Thüringen: Mögliches Bündnis unter linker Führung unter Beobachtung

Die Premiere ist beinah perfekt. Wenn jetzt noch die Hälfte der gerade mal 4500 SPD-Mitglieder in Thüringen Ja sagen und das rot-rot-grüne Bündnis ihn geschlossen wählt, wird erstmals ein Bundesland von einem Ministerpräsidenten der Linken regiert.

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Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann

Es ist wahrscheinlich, dass es dazu kommt. Und die Reaktionen aus allen politischen Lagern zeigen, dass es eben nicht um ein auf Thüringen begrenztes Experiment geht, wie manche Bundespolitiker gern glauben machen wollen. „Nichts Historisches“ nennt der Linke Bodo Ramelow sein Regierungsbündnis in spe? Von wegen.

Natürlich ist Thüringen ab jetzt auch bundespolitisches Versuchslabor, und die Augen der Parteizentralen in Berlin werden in den nächsten Jahren einen besonderen Blick auf das rot-rot-grüne Bündnis unter Führung von Ramelow haben. Genau wie auf das schwarz-grüne Bündnis im Nachbarland Hessen. In der Mitte Deutschlands werden gerade die möglichen Regierungsbündnisse für den Bund 2017 vorexerziert, auch wenn das niemand öffentlich gern so sagt.

Die betont heftigen und die betont lässigen Reaktionen sprechen gleichermaßen dafür, dass Thüringen keineswegs ausschließlich als Insel mit besonderen politischen Bedingungen betrachtet wird. Kaum dass der SPD-Landesvorstand am Montagabend sein einstimmiges Ja bekannt gab, schießt man vonseiten der Union ungewohnt scharf. Ihr Generalsekretär Peter Tauber bezeichnet den von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel gerade erst eingeschlagenen Mitte-Kurs als „reines Lippenbekenntnis“. Der Unions-Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, nennt es „unglaublich“: 25 Jahre nach dem Mauerfall würden sich SPD und Grüne „zum Anhängsel der SED-Erben machen“. Auch die FDP schäumt. Generalsekretärin Nicola Beer bezeichnet SPD und Grüne als „Steigbügelhalter der Linken“.

Natürlich geht im konservativen Lager die Sorge um. Rein rechnerisch hätten SPD, Linke und Grüne auch im Bundestag nach der Wahl 2013 die knappe Mehrheit für eine Koalition gehabt. Doch damals hatte die SPD ein solches Bündnis noch weit von sich gewiesen. Inzwischen gibt es einen offiziellen SPD-Parteitagsbeschluss, wonach Bündnisse mit der Linkspartei künftig nicht mehr ausgeschlossen werden. Trotzdem fasst man sich mit spitzen Fingern an, und Sigmar Gabriel vermeidet es sorgfältig, die Aussichten auf ein solches Projekt in der Zukunft allzu optimistisch zu beschreiben. Unter seinen Genossen sind die Vorbehalte gegenüber der Konkurrenz von links, die sich in den westlichen Bundesländern vor allem als Protestbewegung gegen die Hartz-IV-Reformen gründete, nach wie vor groß. Und die Union hat natürlich ohnehin kein Interesse, dass sich für die SPD neue Regierungsoptionen ergeben, während ihr selbst die möglichen Bündnispartner – die FDP flog aus dem Bundestag – abhandenkommen.

Für die SPD allerdings könnte sich Rot-Rot-Grün im Bund dauerhaft als einzige Machtoption auftun, um irgendwann doch noch mal selbst ins Kanzleramt einzuziehen. In Thüringen gab es wie im Bund heute eine Große Koalition. In den Umfragen ein Jahr nach der Bundestagswahl kommen die Sozialdemokraten weiter gerade so über 25 Prozent.

Doch um offen über neue Optionen nachzudenken, ist es noch zu früh. Gabriel will in der Großen Koalition nicht die Opposition spielen, sondern zeigen, dass er verantwortungsvoll regieren kann. „Wir haben auf Bundesebene eine ganz andere Situation, eine ganz andere Bewertung vorzunehmen, das hat miteinander rein gar nichts zu tun“, ist SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi bemüht, die Bedeutung des Bündnisses in Thüringen kleinzureden. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende und Parteilinke Ralf Stegner nennt das mögliche Bündnis dagegen schon „ein Stück Normalisierung“. Die SPD ist allerdings auch deshalb vorsichtig, weil sie den Erfolg eines linken Ministerpräsidenten Ramelow fürchten muss. Natürlich wird sich der dann einzige Ministerpräsident der Linken bundesweit Gehör verschaffen. Die Linken könnten im Bund aufholen.

Was die Grünen betrifft, spiegelt deren Flexibilität beim Koalieren in den Ländern durchaus die derzeitigen Flügelkämpfe in der Bundespartei wider. Während es die einen gern wie in Hessen mal mit der Union probieren würden, sehen die anderen eine künftige Regierungsoption nur in Rot-Rot-Grün. Beides liegt nun – zumindest geografisch – nah beieinander.