Streik der Erzieherinnen: Eine Frage der Anerkennung

Erzieher in ganz Deutschland kämpfen um mehr Anerkennung. Die Solidarität der Eltern mit den Streikenden ist (noch) groß. In Mainz sprengten Eltern und Kinder jetzt eine Stadtratssitzung. Eine ihrer Forderungen: "Wir wollen endlich wissen, wie es weitergeht." Foto: Bernd Eßling
Erzieher in ganz Deutschland kämpfen um mehr Anerkennung. Die Solidarität der Eltern mit den Streikenden ist (noch) groß. In Mainz sprengten Eltern und Kinder jetzt eine Stadtratssitzung. Eine ihrer Forderungen: "Wir wollen endlich wissen, wie es weitergeht." Foto: Bernd Eßling

Die Erzieher streiken – und es ist kein Ende in Sicht. Bei einem Streik-Treffen von mehr als 300 Pädagogen in Fulda entschieden die Delegierten aus allen Bundesländern, dass Kitas und Co. weiterhin bundesweit unbefristet geschlossen bleiben. Anders als bei der Lokführer-Gewerkschaft GDL, die immer wieder mit der Bahn an den Verhandlungstisch zurückkehrt (wenn auch bislang ohne Erfolg), herrscht zwischen Erziehern und den kommunalen Arbeitgebern Funkstille. Warum reden die nicht miteinander?

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Die Lage scheint verfahren. Noch ist das Verständnis unter Eltern von Kitakindern offenbar groß. Teils unterstützen sie den Streik der Erzieher sogar offen. Während die Streikenden in Kassel beraten, stürmen am Mittwochnachmittag Eltern den Stadtrat von Mainz. Die Gewerkschaft Verdi wirbt offen dafür, Druck auf kommunale Vertreter auszuüben, damit diese wiederum bei der verhandelnden Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) Druck machen, den Gewerkschaften ein neues Angebot vorzulegen. Seit dem 21. April schalten beide Seiten auf stur. Die Fronten sind verhärtet. Das hat auch damit zu tun, dass es den Erziehern um einen Paradigmenwechsel geht. Sie wollen nicht weniger als die komplette Aufwertung der gesamten Erziehungs- und Sozialberufe. 220.000 Arbeitnehmer blicken bundesweit gespannt auf den Verlauf der Auseinandersetzung.

Vorstellungen liegen auseinander

Nach nur fünf Verhandlungsrunden gerieten die Gespräche im April in die Sackgasse. Verdi rief zur Urabstimmung, der Streik war beschlossene Sache. Die Gewerkschaften fordern, dass mehrere Berufe grundsätzlich höher eingruppiert werden. Im Raum steht durchschnittlich eine Gehaltserhöhung von 10 Prozent – das kostet.

Ein Beispiel: Eine Erzieherin erhält heute als Einstiegsgehalt 2590 Euro brutto, künftig sollen es 2857 Euro sein. Die Ausbildungszeiten variieren je nach Bundesland zwischen drei und fünf Jahren. In manchen Ländern werden hohe Gebühren von den Eltern verlangt, in Ländern wie Rheinland-Pfalz müssen Eltern gar nichts zahlen. Die Arbeitgeberverbände sprechen von Steigerungen „teilweise bei bis zu 20 Prozent“, die aus den Forderungen der Gewerkschaften entstünden.

Die VKA lehnt deshalb „pauschale Erhöhungen ab“. Neue Eingruppierungen wollen die Arbeitgeber nur dort vornehmen, wo erkennbar neue Aufgaben von den Erziehern übernommen wurden – genannt werden die Bereiche Inklusion, Sprachförderung oder musikalische Früherziehung. Sie glauben, dass die Gewerkschaften von Anfang an streiken wollten – die Verbesserungsvorschläge der Arbeitgeber seien gar nicht zur Kenntnis genommen worden. Die Sprecherin der VKA, Katja Christ, sagt: „Die haben sich ja derart eingemauert, die reden ja gar nicht mehr mit uns.“ Aus ihrer Sicht sind es die Gewerkschaften, die nicht mehr zu Verhandlungen bereit sind.

Das übliche Muskelspiel

Es ist das übliche Muskelspiel zwischen den Tarifpartnern. Allerdings haben die Erzieher schon lange nicht mehr so einen konsequenten Ausstand beschlossen. Es geht diesmal um Grundsätzliches. Ihr Streik erregt dennoch weniger Aufmerksamkeit als der der Lokführer, da sich der wirtschaftliche Schaden in Grenzen hält. Die Kommunen sparen sogar Gehälter ein, während ihre Erzieher streiken.

Die Vorschläge der VKA kommen bei den Gewerkschaften nicht gut an. „Weder formal noch inhaltlich haben die Arbeitgeber uns ein Angebot vorgelegt“, meint Verdis Tarifexperte Onno Dannenberg. Die Vorschläge bezeichnet er als „völlig unkonkret“ und „absolut lächerlich“. Die zu erwartenden Gehaltssteigerungen nach dem Vorschlag der VKA beziffert er mit 0,9 bis 1,6 Prozent. Es bestünde sogar die Gefahr, „dass manche Gruppen künftig niedriger eingruppiert werden“. Da müsste man ja weiter streiken. Die fast allerorten klammen Kommunen halten die Forderungen der Gewerkschaft aber für nicht finanzierbar.

Wochenlange Streiks?

Eltern müssen sich nun auf weitere Tage, möglicherweise Wochen des Streiks gefasst machen. „Dieser Streik wird fortgesetzt, unbefristet, bis ein annehmbares Ergebnis vorliegt“, sagte Verdi-Chef Frank Bsirske nach dem Treffen in Kassel gestern Nachmittag. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) will sich am 28. Mai weiter beraten. Hauptgeschäftsführer Manfred Hoffmann sagte jetzt: „Die Gewerkschaften sollten die Dauerbelastung für Kinder und Eltern schnellstmöglich einstellen und endlich Tarifverhandlungen führen.“ In Rheinland-Pfalz und im Saarland beteiligen sich nach Gewerkschaftsangaben 3000 Erzieher an dem Ausstand. Verdi-Sprecher Jürgen Dehnert bezeichnet hier den Streik als größte Auseinandersetzung der Branche seit den 90er-Jahren. Seither hat sich die Kitalandschaft stark verändert. Mit dem Prinzip „Die Tante passt vier Stunden auf die Kinder auf und sieht zu, dass sie sich nicht allzu sehr langweilen“, ist es aus seiner Sicht schon lange nicht mehr getan. Heute steht an erster Stelle der Bildungsgedanke, dem die Pädagogen zunehmend gerecht werden müssten.

Rena Lehmann