Sterbehilfe: Wer entscheidet, wann ich gehen darf?

Kaum ein Thema ist so emotional aufgeladen wie die Neuregelung der Sterbehilfe in Deutschland, die der Bundestag bis Ende nächsten Jahres treffen will. Befürworter der aktiven Sterbehilfe, die in Deutschland verboten ist, begleiten die Debatte der Parlamentarier seit Wochen mit aufsehenerregenden Kampagnen.

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Die Beihilfe zum Suizid ist in Deutschland schon heute unter bestimmten Umständen erlaubt. Umfragen zufolge möchten zwei Drittel der Menschen in Deutschland bei einer schweren Erkrankung die Möglichkeit haben, ärztliche Hilfe bei der Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Aber wie würde es die Gesellschaft verändern, wenn diese Möglichkeit am Ende des Lebens zum Normalfall würde? Der Bundestag will sich die Entscheidung über das Sterben auf Wunsch nicht einfach machen. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Warum wird jetzt über Sterbehilfe debattiert?

Schon länger wird diskutiert, wie man den rechtlichen Rahmen, in dem Sterbehilfe in Deutschland erlaubt ist, schärfer zieht. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat die Debatte neu entfacht. Ihm sind vor allem Sterbehilfevereine, die den assistierten Suizid organisiert oder als Geschäftsmodell etabliert haben, ein Dorn im Auge. Für die Parlamentarier ist damit eine grundsätzliche Debatte über Sterbehilfe in Deutschland eröffnet.

Wie ist Sterbehilfe zurzeit geregelt?

Nicht eindeutig, und die Rechtslage ist kompliziert: Die sogenannte aktive Sterbehilfe, die Tötung eines Menschen durch einen anderen auf Verlangen also, ist strafbar. Die Beihilfe zum Suizid ist dagegen erlaubt: Wer sterben möchte, nimmt selbsttätig eine Substanz ein, die ihm ein anderer besorgt hat. Der Helfer macht sich nicht strafbar. 2013 gab es in Deutschland 150 solcher begleiteter Selbsttötungen. Auch die passive Sterbehilfe, also das Sterbenlassen durch das Unterlassen oder Abbrechen lebensverlängernder Maßnahmen ist erlaubt, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht. Zulässig ist ebenso die sogenannte indirekte Sterbehilfe: Ein verfrühter Tod durch die Einnahme schmerzlindernder Mittel wird in Kauf genommen. In der jetzigen Debatte geht es vor allem um eine klare Regelung für den assistierten Suizid.

Welche Rolle spielen Ärzte?

Auch wenn Ärzte beim sogenannten assistierten Suizid helfen, machen sie sich laut Gesetz nicht strafbar. Die Ärzteschaft selbst hat sich allerdings strengere Regeln verordnet. In der Berufsordnung der Ärzte heißt es: „Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Die Landesärztekammern haben diesen Beschluss von 2011 allerdings unterschiedlich umgesetzt. Dabei entstand ein Flickenteppich von uneindeutigen Regelungen. Gerade junge Mediziner sind deshalb vielerorts verunsichert, was sie dürfen und was nicht. Manche Politiker wollen die Ärzte jetzt zu einheitlichen Regeln drängen. Bei der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz heißt es: „Ärztinnen und Ärzte dürfen das Leben der oder des Sterbenden nicht aktiv verkürzen.“

Soll Sterbehilfe ganz verboten werden?

Ein totales Verbot jeglicher Form von Sterbehilfe fordert im Parlament bislang niemand. Für ein strenges Verbot jeder Art von organisierter Sterbehilfe sprechen sich allerdings Fraktionschef Volker Kauder und zahlreiche Unionsabgeordnete aus. Auch der ärztlich assistierte Suizid soll nicht erlaubt sein, nur nahe Angehörige sollen straffrei ausgehen. Kauder argumentiert, die moderne Palliativmedizin sei in der Lage, „nahezu jedem Patienten so zu helfen, letztlich einen Tod zu sterben, der bei allem Leid noch als Teil eines menschenwürdigen Lebens angesehen werden kann“.

Gibt es weitere Vorschläge?

Allerdings. Bisher ist keineswegs gesagt, dass sich der Vorschlag aus den Unionsreihen durchsetzt. Eine Gruppe um Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) und SPD-Fraktionsvize Carola Reimann legt Eckpunkte für eine liberalere Regelung vor. Danach soll der ärztlich assistierte Suizid unter bestimmten Vorgaben ausdrücklich erlaubt sein, etwa durch das Hinzuziehen der Meinung eines zweiten Arztes. „Wir halten es für einen Verstoß gegen die Menschenwürde, wenn aus dem Schutz menschlichen Lebens ein staatlicher Zwang zum Leiden wird“, heißt es einem Eckpunktepapier der Gruppe. Organisierte Sterbehilfe durch Vereine wollen auch Hintze und Co. verbieten. Einen weiteren Vorschlag bringen die SPD-Abgeordneten Kerstin Griese und Eva Högl ein: Sie fordern vor allem „mehr Aufklärung, mehr und bessere Hospizarbeit und Palliativmedizin“. Auch Högl und Griese wollen die organisierte Sterbehilfe verbieten, aber auch Ärzten den „Freiraum sichern“, den sie „in ethischen Grenzsituationen am Ende des Lebens schon heute haben“. Hier seien die Ärzte aber selbst gefragt, „ihr Standesrecht klar zu regeln“. Die Grünen-Politikerin Renate Künast hat sich im Gegensatz zu allen anderen bisherigen Vorschlägen für eine regulierte Zulassung der Vereine ausgesprochen.

Wann wird entschieden?

Frei vom Fraktionszwang werden die 631 Abgeordneten sich in den nächsten Monaten auf Vorschläge einigen. Eine erste „Orientierungsdebatte“ soll es am 13. November geben. Danach sollen Experten gehört werden und Gesetzesentwürfe entstehen. Die endgültige Abstimmung ist erst für Ende 2015 geplant.

Rena Lehmann