Athen

Referendum spaltet die Griechen zutiefst

Tsipras mit Anhängern
Alexis Tsipras lässt sich feiern. Foto: Orestis Panagiotou

Alexis Tsipras genoss die Aufmerksamkeit. Von seinen Anhängern ließ der griechische Ministerpräsident sich vor dem Wahllokal wie ein Popstar feiern. Im Scheinwerferlicht der TV-Kameras nahm er sich bei der Stimmabgabe demonstrativ viel Zeit, um den Wahlumschlag zuzukleben.

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Von Hubert Kahl und Takis Tsafos

Die kurzfristige Ansetzung des Referendums in dem von der Pleite bedrohten Land hatte dem Regierungschef in anderen EU-Staaten viel Kritik eingebracht. Aber Tsipras sieht sich nicht als ein Quertreiber, sondern als ein Vorkämpfer eines neuen Europas.

Die Fahnen Griechenlands und der EU im Zentrum von Athen.

Kay Nietfeld/ Kay Nietfeld

Die Griechen stimmen über den künftigen Spar- und Reformkurs des Landes ab.

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Wahllokal in Athen: Bis 18.00 Uhr können die Griechen ihre Stimme abgeben.

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„Ja“ oder „Nein“ – dem Referendum waren Monate voll quälender Verhandlungen mit den Geldgebern des Landes vorangegangen.

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Regierungschef Tsipras zeigte sich bei der Abgabe seines Stimmzettels gut gelaunt.

Orestis Panagiotou/ Orestis Panagiotou

Ein Grieche wirft in einem Wahllokal in Athen seinen Stimmzettel in die Wahlurne.

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Eine junge Griechin scheint sich über die Tendenz zu einer «Nein»-Mehrheit bei den Umfragen zu freuen.

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Von oben: Bereits abgegebene Stimmzettel in einem Wahllokal in Athen.

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„Ich bin sicher, dass wir für alle Völker Europas einen neuen Weg öffnen werden“, verkündete er auf einem Podest, das im Wahllokal aus Paletten für ihn errichtet worden war. Die Abstimmung über die Reform- und Sparvorschläge der internationalen Geldgeber war in seinen Augen ein „Festakt“.

Viele Griechen konnten den Optimismus ihres Premiers nicht nachvollziehen. Sie befürchten, dass die von Tsipras vertretene Linie des „Ochi“ (Nein) zu den Forderungen der Gläubiger das Land aus der Euro-Zone hinausführen und in ein Wirtschaftschaos stürzen werde. „Ich möchte nicht in die 60er- und 70er-Jahre zurückgeworfen werden“, sagte eine Athener Rentnerin auf dem Weg ins Wahllokal. Eine Begleiterin sprang ihr besorgt bei: „Ich auch nicht, auf keinen Fall. Ich will weiterhin zu Europa gehören.“

Knapp zehn Millionen Griechen waren aufgerufen zu entscheiden, ob sie die Reform- und Sparvorschläge der Geldgeber akzeptieren. Neben der Fragestellung, die in einem schwer verständlichen Text formuliert war, konnten sie ein Kreuz oben neben dem „Ochi“ oder unten neben dem „Nai“ (Ja) machen. Wer sich der Stimme enthalten wollte, konnte einen weißen Zettel in den Umschlag stecken.

Internationale Medien sahen in dem Referendum eine historische Entscheidung nicht nur für Griechenland, sondern auch für die Zukunft Europas. „Die Griechen entscheiden über das Schicksal des Euro und der Europäischen Union“, titelte die spanische Zeitung „El País“.

In Griechenland löste das Referendum eine Spaltung der Bevölkerung in zwei politische Lager aus. Die Teilung reichte zuweilen sogar bis in die Familien hinein. „Kann ich dich vielleicht im letzten Moment noch dazu bewegen, doch mit Ja zu stimmen?“, rief ein Athener seiner Gattin im Stimmlokal zu. „Ochi“, war die prompte Antwort der Frau, die damit zugleich klarstellte, dass sie mit Nein votieren würde.

Bei der Abstimmung geriet ein wenig in Vergessenheit, dass das Referendum keinen Ausweg aus der dramatischen Krise des Landes weisen wird. In diesem Punkt waren sich – ausnahmsweise – auch die sonst so debattierfreudigen Kommentatoren der TV-Sender einig. „Egal, ob bei der Abstimmung das Ja oder das Nein gewinnen wird, die Probleme des Landes werden dieselben bleiben“, meinten sie unisono.

Seit einer Woche sind Griechenlands Banken geschlossen. Die Griechen können an den Geldautomaten von ihren Konten pro Tag nur 60 Euro abheben. Die Rentner müssen mit 120 Euro in der Woche auskommen. „Wann werden die Banken wieder öffnen?“, fragen die Griechen sich besorgt. „Wird es demnächst überhaupt kein Geld mehr aus den Automaten geben?“ In der Bevölkerung machte sich zudem die Angst breit, Bankguthaben könnten – ähnlich wie auf Zypern – gekürzt werden, um Geldhäuser vor dem Zusammenbruch zu bewahren.

Die Regierung versuchte, solche Befürchtungen zu zerstreuen. Sie bestritt, dass es Pläne für eine Kürzung von Guthaben gebe. Die Banken sollten am Dienstag wieder geöffnet werden, versicherte Finanzminister Gianis Varoufakis. Er fügte allerdings hinzu, dass dazu eine Einigung mit den Geldgebern erforderlich ist. Und niemand kann sagen, wann es ein Übereinkommen geben wird.

Die von der Regierung verhängten Kapitalverkehrskontrollen haben bereits Auswirkungen in Teilen der Wirtschaft. Besonders betroffen ist der Tourismus, die wichtigste Stütze der Volkswirtschaft. Die Hoteliers beklagten einen drastischen Rückgang der Buchungen – vor allem aus dem Inland. „Man hat den Tourismus zerschmettert“, meinte der Hotelbesitzer Dimitris Skalidis in der Gegend Nafplion auf dem Peloponnes. „Es kommt kein Grieche mehr, weil alle sparen müssen.“

Die Lebensmittelhersteller warnten, dass in den nächsten Tagen bestimmte Nahrungsmittel knapp werden könnten. Dies dürfte vor allem für Fleisch- und Milchprodukte gelten, die Griechenland größtenteils aus dem Ausland bezieht und die die Importeure wegen der Zahlungsbeschränkungen nicht mehr beschaffen können.