Moskau

Porträt: Putin narrt die Welt mit Lügen

Der Kremlchef ist tief im Denken des Kalten Kriegs verhaftet. Der Westen ist in seine Augen meist der Schuldige.
Der Kremlchef ist tief im Denken des Kalten Kriegs verhaftet. Der Westen ist in seine Augen meist der Schuldige. Foto: dpa

Einst betrachtete der Westen Wladimir Putin als Hoffnung für ein neues Russland. Gerhard Schröders Urteil, sein Duzfreund sei ein „lupenreiner Demokrat“, erwies sich zwar schnell als bizarre Fehleinschätzung. Trotzdem versuchten gerade die Deutschen lange Zeit, sich Putin schönzureden.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Von unserer Osteuropa-Korrespondentin Doris Heimann

Man wollte doch daran glauben, dass zwischen Deutschland und Russland eine unverbrüchliche Freundschaft möglich sei. Und dass sich Russland – bei allen zwischenzeitlichen Rückfällen – doch langsam westlichen Werten annäherte. Jetzt nehmen viele die rosarote Brille ab und reiben sich verwundert die Augen. Keine Lüge ist Putin zu dreist, keine Erklärung zu hanebüchen, um die russische Aggression in der Ukraine zu rechtfertigen.

Zum Ziel des eigenen Machterhalts ist er bereit, den Frieden in Europa zu gefährden. Hochrangige westliche Diplomaten in Moskau haben für den Kurs des Kremls nur ein Wort: „unberechenbar“. Und mehr als 14 Jahre, nachdem Putin zum Amtsnachfolger Boris Jelzins erkoren wurde, rätselt die Welt genauso wie damals die US- Journalistin Trudy Rubin: Who is Mr. Putin? – Wer ist Putin?

Der Kremlherr selbst schottet sich seit Beginn des Ukraine-Konflikts immer stärker ab. Früher war es üblich, dass sich die Präsidialadministration bei wichtigen Angelegenheiten mit Experten beriet, sagt der Moskauer Politologe Jewgeni Mintschenko, der sich mit der Machtelite beschäftigt. Seit Beginn des Jahres, als die Ereignisse in der Ukraine kulminierten, gebe es diese Konsultationen nicht mehr.

Kleiner Beraterzirkel entscheidet

Über Fragen wie die Annexion der Krim oder die militärische Einmischung in der Ostukraine entscheidet nun ein kleiner Zirkel von Putin-Beratern, von denen die meisten Geheimdienstvergangenheit haben. Der Präsident, der das Internet nur selten nutzt, liebt seine Information kurz und übersichtlich: Wie der „Guardian“ von Kremlinsidern in Erfahrung brachte, haben Putins Helfer seit Kurzem Anweisung, Berichte so vorzulegen, dass sie bei einer riesigen Schriftgröße von 18 Punkt nicht mehr als drei Seiten umfassen. Das vereinfacht die Sicht der Dinge.

„Putin hat die Fähigkeit, sich selbst vollkommen von Dingen zu überzeugen, die er gern glauben möchte“, sagt der Moskauer Journalist Arkadi Dubnow, der den Präsidenten aus Diskussionsrunden kennt. In Russland lautet ein geflügeltes Wort über Geheimdienstagenten: „Bywschich ne bywajet – Ehemalige gibt es nicht.“ Als Ex-KGB-Mann hält Putin an einem überkommenen Denksystem fest, so realitätsfern es auch sein mag.

Unmut stets von außen gesteuert

Dazu gehört die Überzeugung, dass Demonstrationen und erst recht Revolutionen nicht daraus resultieren, dass eine kritische Masse zu einem bestimmten Punkt genug haben kann. Unmutsbekundungen dieser Art, so Putins Logik, sind immer von außen gesteuert. Als 100 000 Russen 2011 gegen gefälschte Dumawahlen auf die Straße gingen, beschuldigte Putin das US-Außenministerium, die Demonstranten zu bezahlen. „Gut, das sind Studenten, sollen sie sich was dazuverdienen“, verhöhnte er die Unzufriedenen. Auch bei der Maidan-Revolution, so die Lesart des Kremls, haben die Amerikaner die Demonstranten bezahlt. Eine abstruse Vorstellung: In Kiew waren monatelang bis zu einer halben Million Menschen auf der Straße.

Schon bei der Sicherheitskonferenz in München im Februar 2007 zeigte Putin, wie sehr er im Freund-Feind-Schema des Kalten Krieges gefangen ist. Seine Rede war ein Frontalangriff gegen die USA. Moskau dulde die USA nicht mehr als einzige Weltmacht. „Wir sind Zeuge einer ungezügelten Macht, die die grundlegenden Regeln des Völkerrechts verachtet.“ Anderen Staaten würden Regeln aufgedrängt, die sie nicht wollten. „Wem kann das schon gefallen?“, rief Putin.

Der Ukraine-Konflikt hatte seinen Ursprung in dem Streit, ob das Land ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen soll oder nicht. Für die Ukrainer wurde daraus ein Kampf darum, in Freiheit und Demokratie leben zu können – ohne Korruption und Despotie wie in Russland. Doch Putin konnte diese Entwicklung nicht zulassen. In der Logik seiner Münchner Rede war dies alles das Werk der Amerikaner und der Nato, die in den russischen Hegemonialbereich vordringen wollen. Mit diesem Argument jedenfalls verteidigte Putin im Nachhinein, was er zunächst abgestritten hatte: die russische Annexion der Krim.

Den Westen sollte es beunruhigen, dass eine überwältigende Mehrheit der Russen offenbar genauso denken wie ihr Präsident. Nach einer Umfrage des unabhängigen Levada-Zentrums unterstützten im August 87 Prozent die Handlungen des Kremlchefs. Gäbe es demnächst eine Präsidentenwahl, würden 82 Prozent der Russen Putin wählen.

Nur einmal wurde zuletzt Kritik an seinen Äußerungen laut. Als Putin bei seiner Livefernsehshow gefragt wurde, ob er nicht wieder heiraten wolle, antwortete er: „Erst mal muss ich meine Ex-Gattin Ljudmila wieder unter die Haube bringen.“ Der paternalistische und verächtliche Ton missfiel vielen Russinnen. Aber vielleicht sagt er viel über den Menschen Wladimir Putin aus.