London

Referendum: Cameron will Briten über EU abstimmen lassen

Es ist der Augenblick, auf den das Königreich seit Jahren gewartet hat. David Cameron schaut direkt in die Kamera, er senkt die Stimme, die unruhige Hand des Premiers auf dem Rednerpult zerhackt seinen gleichmäßigen Redefluss zu einem harten und entschlossenen Rhythmus:

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„Es wird Zeit, dass die Briten ihre Meinung sagen. Es wird Zeit, die Frage über Großbritannien in Europa zu beantworten.“

Das Schicksal liegt in den Händen des Volkes

Im Konferenzraum der Wirtschaftsagentur Bloomberg in der Londoner City war es still. Dafür knallten vermutlich woanders auf der Insel die Sektkorken, als die britischen Euro-Skeptiker am Mittwoch die „historische“ Entscheidung in der Downing Street feierten. Cameron verpflichtete die zukünftige konservative Regierung des Königreichs dazu, im Falle seiner Wiederwahl 2015 binnen zwei Jahren ein Referendum über den Verbleib des Königreichs in der EU abzuhalten.

„Die Briten werden das Schicksal ihres Landes bestimmen können“, versprach Cameron. „Die Frage wird einfach sein: rein oder raus?“ Der Tory-Premier hatte in den vergangenen Monaten seine außenpolitische Grundsatzrede mehrfach verschoben und damit die Erwartungen in Großbritannien hochgeschraubt. Zur größeren Wirkung in Europa hätte die Ansprache am vergangenen Freitag in der britischen Botschaft in Amsterdam gehalten werden sollen.

Wegen der Geiselkrise in Algerien musste jedoch Cameron seine Pläne kurzfristig ändern. Absichtlich oder versehentlich verbreitete Downing Street am Wochenende einige Auszüge aus dem Manuskript unter den politischen Korrespondenten in der Hauptstadt. So erfuhren die Briten, dass ihr Regierungschef eigentlich eine „positive Vision“ für Europa habe und sein Land auch in Zukunft als ein EU-Mitglied sehe.

Allerdings enthielten die veröffentlichten Passagen auch eine deutliche Warnung an Camerons Amtskollegen auf dem Kontinent. Die EU müsse sich radikal verändern: „Sonst besteht die Gefahr, dass sie scheitert und dass das britische Volk dem Austritt entgegendriftet.“

Am Mittwoch erklärte der 46- jährige Konservative daraufhin in fünf Schritten, wie er sich ein „besseres Europa des 21. Jahrhunderts“ vorstellt. Wenig überraschend sieht die britische Regierung keine politische Union, sondern einen großen Gemeinschaftsmarkt „im Herzen der EU“.

Europas wichtigstes Ziel müsse es daher sein, den Wohlstand seiner Bürger zu sichern, fordert Cameron. Dafür sei es notwendig, den Bürokraten in Brüssel den Geldhahn zuzudrehen und ein verschlanktes Europa im „globalen Rennen“ konkurrenzfähig zu machen.

Der Tory-Premier zählt die Flexibilität, Rückgabe von Kompetenzen an die Mitgliedstaaten, bessere demokratische Kontrolle durch die Länderparlamente und größere Fairness zu den weiteren prinzipiellen Merkmalen des neuen Europas.

Ein Vorreiter von großen Reformen

Cameron legte am Mittwoch der EU keine konkreten Forderungen seines Landes vor, er machte jedoch klar, dass er sich als „Vorreiter“ der fundamentalen Reformen für einen veränderten EU-Vertrag einsetzen werde.

Er hält diese politische Lösung für realistisch und verhandelbar. Und falls seine Landsleute 2017 anders entscheiden? „Ich bin kein Isolationist, ich will nicht die Hängebrücke hochziehen“, behauptet der Premier. „Wenn wir eine neue Regelung erreichen, werde ich dafür beim Referendum mit Leib und Seele werben. Aber natürlich könnte Großbritannien auch seinen eigenen Weg in der Welt gehen.“

Das versprochene „Schicksalsreferendum“ sorgte am Mittwoch in London für eine heftige Diskussion im Westminster- Parlament. Die Konservativen stellten sich geschlossen hinter den Parteichef. Auch Camerons interne Kritiker erklärten sich mit der Lösung „völlig zufrieden“. Dagegen warf Labour dem Premier ein „gefährliches Spiel“ vor. Als Oppositionsführer schloss Ed Miliband für seine Partei ein „Rein-oder- Raus-Referendum“ aus. Es sei „völlig verrückt für ein Land, die größte politische Union der Welt verlassen zu wollen“, kommentierte in einem Radiointerview der Ex-Premier Tony Blair den Vorstoß des heutigen Regierungschefs. Auch Camerons liberaler Koalitionspartner und Vize- Premier Nick Clegg kritisierte den neuen Kurs seiner Regierung.

„Die langwierigen Verhandlungen mit Europa über unsere Mitgliedschaft werden Unsicherheit erzeugen und damit das Wachstum und die Arbeitsplätze bedrohen. Das kann nicht in unserem nationalen Interesse sein“, erläuterte Clegg seine Befürchtungen.

Von unserem Londoner Korrespondenten Alexei Makartsev