Strafmaßnahmen: Die EU verschärft ihren Kurs gegenüber Moskau

Kaum waren am Freitagmorgen die verschärften Sanktionen der EU gegen Russland in Kraft getreten, veränderte sich der Ton in Brüssel schlagartig. Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) gehörte zu den Ersten, die von Schärfe auf Verständigung umschalteten: „Der Dialog mit Russland zur Lösung des Ukraine-Konfliktes ist unerlässlich“, betonte er.

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Ohne Moskau seien die Spannungen nicht zu lösen. Und auch aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten kamen nicht länger drohende Worte, sondern eher bange Befürchtungen angesichts der möglichen Folgen einer Gegenreaktion Moskaus. Der österreichische Finanzminister Hans Jörg Schelling sprach von einem Wachstumsdämpfer, den sein Land schon jetzt zu verkraften habe. Sein litauischer Kollege Rimantas Sadzius äußerte offen die Angst, die „russischen Gegensanktionen werden mein Land besonders treffen“. Aber auch Deutschland könnte unter den Folgen der Verschärfung leiden. Immerhin kaufte Moskau der Bundesrepublik im Vorjahr etwa 12 Prozent der hiesigen Exporte ab. Umgekehrt erwarb Deutschland aus Russland Waren im Wert von 36,1 Milliarden Euro.

Weniger Gas geliefert

Doch wie die Antwort des Kremls auf den Vollzug der EU-Strafmaßnahmen aussieht, blieb zunächst offen. Nach Polen und Slowenien berichtete am Freitag auch die österreichische Regierung von einem Rückgang der gelieferten Gasmenge um 10 bis 20 Prozent. Andrej Beloussow, Berater von Präsident Wladimir Putin, bestätigte, dass sein Chef ein eigenes Sanktionspaket bereits in der Schublade habe. Demnach müssen die großen westlichen Fluggesellschaften Lufthansa, KLM-Air France und British Airways wohl mit einem Entzug der Überflugrechte auf ihrem Weg nach Asien rechnen. Die Kosten für Umwege werden von den Airlines mit 20.000 Euro je Flug (1 Milliarde Euro pro Jahr) angegeben. Zusätzlich werde man, so deutete der Kreml-Berater an, auch die Automobilindustrie attackieren und den Import (eventuell aber auch nur von Gebrauchtwagen) beschränken.

Das könnte Volkswagen, Mercedes, BMW und Audi schaden. Denn 2013 kam jedes fünfte Fahrzeug, das in Russland gekauft wurde, aus Deutschland. Zusätzlich erwägt die russische Führung offenbar, die Einfuhr von Kleidung zu limitieren – vor allem bei Waren, die nicht schon in Russland selbst hergestellt werden können.

Ukraine wird erst später in europäischen Binnenmarkt einbezogen

Doch offiziell schwieg Moskau am Freitag. Lediglich Außenminister Sergej Lawrow schlug schärfere Töne an und warf der EU vor, „den Friedensprozess zu schädigen“. In Brüssel ging man davon aus, dass der Kreml die parallel laufenden Gespräche mit ukrainischen und EU-Vertretern über Korrekturen am Assoziierungsabkommen mit Kiew nicht torpedieren wollte. Denn die liefen am Ende ganz nach dem Geschmack Putins. 2370 Änderungswünsche hatte der Kreml eingereicht, um den Vertrag, der am kommenden Dienstag unterzeichnet werden soll, für russische Unternehmen erträglicher zu machen. Am Freitagabend gab es den Durchbruch: Der Starttermin für die Einbeziehung der Ukraine in den europäischen Binnenmarkt wird um über ein Jahr auf 31. Dezember 2015 verschoben, zahlreiche weitere Erleichterungen für die Konzerne aus dem Einzugsbereich Moskaus wurden beschlossen. Zwar hatten Kritiker vorher beklagt, dass „das Abkommen durchlöchert ist, wenn wir alle Wünsche übernehmen“. Doch der Union war dieses Entgegenkommen wichtig, um Moskau – neben den Sanktionen – noch ein zweites Signal an diesem Tag zu liefern: Ein Freihandelsabkommen zwischen Brüssel und Kiew muss keinen Bruch mit Moskau bedeuten. Ob das Signal im Kreml verstanden wurde?

Unterdessen erhöhten auch die Vereinigten Staaten den Druck auf Moskau. US-Präsident Barack Obama kündigte ebenfalls Maßnahmen gegen Finanz-, Energie- und Verteidigungsbereiche der russischen Wirtschaft an.

Detlef Drewes