vorn entschieden und nicht historisch“, sagte er.

Neuer SPD-Landeschef in spe

Bedenken äußerte auch der Theologe Richard Schröder, der ein führendes Mitglied der SDP war, einer ostdeutschen SPD zur Wendezeit. „Die SPD als Steigbügelhalter und als Juniorpartner der Linken, das wird bei sehr vielen SPD-Wählern nicht gut ankommen und ihr auch keine neuen Wähler bringen“, sagte Schröder unserer Zeitung. Eine völlig neue und unerprobte Koalition mit nur einer Stimme Mehrheit ist nicht gerade stabil.

Unterdessen wurde in der Thüringer SPD der Weg für ein rot-rot-grünes Bündnis weiter geebnet. Der Oberbürgermeister von Erfurt, Andreas Bausewein, soll neuer Vorsitzender der SPD in Thüringen werden und die Verhandlungen für eine Koalitionsbildung nach der Landtagswahl für seine Partei führen. Einen entsprechenden Vorschlag hat SPD-Landeschef Christoph Matschie nach Informationen unserer Zeitung aus Teilnehmerkreisen bei der Sitzung des Landesvorstands gemacht. Matschie galt stets als Gegner einer rot-rot-grünen Koalition in Thüringen.

Lieberknecht und Ramelow sehen sich weiter als Wahlgewinner mit Regierungsauftrag, beide werben um die SPD, beide denken aber in ihrer Not auch über ungewöhnliche Koalitionsmodelle nach. Zuversichtlich gibt sich Lieberknecht mit ihren 24 Jahren Erfahrung in der Thüringer Landespolitik: „Zunächst fürchte ich mal gar nix.“ Die 56-Jährige kann sich inzwischen auch vorstellen, die Grünen ins Boot zu holen, und sendet ein Gesprächsangebot an die kleinste Landtagsfraktion. Schwarz-Rot-Grün kam bisher selbst in den Planspielen der Parteistrategen nicht vor. „Das ist nicht völlig ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich“, meint der Jenaer Parteienforscher Torsten Oppelland. Die Grünen winken ab: „Wir sind nicht der Ersatzspieler, wenn einer auf dem Feld nicht mehr will“, sagt Spitzenkandidatin Anja Siegesmund.

Ramelow schreckt selbst vor einer Minderheitsregierung nicht zurück, um seinen Traum vom Einzug in die Thüringer Staatskanzlei umzusetzen. „Vorstellen kann ich mir alles.“ Aber eine Regierung nur mit Grünen oder SPD sei eher ein Denkmodell und kein Lösungsansatz. Minderheitsregierungen, die beispielsweise in Skandinavien funktionieren, hätten in Deutschland keine Tradition, sagt Oppelland.

Trotz knappster Mehrheiten hält Ramelow einen Wechsel weiter für möglich und verweist auf die Grabenkämpfe, die sich CDU und SPD als Regierungspartner geliefert haben. „Es gibt eine knappe Mehrheit und eine unsichere Mehrheit.“ Die unsichere sei die mit der CDU an der Spitze, die bereits 2009 drei Anläufe brauchte, um Lieberknecht zur Regierungschefin zu wählen.