Jerusalem

Morddrohungen des IS: Christen werden aus Jerusalem vertrieben

Ein Bild der Zerstörung bot sich den Benediktinern des Klosters Tabgha am See Genezareth: Zwei Menschen wurden beim Brandanschlag im Juni dieses Jahres verletzt. Immer häufiger werden Christen in Israel attackiert.
Ein Bild der Zerstörung bot sich den Benediktinern des Klosters Tabgha am See Genezareth: Zwei Menschen wurden beim Brandanschlag im Juni dieses Jahres verletzt. Immer häufiger werden Christen in Israel attackiert. Foto: Abtei Dormitio

Der erste Anschlag auf die Benediktiner verlief relativ glimpflich. An einem Montagabend im Mai 2014 – unmittelbar nach dem Besuch von Papst Franziskus in Israel – entzündeten Unbekannte ein Fürbittbuch hinter der kleinen Chororgel der Abtei Dormitio auf dem Berg Zion in Jerusalem. Dadurch fingen auch in der Nähe liegende Kreuze Feuer. Ein Mönch entdeckte den Brand und löschte ihn. Zwei Menschen mussten ins Krankenhaus.

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Von Michael Defrancesco

Schlimmer wurde es dieses Jahr. Im Juni brannte das deutsche Benediktinerkloster Tabgha am See Genezareth. Zwei Menschen wurden verletzt, die südlichen Teile der Klosteranlage mit Büro- und Arbeitsräumen, der Klosterpforte und einem überdachten Umgang wurden zerstört. Hinter den beiden Brandanschlägen auf die Benediktiner werden jüdische Extremisten vermutet.

Und jetzt das: Die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) hat Flugblätter verteilt. Alle Christen sollen Jerusalem bis zum Ende des Ramadan am 18. Juli verlassen, sonst würden sie getötet. „Wir erleben deutliche Angriffe auf unser Hiersein“, sagt Bruder Ignatius Bartsch, einer der Benediktiner der Dormitio-Abtei. Seit Jahren geht dies schon so, berichtet er. „Vor allem Priester und Ordensleute leiden darunter.“ Die Angriffe reichten von Bespucken in der Öffentlichkeit über Schmierereien an Kirchen bis hin zu den aktuellen Anschlägen und Drohungen.

Die Christen im Heiligen Land sitzen zwischen allen Stühlen, analysiert Matthias Vogt, Nahost-Referent des Katholischen Missionswerks Missio, die Situation. Ohnehin sind sie in der Minderheit; der Anteil der Christen in Israel liegt bei rund 2 Prozent. Die meisten dieser Christen sind Palästinenser und sprechen Arabisch – das löst Attacken von zwei Seiten aus: Jüdische Radikale wollen das Arabische aus Israel vertreiben, und Islamisten verlangen, dass jeder Palästinenser Muslim ist. „In der Altstadt von Jerusalem hängen immer wieder Fahnen des IS“, erzählt uns Bruder Ignatius. „Wir erleben, dass die Radikalität in der palästinensischen Gesellschaft wächst.“ Die Christen fühlten sich von den Behörden alleingelassen, sagt Bruder Ignatius. „In den vergangenen drei Jahren gab es in Israel 43 Übergriffe auf christliche Einrichtungen. Kein einziger wurde aufgeklärt.“ Der Staat respektiere die Christen als Minderheit, aber er schütze sie nicht ausreichend, formuliert es der Benediktiner.

Immer wieder fällt das Wort von Christenverfolgung. Dirk Ansorge, Professor für Dogmatik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen und Kenner des Nahen Ostens, sieht dies durchaus als gerechtfertigt an. „Wir können von Christenverfolgung sprechen, wenn eine ideologische Begründung für die Gewalt gegen Christen vorliegt“, sagt er. Vor allem in Somalia, Nigeria und im IS-Gebiet von Syrien und dem Irak beobachtet er systematische Christenverfolgungen und eine Zunahme der Gewalt. Die Folge: der Exodus der Christen. „Seit vielen Jahren beobachten wir, dass die Christen aus diesen Gebieten fliehen.“ Ansorge fürchtet, dass sie niemals zurückkehren werden. „Ein Teil der Familie wandert aus, die nächsten folgen und lassen sich bei den Verwandten nieder – und all das wird beschleunigt durch die Drohungen der Islamisten.“

Immer mehr christliche Familien verlassen das Land

Bruder Ignatius kann dies für Jerusalem bestätigen. „Das Zusammenleben unter den Religionen hat sich verschlechtert. Vor allem die gebildeten Christen verlassen zunehmend das Land und fangen im Ausland ein neues Leben an.“ Für den deutschen Benediktiner ist das ein schlechtes Signal. „Wir haben nicht nur eine wichtige Aufgabe für die Pilger, die ins Heilige Land kommen“, sagt er. „Wir sorgen auch im Heiligen Land selbst dafür, dass sich die Religionen begegnen können.“ Jüdische Kinder müssten die Chance haben, mit Christen in Kontakt zu kommen und sie kennenzulernen.

Zum Ende des Ramadan werden nicht alle Christen Jerusalem verlassen haben, das steht fest. „Das erwartet der IS auch gar nicht“, sagt Prof. Ansorge. „Aber es ist die typische Form des modernen Terrorismus: Man setzt gezielte Nadelstiche und setzt auf die psychologische Wirkung.“ Matthias Vogt ergänzt: „Der IS arbeitet mit Angst. Und die stellt sich jetzt verstärkt unter den Christen in Jerusalem ein. Alle wissen, dass die Islamisten mit geringem Aufwand Attacken von Einzeltätern durchführen können, und so etwas steigert das Gefühl der Unsicherheit.“

Radikale können viel erreichen, wenn sie nicht gebändigt werden können, sagt Bruder Ignatius. „Im Alltag erleben wir so etwas eigentlich nicht. Es gibt Religionsfreiheit, die wir auch leben können. Und meist erleben wir eine positive und aufgeschlossene Gesellschaft.“ Doch dann passiere die nächste Drohung, Schmähung oder gar der nächste Anschlag.

Das Kloster Tabgha am See Genezareth wird derzeit saniert. „Wir haben Verbranntes abgetragen, der Haupteingang ist gesperrt. Und wir planen den Wiederaufbau“, sagt Bruder Ignatius. „Aber der seelische Schaden, der durch den Brandanschlag entstanden ist, ist groß.“ Auch wenn es umgehend viele Solidaritätskundgebungen aus der christlichen, jüdischen und muslimischen Welt gab, die alle einhellig die Tat verurteilten. „So etwas zu verarbeiten, braucht Zeit.“

Mönche wollen sich nicht vertreiben lassen

Wird die Zukunft besser werden? Prof. Ansorge schüttelt den Kopf. „Ich habe eine negative Prognose, ich erwarte nicht, dass die Radikalisierung bestimmter Gruppen in der Gesellschaft bald nachlässt.“

„Wir sind als Mönche gekommen, weil wir berufen sind, hier zu sein“, sagt Bruder Ignatius. „Das lasse ich nicht von irgendwelchen Radikalen infrage stellen.“