Augsburg

Parteitag: Die SPD (er-)trägt ihren Kandidaten

Der Schein trügt: Nur auf der Bühne gelang es SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, die Genossen um sich zu scharen. Hinter den Kulissen rumorte es ob seiner Pannen heftig.
Der Schein trügt: Nur auf der Bühne gelang es SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, die Genossen um sich zu scharen. Hinter den Kulissen rumorte es ob seiner Pannen heftig. Foto: DPA

Während eines Parteitags des Wir erhält SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück den meisten Applaus für eine Ich-Botschaft. „Ich will Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden“, sagt Steinbrück gleich zu Beginn seiner Rede und erntet stürmischen Applaus. Die Delegierten applaudieren im Stehen. Nach 20 Sekunden.

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Die SPD, so wird es beim Programmparteitag in Augsburg deutlich, will sich von schlechten Umfragewerten und Wahlkampfpannen nicht entmutigen lassen. Und sie will ihren Kanzlerkandidaten unterstützen. Trotz allem. Peer Steinbrück wirkt erleichtert. Seiner folgenden knapp 80- minütigen Rede ist dies anzumerken. Locker, humorvoll, immer wieder auch angriffslustig hangelt sich Steinbrück durch das SPD-Programm.

Mindestlohn, Mindestrente, bessere Bezahlung von Frauen, niedrigere Mieten und schärfere Regulierung der Finanzmärkte sind die Kernbotschaften des Kanzlerkandidaten, die er geschickt mit Personen verbindet, die er auf seiner Länderreise kennengelernt hatte. „Wir werden vieles besser und noch mehr anders machen müssen“, verspricht Steinbrück.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat aus seiner Sicht auf ganzer Linie versagt. Deutschland werde unter Wert regiert. Es ist „eben nicht alles gut“, sagt Steinbrück und zählt die aus sozialdemokratischer Sicht drängenden Probleme auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt auf. „Muster ohne Wert“, kanzelt Steinbrück die Initiativen Merkels ab, wie etwa die Lohnuntergrenzen, mit denen die CDU-Regierungschefin versucht, SPD-Themen zu besetzen.

„Frau Merkels Finger gibt nicht die Richtung vor, sondern misst lediglich den Wind“, kritisiert der SPD-Politiker. Besonders scharf sind Steinbrücks Attacken auf Merkel allerdings nicht. Immer wieder kommt der SPD-Kanzlerkandidat dafür auf die zentrale Losung seiner Partei im Vorwahlkampf zu sprechen: „Mehr wir, weniger ich“. Die SPD als Hüterin des Gemeinwohls. Das ist es, was sich die Parteistrategen ausgedacht haben.

Kanzlerin Merkel und ihre schwarz-gelbe Regierung sollen dagegen als kaltherzige Spalter der Gesellschaft dargestellt werden. Auch bildlich versucht die SPD, dies in Augsburg umzusetzen. In einem Halbrund wurden großflächige Wahlplakate um die 600 Delegierten angeordnet. Dazu gehören auch zwei Fotos ineinander gefalteter Hände.

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Zusammenhalt. Miteinander. Damit soll nur die SPD verknüpft werden. Dass das bislang noch nicht wirklich gelungen ist, zeigen indes die guten persönlichen Werte der Kanzlerin in allen Bevölkerungsschichten. Das Problem könnte zudem sein, dass es bisweilen so wirkt, als falle ausgerechnet der Kandidat aus dem Bild der sozialdemokratischen Gemeinschaft heraus.

Viele Delegierte sind verdutzt, wie gerade der rhetorisch versierte Steinbrück in den vergangenen Monaten von Panne zu Panne stolpern konnte. Der Unmut ist auf den Fluren der Messehalle deutlich zu spüren. Die jüngste Posse um den Wahlkampfslogan „Das Wir entscheidet“, den ausgerechnet auch eine Leiharbeitsfirma nutzt, wird diskutiert. Die schlechten Umfragen bestärken die Verunsicherung. „Irgendwie läuft alles anders, als wir es uns ausmalen“, sagt ein Mitarbeiter des Willy-Brandt-Hauses seufzend.

Ein Delegierter aus NRW sagt: „Wir müssen endlich das Pannenimage abstreifen.“ Von einem herzlichen Schulterschluss zwischen der Partei und ihrem Kandidaten kann fünf Monate vor der Wahl trotz aller nach außen demonstrierten Geschlossenheit nicht die Rede sein. Es ist eher so, dass die SPD ihren Kandidaten derzeit erträgt. In den kommenden Monaten soll es nun um Attacken auf Schwarz- Gelb gehen. Das macht SPD-Chef Sigmar Gabriel in seiner Ansprache klar. Lauthals schimpft er über die „neoliberalen Egoisten“ in der FDP, ledert gegen vermeintlich alltagsferne Ökonomieprofessoren, „arrogante Kapitalisten“ und Steuerflüchtlinge, die Gabriel schlicht als die „wahren Asozialen im Land“ bezeichnet. Der Applaus ist ihm jeweils sicher.

Es ist der gemeinsame Gegner, die tief verankerte Sehnsucht, die so schwer zu fassende CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem Amt zu treiben, die die SPD zusammenschweißt. Der Parteitag in Augsburg führt nach den vielen Sticheleien der vergangenen Wochen auch SPD und Grüne wieder näher zusammen. Als erste Grünen-Vorsitzende darf Claudia Roth diesmal ein Grußwort an den SPD-Parteitag halten. Und wird als glaubwürdige Anhängerin der rotgrünen Koalition umjubelt wie selten. Mit nur einem Satz bringt sie auf den Punkt, was viele der 600 SPD-Mitglieder dachten. „Das Leben ist viel zu bunt, um es schwarzgelb zu sehen.“

Aus Augsburg berichtet unser Korrespondent Michael Bröcker