Muss sich Uncle Sam nun in Acht nehmen?

Werden deutsche Spione nun nach Washington geschickt, um Doppelspione beim CIA anzuwerben, die Arbeit des Kongresses auszuspionieren und das Handy Barack Obamas abzuhören? Solche Wie-du-mir-so-ich-dir-Vorstellungen geistern durch die Öffentlichkeit, seit die Koalition das Wort „Gegenspionage“ in den Mund genommen und der Innenminister vom „360-Grad-Blick“ gesprochen hat.

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Von unserem Berliner Korrespondenten Gregor Mayntz

Anlass ist der Fall eines 31-jährigen BND-Mitarbeiters, der vergangene Woche unter Spionageverdacht festgenommen wurde. Mehr als 200 Geheimdokumente soll er in mehreren Kontakten US-Agenten übergeben und dafür 25 000 Euro kassiert haben. Laut US-Medien war der US-Geheimdienst CIA daran beteiligt, und zwar in einer von der Spitze gebilligten Aktion. Die Bundeskanzlerin werde darüber in Kürze informiert. Zuvor hatte bereits die US-Botschaft in Berlin angekündigt, mit der Bundesregierung zusammenarbeiten und diese Frage „angemessen“ zu lösen.

Auf einem Auge blind

Der BND-Mitarbeiter war aufgeflogen, als er die gescannten Geheimpapiere auch Russland verkaufen wollte. Damit war zugleich die Blickrichtung der deutschen Geheimdienste aufgeflogen: Spionage-Angriffe aus dem Osten werden systematisch aufgespürt, während hinter dem Rücken der Spionageabwehr die Freunde aus dem Westen ungeniert Geheimnisse abgreifen? „Wir dürfen nicht in eine Richtung blind sein“, erklärte Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff. Also: Gegenspionage!

Schon schießen die Kritiker dieses Begriffs Breitsalven. „Die Antwort auf Spionage ist nicht Gegenspionage“, betont Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Vor einem „interkontinentalen Wettrüsten“ warnt Linken-Fraktionschef Gregor Gysi, und auch SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich hält eine Ausweitung des BND-Aufklärungsauftrages auf das befreundete Ausland für „nicht hilfreich“.

Doch unter „Gegenspionage“ verstehen Nachrichtendienste mitnichten die Spionage im anderen Land, sondern die Aufklärung, was ein fremder Geheimdienst hier plant, tut und wie er sich dafür aufstellt. Und deshalb ist für die Gegenspionage auch nicht der Bundesnachrichtendienst (BND) als Deutschlands Auslandsgeheimdienst sondern das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als Inlandsgeheimdienst verantwortlich. Der BND unterhält lediglich eine kleine Gruppe von zwölf Mitarbeitern, die undichte Stellen in den eigenen Reihen aufzuspüren versuchen. Auch der Militärische Abschirmdienst bemüht sich mit rund 70 Beschäftigten darum, Spione unter den Beschäftigten der Bundeswehr vor allem im Ausland zu enttarnen.

Dagegen hat die Abteilung IV des Bundesamtes für Verfassungsschutz rund 130 Stellen nur für die Spionageabwehr. Wohin diese vor allem schauen, machen die Verfassungsschutzberichte klar: Spionageattacken erstens aus Russland, zweitens aus China, drittens aus Nordkorea, viertens aus dem Iran, fünftens aus Syrien. Dahinter kam früher ein Punkt, nun geht die Aufzählung erstmals weiter: „Aufgrund der massiven Vorwürfe gegen Nachrichtendienste der USA und Großbritanniens hat das BfV bereits im Sommer 2013 eine Sonderauswertung zur Aufklärung der Vorwürfe eingerichtet, die sich mit der Beschaffung und Analyse relevanter Informationen befasst.“

Die schwammige Sprache soll besagen, dass die Verfassungsschützer sich selbst erst einmal einen Reim darauf machen wollten, was hinter den Vorwürfen gegen die Kollegen jener Dienste steckt, mit denen sie eigentlich traditionell offen und freundschaftlich zusammen arbeiten. Dazu zählte etwa auch vergangenen Herbst der Auftrag, über US-Einrichtungen wie Botschaften und Konsulate zu fliegen und sämtliche Dachaufbauten zu fotografieren, um auswerten zu können, wo möglicherweise verdeckte Lauschgeräte installiert sind. Das war qualitativ schon ein ganz anderes Herangehen, als lediglich Zeitungsbeiträge und interne Vermerke zu analysieren.

Mehr Überwachung kostet mehr

Im Innenministerium wird nun überlegt, dieses Prinzip aufzuweichen und zu einem „360-Grad-Blick“ unter Einschluss der befreundeten Dienste zu kommen, die die Gepflogenheiten eines Umganges unter befreundeten Diensten selbst mit Füßen zu treten scheinen. Die Union unterstützt das: „Ich denke, dass spätestens der aktuelle Vorfall dazu Anlass geben sollte, den Blick zu weiten“, sagt Unions-Innenexperte Stephan Mayer. Und ihm ist auch klar, dass die Aufgabenerweiterung mit der derzeitigen Personal- und Finanzausstattung des BfV „nicht möglich“ ist. Der Verfassungsschutz wird also mehr Geld brauchen, um 360 Grad weit schauen zu können.

Nach Informationen der Spionageabwehr sind die Geheimdienstler fremder Staaten in der Regel nicht nur getarnte Diplomaten in Botschaften und Konsulaten, sondern auch Beschäftigte von Presseagenturen oder Fluggesellschaften. Originalton Gegenspionage: „Abgeschöpfte deutsche Kontaktpersonen wissen nicht, dass es sich bei den ,Diplomaten’ oder ,Journalisten’ in Wahrheit um Offiziere eines Nachrichtendienstes handelt – entsprechend sorglos verhalten sie sich ihnen gegenüber.“ Das galt bislang erst Recht für den Kontakt mit Amerikanern. Wenn hier nun ein grundsätzliches Misstrauen eingezogen wird, hätte das fatale Folgen weit über die Spionageabwehr hinaus.