Berlin

Rücktritt: Wowereit versteht sein Berlin nicht mehr

Wowereit versteht sein Berlin nicht mehr Foto: picture alliance

2001 ist der schillernde Sozialdemokrat der richtige Mann zur richtigen Zeit. Heute fragen sich manche, ob er nicht den geeigneten Termin für den Absprung verpasst hat.

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Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann

In seinem letzten Berliner Landtagswahlkampf im Jahr 2011 zeigt Klaus Wowereit noch einmal seine politische Klasse. Auf Wahlplakaten ist der Regierende Bürgermeister zu sehen, wie er sich von einem Kind einen Teddybären ins Gesicht drücken lässt und freundlich lächelt. „Berlin verstehen“ steht darunter. Mehr braucht es nicht, um den zeitweiligen Vorsprung der grünen Herausforderin Renate Künast in Nichts aufzulösen – und im Amt zu bleiben. Wowereit ist ein Phänomen. Er passt besser zu Berlin als zur SPD. Am Ende allerdings verlässt den 59-Jährigen sein außergewöhnlicher Instinkt.

Seine politische Bilanz fällt deshalb zwiespältig aus. In der Ankündigung seines Rücktritts zum 11. Dezember dieses Jahres klingt jetzt auch Enttäuschung mit. „Ich gehe freiwillig“, sagt Wowereit zwar. Doch zuletzt kann er nur noch über die Frage des Zeitpunkts mitbestimmen. Die Debatte um seine Nachfolge ist seit Monaten in vollem Gange.

Hoffnungsvoller Neuanfang

Als Wowereit 2001 Regierender Bürgermeister von Berlin wird, steht der damals 47-Jährige für einen hoffnungsvollen Neuanfang. Die CDU hat im Berliner Bankenskandal abgewirtschaftet, und Wowereit, der jüngste Sohn einer Arbeiterin aus dem Berliner Bezirk Tempelhof, kann es erstmal nur besser machen. Der Jurist macht eine klassische Parteikarriere, gilt als pragmatischer Vertreter des linken Parteiflügels. Doch seine vielleicht wichtigste Qualität: Er kennt Berlin und seine Menschen – und er hat eine Weltläufigkeit im Auftreten, die der als wurstig und provinziell verschrienen Berliner Politik bislang fehlt.

Mit dem Umzug von Parlament und Regierung im Jahr 1999 wird Berlin sichtbar zur Hauptstadt. Als Wowereit 2001 übernimmt, steht die Stadt noch immer vor einem Schuldenberg, riesigen Aufgaben, vielen Fragen. Ihm helfen sein lockerer Ton, sein Humor gepaart mit der notwendigen Kühnheit. Das Beste draus machen, heißt die Devise, angesichts der desolaten Lage der Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit, kaum Industrie.

Wowereit vermittelt trotzdem ein Gefühl von Sorglosigkeit. Es gibt ein Foto, das ihn bei der Bambi-Verleihung zeigt – in der einen Hand einen roten hochhackigen Damenschuh, in der anderen Hand eine Flasche Champagner. Er deutet auf dem Bild nur an, den feinen Trunk in den Schuh gießen zu wollen, doch das Bild bleibt haften. Fortan gilt er bei seinen Kritikern als „Party-Wowi“. Einer, der sich gern mit den Reichen und Glamourösen umgibt und weniger gern am Schreibtisch sitzt. Bei seinen Anhängern allerdings kommt es gut an, wie Wowereit sich und damit Berlin auf den roten Teppichen verkauft. Klug erkennt er, dass Berlin im Kultur- und Dienstleistungsbereich punkten kann. Fortan vermarktet „Wowi“ den ruppigen Charme Berlins bei Messen, Empfängen und Festivals. Das Image der eher ungewöhnlichen Metropole, in der es noch Abenteuer zu erleben und Brachflächen zu bespielen gibt, fasst er in dem legendären Spruch, Berlin sei „arm aber sexy“, zusammen.

Wowereit hat das richtige Gespür für die Berliner. Er vermittelte ihnen auch das angenehme Gefühl, dass sich nicht alles ändern muss, und das in einer Zeit der großen Umbrüche. Wowereit wirbt erfolgreich für Berlin. Die Stadt gilt heute als eine der modernsten und sehenswertesten Metropolen Europas. Touristen und Kreative aus der ganzen Welt kommen, um von im Vergleich immernoch günstigen Mieten und der kreativen Aufbruchstimmung zu profitieren. In das chronisch arme Berlin ist Bewegung gekommen.

Gessellschaftspolitische Verdienste

Auch gesellschaftspolitisch hat Wowereit seine Verdienste. Kurz bevor er sich 2001 zur Wahl stellt, erklärt er in aller Öffentlichkeit: „Ich bin schwul, und das ist gut so.“ Er ist der erste prominente deutsche Politiker, der sich so offen zu seiner Homosexualität bekennt. In der Folge wagen auch andere diesen Schritt.

Wowereit hat einen Instinkt für den richtigen Moment und den richtigen Ton. Und für Stimmungen im Volk. Im Wahlkampf verteilt er in West-Berlin Rosen an ältere Damen. Er kann mit Kopftuchträgerinnen in Kreuzberg genauso charmant plauschen wie mit Filmstars auf dem roten Teppich. Dafür lieben ihn die Berliner. Doch die Zuneigung hat zuletzt nachgelassen, und auch Wowereit ist unter dem Liebesentzug dünnhäutiger geworden.

Die weniger erfolgreichen Tage seiner Amtszeit beginnen bereits im Jahr 2012. Als zwei Wochen vor der geplanten Eröffnung des Berliner Großflughafens bekannt wird, dass der Termin nicht zu halten sein würde, beginnt Wowereits Stern schlagartig zu sinken. Der Flughafen, dessen Eröffnung er gern als Höhepunkt seiner Amtszeit als Regierungschef der Hauptstadt gefeiert hätte, ist bis heute nicht in Betrieb. Viele Hundert Millionen Euro wurden womöglich umsonst in den brandenburgischen Sand gesetzt. Und Wowereit trägt als damaliger Aufsichtsratschef die Verantwortung. 2012 allerdings scheint er selbst noch anzunehmen, die Pannen am BER mit einem Rückzug aus dem Aufsichtsrat zu überstehen.

Doch mit den immer neuen Erkenntnissen über schlampige Bauarbeiten, verpatzte Fristen und fehlende Kontrollen lässt sich unter den Skandal kein Schlusstrich ziehen. So sehr Wowereit sich offenbar wünschte, den Flughafen zu „seinem“ Projekt für Berlin zu machen, so sehr klebt nun der Misserfolg an seinem Namen. Das ganze Land lacht über die Hauptstadt und ihren Pannen-Flughafen, wieder mal. Das finden selbst die duldsamen Berliner nicht mehr lustig. Wowereits Beliebtheitswerte sind in den Keller gesunken. Ein Ende des Flughafen-Debakels ist nicht in Sicht. Der Regierungschef geht am Tiefpunkt seiner politischen Karriere.