Berlin

Polit-Talkshows: Sendungen sind besser als ihr Ruf

Jeden Abend auf ein Neues: Die erfolgreichsten Talkshows schaffen es, ihren Gästen Reaktionen und verständliche Antworten zu entlocken. Viele von ihnen sind heute sehr viel besser, als ihr Ruf, die Einschaltquoten können sich sehen lassen.
Jeden Abend auf ein Neues: Die erfolgreichsten Talkshows schaffen es, ihren Gästen Reaktionen und verständliche Antworten zu entlocken. Viele von ihnen sind heute sehr viel besser, als ihr Ruf, die Einschaltquoten können sich sehen lassen. Foto: Illustration von Svenja Wolf

Die politischen Talkshows sind zum ständigen Grundrauschen der Berliner Republik geworden. Nach vielen Debatten über Sinn und Qualität hat sich eine Handvoll von ihnen bei hohen Einschaltquoten etabliert. Schlimmste Befürchtungen, der Dauer-Talk auf vielen Kanälen könnte den politisch interessierten Bürger völlig vergrätzen, haben sich nicht bestätigt.

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Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann

Die meisten Polit-Gesprächsrunden sind besser als ihr Ruf. Selten, aber durchaus ab und zu werden sie sogar zu echten Sternstunden des Fernsehens. Richtig gut sind sie, wenn sie es dem Zuschauer ermöglichen, Spitzenpolitiker unmittelbar zu erleben. Dazu müssen und können sie nicht immer perfekt sein. Es kommt vor, dass auch einem Günther Jauch das Gespräch mit einem wortgewandten Salafisten entgleitet. Aber selbst das kann für den Zuschauer lehrreich sein.

Den ersten großen Streit darüber, wie sinnvoll das politische Gespräch vor laufenden Kameras sein kann, hatte die Mutter der ersten großen Talkrunde nach amerikanischem Format, Sabine Christiansen, auszuhalten. Christiansen moderierte den Talk zur besten Sendezeit am Sonntagabend im Ersten von 1998 bis 2007. Sie spaltete das Land in jene, die ihre Sendung unerträglich fanden, und die anderen, die sie liebten. So sehr wie ihre gleichnamige Show polarisiert heute kaum noch ein Format. Außer vielleicht manchmal „Markus Lanz“, wenn er einen besonders schlechten Tag hat.

Der CDU-Politiker Friedrich Merz attestierte Christiansen damals, sie würde mit ihrer Show die politische Agenda der nächsten Woche setzen. Merz sprach sogar von der Talkshow als „Ersatzparlament“. Dazu ist es nicht gekommen, auch nicht mit mehr Sendungen. Heute wird in den öffentlich-rechtlichen Programmen fast jeden Abend debattiert. Die Sendungen präsentieren informierende Einspieler, konfrontieren ihre Gäste mit gesammelten Fakten. Das macht die Shows relevanter. Frank Plasberg, Sandra Maischberger, Anne Will und Maybrit Illner talken um die Wette, jeder auf seine Art.

Während Illner hart nachhakt und auch weniger bekannte Fachpolitiker aus der zweiten Reihe zu Wort kommen, geht es bei Plasberg um den geordneten Faktencheck unter seiner Anleitung. Anne Will ist auf ihrem neuen Termin am Mittwochabend etwas ins Abseits geraten, steht aber weiter für den eher unaufgeregten, hintergründigen Talk. Sandra Maischberger setzt auf den menschlichen Zwischenton, in ihrer Sendung wird es in der Regel gefühliger. Auch die Privatsender zogen nach. Unterhaltungsmann Stefan Raab setzt mit seinem Turbo-Talk „Absolute Mehrheit“, bei dem die Zuschauer am Ende einen Sieger wählen dürfen, seit 2012 noch ein neues Format drauf.

Vor allem die ernsten Formate werden oft zum Gesprächsstoff. Bei Jauch etwa wurde mitten in der Krise mit der Ukraine ein erstes Interview eines ARD-Kollegen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgestrahlt. Schon während der Sendung begann in den sozialen Medien eine Paralleldebatte zu seinen Aussagen.

Auch das ist ein neues Phänomen politischer Debatten. Während des Sehens werden Meinungen über Facebook und Twitter mit Freunden ausgetauscht oder an die Redaktionen gesendet. Formate wie „Hart aber fair“ bauen die Fragen der Zuschauer gleich in die Sendung mit ein.

Das Echo auf die Jauch-Sendung mit Putin ist geteilt. Viele schätzen es, dass der russische Präsident sich erklären konnte. Andere sahen darin eine Bühne für Putin, auf der er nicht hart genug befragt wurde. Vielleicht ist das größte Verdienst der Talkrunden, dass sie Politik ernst nehmen und sie mit ihren – der begrenzten Sendezeit geschuldeten – Zuspitzungen im Gespräch halten. Mehr als fünf Millionen Zuschauer sahen Jauchs Show am vergangenen Sonntag, als erstmals eine Vertreterin der Pegida-Bewegung auftrat. Eine Talkshow kann zwar kritisch fragen, läuft aber immer auch Gefahr, dass ihre Teilnehmer sie für ihre Sache nutzen können.

Der häufigste Talkshow-Gast 2014, der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, schätzt die Runden, „weil ich dort eine wesentlich größere Reichweite habe als in einer Bundestagsdebatte“. Talkshows können aus seiner Sicht einen ohnehin vorhandenen politischen Trend verstärken, ihn aber nicht setzen. Bosbach sieht sie deshalb nicht als Konkurrenz zum Parlament.

Auch der „Bild“-Kolumnist und häufige Talkshow-Gast Hugo Müller-Vogg findet, dass sich beides ergänzt. „In meiner Jugend gab es sonntags den politischen Frühschoppen und ein, zwei weitere Formate während der Woche. Heute haben wir jeden Abend die Spitzenpolitiker im Wohnzimmer.“ Er sieht das als Gewinn. Es ist aus seiner Sicht eine „unrealistische Vorstellung“, dass sich die meisten Bürger beim Lesen von Fachbüchern über Politik informieren. Talkshows sind aber auch nur eines von mehreren Vehikeln, um Politik zum Bürger zu transportieren. Sie machen ihre Sache zurzeit nicht schlecht.

Von Jauch bis Lanz

Erfolgreichster Talker ist seit 2011 Günther Jauch mit seiner gleichnamigen Sendung am Sonntagabend, seine Vorgängerin Anne Will hat ihre Sendung jetzt am Mittwochabend. Fünf Millionen Zuschauer hat Jauch im Schnitt. Frank Plasberg überzeugt seit 2007 mit „Hart aber Fair“ mehr als drei Millionen Zuschauer am Montagabend. Rund drei Millionen Zuschauer erreicht im Schnitt auch Maybrit Illner mit ihrer Show im ZDF immer donnerstags. Sandra Maischberger ist mit ihrem eher gefühligen Zugang am Dienstagabend mit etwa 1,5 Millionen Zuschauern nicht mehr so erfolgreich. Auch Markus Lanz muss sich spät abends mit 1,5 Millionen Zuschauern begnügen.