Referendum: Ja oder Nein zur EU? Griechen am Scheideweg

Griechenland am Scheideweg – am Sonntag stimmt die Bevölkerung über die Zukunft des Landes ab. Ja oder Nein? Die Meinungen über die richtige Wahl gehen auseinander.

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Eleni Terkisidou hat Angst. „Ich habe Tsipras gewählt, aber ich fürchte mich vor einem Grexit“, sagt die 49 Jahre alte Inhaberin eines Inneneinrichtungsgeschäfts in Athen. „Ich will am Sonntag für Ja stimmen“, sagt sie – entgegen der Empfehlung des Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Seit dieser die Volksabstimmung über den Streit mit den Geldgebern angekündigt hatte, habe sie etwa 50 Prozent weniger Kunden.

Mittlerweile geht es etlichen Griechen wie ihr. Mit seinem Schlingerkurs und den nicht absehbaren Folgen des für diesen Sonntag angesetzten Referendums verwirrt Tsipras nicht nur die Verhandlungspartner in Brüssel, sondern teilweise auch seine Landsleute.

Der Tsipras-Kurs gibt den Menschen Rätsel auf

Der Tsipras-Kurs gibt Menschen im Land immer mehr Rätsel auf. „Er hat keinen Plan für den Fall, dass er das Referendum gewinnt“, kritisiert die 20-jährige Jurastudentin Alezini Loxa, die sich eigentlich als Tsipras-Unterstützerin bezeichnet. Die angesehene linksliberale Onlinezeitung „To Vima“ rechnete nun schonungslos mit Tsipras ab: „Herr Ministerpräsident, das Land ist dank Ihrer Fehler und ihrer Entscheidungen praktisch bankrott“, schrieb das Blatt in einem Leitartikel, der wie ein Brief an den Regierungschef abgefasst war. „Erkennen Sie endlich an, dass Sie das Volk in ein spalterisches Referendum führen.“

Befürworter und Gegner der Tsipras-Linie stehen sich mittlerweile immer erbitterter gegenüber. Auf den Straßen der Hauptstadt Athen – mit mehr als vier Millionen Menschen der mit Abstand größte Ballungsraum des Landes – demonstrieren nahezu täglich Tausende für oder gegen den Kurs des Ministerpräsidenten.

Auch innerhalb der Links-rechts-Regierung löst das geplante Referendum nun Spannungen aus. Beim rechtspopulistischen Koalitionspartner ANEL (Unabhängige Griechen) verlangten Abgeordnete, die Volksabstimmung abzusagen. Andere kündigten an, entgegen der Empfehlung von Tsipras mit Ja zu stimmen.

Erstmals brach nun auch der ehemalige konservative Ministerpräsident Kostas Karamanlis (2004-2009) nach Jahren sein Schweigen und wandte sich in einer symbolisch bedeutsamen Ansprache ans griechische Volk. Der Neffe des früheren Staatspräsidenten Konstantin Karamanlis beschwor die Menschen, für Ja und für Europa zu stimmen – „nicht aus finanziellen Gründen, sondern damit Griechenland im Herzen Europas bleibt“. Sein Onkel hatte 1974 nach der Militärdiktatur die Demokratie in Griechenland gestärkt und das Land Anfang der 1980er-Jahre in die Europäische Gemeinschaft (EG) geführt.

Währenddessen bildeten sich im Land auch nach Tagen der Kapitalverkehrskontrollen und der geschlossenen Banken wieder einige Schlangen vor Geldinstituten und -automaten. 1000 Filialen in ganz Griechenland öffneten wie bereits am Vortag ausschließlich für Rentner, die keine Bankkarten haben. Sie sollten so an Bargeld kommen.

Angesichts dieser Situation gewinnen einige Menschen dem Referendum noch ganz andere positive Seiten ab. „Ich bekomme als Wahlhelferin 387,44 Euro“, sagt die 33 Jahre alte Rechtsanwältin Nasia Charisi. „Davon kann ich für zwei Monate Essen kaufen.“

Und was sagen die Griechen in Deutschland? Den Stuttgarter Taxifahrer Iordanis Georgiadis fragen Kunden täglich nach der Lage in Griechenland. „Es ist ganz klar, dass es sich so nicht weiterleben lässt“, sagt der 42-Jährige dann. „Ohne Reformen wird es keinen Wirtschaftsaufschwung geben.“ Wäre er am Sonntag in seinem Heimatland, würde er mit Ja für die Sparforderungen der Geldgeber stimmen.

In Deutschland leben nach Zahlen des Statistischen Bundesamts rund 329 000 Griechen. Sie haben hierzulande allerdings keine Möglichkeit, an dem Referendum teilzunehmen. Wenn sie abstimmen wollten, müssten sie das in Griechenland tun, heißt es bei der Botschaft in Berlin. Fern der Heimat verfolgen sie die Entwicklungen fieberhaft.

In der Waldschenke in Erlangen läuft ein griechisches Fernsehprogramm. Christos Rantzoglou schaut angespannt zu. Er lebt seit 1965 in Deutschland. Vor Kurzem hat er Verwandte in Griechenland besucht. „Die Leute sind einfach fassungslos.“

Aus den griechischen Nachrichten hofft Rantzoglou irgendeinen Hinweis darauf zu bekommen, wie das Referendum ausgehen könnte. Rantzoglou ist für einen Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone. Sollten auch neue Umfragen wieder einen knappen Ausgang vorhersagen, will der Gastwirt noch am Samstag die Koffer packen und nach Griechenland reisen. „Dann zählt jede Stimme.“

Szenenwechsel: Der 67-jährige Nikolaus Chidiroglou betreibt ein Restaurant in der Ulmer Innenstadt. Die Krise in seinem Heimatland Griechenland macht ihn rasend. „Die griechischen Politiker haben alles kaputtgemacht. Das ist eine Katastrophe!“, sagt er und beschwert sich über zu hohe Schulden, zu hohe Renten, zu viele Beamte in seiner alten Heimat. „Wie kann ein Land da nicht kaputtgehen?“

Geht es um die anstehende Volksabstimmung seiner Landsleute, wird sein Ton zornig. „Ja! Ja! Ja!“, ruft er dann und klopft wütend auf den Tisch. Und: „Wer was in der Birne hat, muss mit Ja stimmen!“

Für den Barkeeper Dimitrios Chochlakas in Stuttgart ist dagegen klar, wie die Abstimmung am Sonntag ausgehen wird: „Jeder sagt Nein, auf jeden Fall“, meint er. Die Ablehnung der Sparforderungen hält der 23-Jährige auch für die richtige Wahl. „Ich finde es nicht gut, dass Menschen so behandelt werden.“ Die Leute bekämen derzeit so wenig Geld, dass keiner davon wirklich richtig leben könne.

„Kanzlerin Merkel sagt, nein bedeutet raus“

Allerdings ist Chochlakas auch überzeugt davon, dass ein Nein der Griechen nicht den Ausstieg aus der Europäischen Union bedeuten würde. „Tsipras sagt: Nein bedeutet nicht raus.“ Sein Kollege Apostolos Balaskas hält dagegen: „Merkel sagt: Nein bedeutet raus.“ Zunächst habe keiner gewusst, was die Abstimmung am Sonntag nun heiße, sagt der 27-Jährige.

Sollten die Griechen bei der Volksabstimmung am Sonntag mehrheitlich mit Nein stimmen, befürchtet der Taxifahrer Georgiadis „das absolute Chaos“. Sein Schwager in Thessaloniki überlegt nach Worten des Taxifahrers bereits, seine komplette Belegschaft freizustellen.

Der Unternehmer schneidert hochwertige Mode für deutsche Unternehmen. Es sei einfach kein Geld mehr im Umlauf, sagt Georgiadis. Für die schwierige Lage der Menschen in Griechenland hätten seine Taxikunden meist Verständnis. Sie würden auch stets bezahlen – trotz der gelegentlich geäußerten eindeutigen Griechen-Scherze.

Alkimos Sartoros/Kathrin Lauer