Referendum am 18. September: Sagen die Schotten Goodbye?

Als aus vagen Gerüchten konkrete Zahlen wurden, blieb im Londoner Regierungsviertel vielen die Luft weg. Erstmals waren in einer Umfrage ganz knapp mehr Schotten für die Unabhängigkeit als dagegen: 51 zu 49 Prozent. „Jetzt wird es richtig ernst“ – diese Erkenntnis traf so manchen im Süden der Insel wie ein Schlag.

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Das Ergebnis bedeutet nicht, dass Schottland am 18. September „Bye-bye“ sagt zur Union. Erstens kommt eine andere Umfrage zum umgekehrten Ergebnis. Zweitens haben sich auch dem Institut YouGov gegenüber nur 47 Prozent für die Unabhängigkeit ausgesprochen, die „Weiß nicht“-Antworten sind bei den 51 Prozent herausgerechnet. „Ein Unterschied von 2 Prozentpunkten ist zu gering, als dass wir eine zuverlässige Vorhersage machen könnten“, kommentiert YouGov-Chef Peter Kellner. Aber jetzt ist endgültig klar, dass das Rennen zwischen Yes und No zur Unabhängigkeit ganz knapp ausgehen wird.

Ende des UK nach über 300 Jahren?

„Soll Schottland ein unabhängiges Land werden?“, fragt der Stimmzettel die rund 4,2 Millionen Wahlberechtigten. Unabhängig heißt: losgelöst vom Staatsgebilde des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, in dem die Schotten seit dem Union Act von 1707 aufgegangen sind – nach mehreren zuvor erfolglosen englischen Versuchen der gewaltsamen Annexion.

London bleiben nur noch wenige Tage, um den Zerfall des Königreichs zu verhindern. Zuletzt sahen die Politiker dabei eher hilflos aus. Labour-Chef Ed Miliband warb wenig überzeugend dafür, dass mit einem Wahlsieg seiner Sozialdemokraten bei den Unterhauswahlen im Mai doch alles besser werde. Dann sprach er über Grenzen, die entstehen würden – und sprang damit auf den Zug von Schwarzmalerei und Drohung auf, der bei den Schotten höchstens Trotz hervorruft.

Britischer Premier ist nervös

Für Premierminister David Cameron sähe es düster aus, würde er flächenmäßig ein Drittel seines Landes verlieren. Seine Regierung versucht nun eine Art politischen Bestechungsversuch: Die Schotten sollen mehr Rechte bekommen, etwa bei der Steuer- oder Finanzpolitik, kündigte Schatzkanzler George Osborne an. Die Idee ist nicht neu, Schottlands Regierungschef Alex Salmond wollte sie sogar beim Referendum mit auf den Stimmzettel schreiben. Cameron hat das verhindert. Bei einer reinen Rein-oder-raus-Entscheidung würden die Schotten sich nicht trauen zu gehen, so sein Kalkül. Er lag falsch. Jüngst gab er zu: „Ich bin nervös.“

Etwas Wind könnte London dem Yes-Lager mit den Zugeständnissen aus den Segeln nehmen. Umfragen zufolge wünschen sich viele Schotten einen Mittelweg: mehr Eigenständigkeit, aber kein endgültiger Abschied aus der Union. Dafür können sie nun zwar nicht stimmen. Aber eine glaubhafte Alternative zum Weiter-wie-Bisher dürfte manche dazu bringen, ihr Kreuzchen bei No zu setzen auf die Frage, ob Schottland ein unabhängiger Staat sein soll.

Wo alle Argumente seit Wochen ausgetauscht sind, entscheiden aber wohl letztlich Emotionen über die Zukunft der Schotten. Dem Redetalent und Charisma eines Alex Salmond haben die Rest-Briten wenig entgegenzusetzen. Eine Chance hätte sicher die Queen, denn an der Monarchie will Schottland auch in der Selbstständigkeit festhalten. Doch Elizabeth II. bezieht politisch grundsätzlich keine Stellung. Dass eine „hochrangige Palastquelle“ der „Times“ verrät, die Königin sei besorgt, dürfte in der Debatte schon das Äußerste an royaler Beteiligung sein.

Vorstoß zu spät ernst genommen

Als 2011 die schottischen Wähler mit einer absoluten Mehrheit im Regionalparlament für Salmonds Unabhängigkeitspartei SNP die Voraussetzungen für ein Referendum schufen, traf dies Westminster völlig unvorbereitet. Salmond und seine Leute hatten schon sehr konkrete Pläne – etwa zum Wahlalter oder zur Formulierung der Fragestellung – geschmiedet, als London die Möglichkeit einer Abspaltung Schottlands noch überhaupt nicht ernst nahm, wie parteiinterne Kritiker Camerons bemängeln.

Dabei wären die Folgen einer schottischen Unabhängigkeit für den Rest Großbritanniens – je nach Ansicht des jeweils urteilenden Experten – schwerwiegend bis verheerend. Großbritannien würden die Steuereinnahmen aus der Erdölindustrie praktisch komplett wegbrechen. Und allein die schottischen Whisky-Brennereien zahlen derzeit jährlich 1 Milliarde Pfund in die Londoner Steuerkasse ein, die dem Schatzkanzler ab 2016 fehlen würde. Die Suche nach einem neuen Hafen für die 160 auf britischen U-Booten stationierten Atomsprengköpfe würde weitere Milliarden verschlingen.

Cameron steht während der gesamten Kampagne vor dem Problem, dass seine konservative Tory-Partei in Schottland sehr unpopulär ist. Die Tories konnten dort bei der Wahl 2010 nur einen Parlamentssitz erringen. So musste er die Anti-Unabhängigkeitsdebatte vom schottischen Labour-Mann Alistair Darling führen lassen. Dessen Wahlkampf wurde von Londoner Tories teils als „komatös“ gegeißelt. Immerhin ließen sich eine Reihe englischer Prominenter wie Mick Jagger, Paul McCartney oder Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling für den Zusammenhalt des Landes einspannen. Aufseiten der Unabhängigkeitsbewegung konterten Prominente wie James-Bond-Darsteller Sean Connery oder Tennis-Star Andy Murray.

Teresa Dapp/Michael Donhauser