Mittelrhein

Krach gegen Romantik: Wie der Bahnlärm das Rheintal quält

Das ist doch nicht mehr schön! Im Mittelrheintal leiden die Menschen unter dem Bahnlärm.
Das ist doch nicht mehr schön! Im Mittelrheintal leiden die Menschen unter dem Bahnlärm. Foto: Jens Weber

Für die Menschen am Mittelrhein gehört er zum Alltag: der Bahnlärm. 400 Züge donnern Tag und Nacht durch das Tal, in dem, so die Idee, im Jahr 2031 eine Bundesgartenschau stattfinden soll. Wie es ist, mit dem Krach zu leben, hat unser Reporter von Reinhold Maus (80) erfahren. Maus lebt seit seiner Kindheit in Bacharach an den Gleisen und musste sein Haus und sein Leben mehr als einmal der Bahn anpassen.

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Von unserem Chefreporter Volker Boch

Mittelrhein. Über den Bahnlärm am Mittelrhein zu reden, ist das eine. Das andere ist es, ihm nicht entkommen zu können. Auf den 67 Kilometern Länge des Unesco-Welterbetals gibt es viele Plätze, die deutlich machen, dass der Bahnlärm das größte Problem der Region ist. Dies muss nicht in den jährlichen Niederschriften der Unesco-Kommission, in den Protokollen der Ratssitzungen und eigentlich auch nicht in der Zeitung nachgelesen werden. Wenn sich Kinder wie Erwachsene einfach nur noch die Ohren zuhalten und Gespräche zum Schreien werden, stellen sich keine Fragen mehr.

Ein Ortstermin ganz dicht an den Schienen von Bacharach verdeutlicht den Eindruck. Es ist ein schöner Sommertag, an dem Reinhold Maus die Tür öffnet. Der freundliche Herr in den mittleren 80ern lebt seit seiner Geburt in der Langstraße in Bacharach und damit untrennbar verbunden mit der Bahn. Die Langstraße schmiegt sich an die trutzige Stadtmauer an, der Bacharach einen großen Anteil seines historischen Charmes verdankt. Die Häuser, die sich mit ihren Fachwerkfassaden hier nahe des Kranenturms aneinanderreihen, sind auf unzähligen Touristenfotos verewigt. Oft ist zum Ärger der Rheinromantiker aber auch ein Zug mit drauf, weil sich dies kaum vermeiden lässt beim Fotografieren.

In einem dieser Stadtmauerhäuser wohnt Reinhold Maus. Die Geschichte des Gebäudes reicht bis ins 16. Jahrhundert, es wurde nach einem Brand 1906 aber neu gebaut. „Der Stil wurde damals beibehalten“, sagt Maus und kommt damit zum entscheidenden Thema. Mit seinem Gast sitzt er in einem Erker, der einen einzigartigen Rheinblick bietet, er ragt über die Stadtmauer hinaus – und bis an die Schiene. „Die Stadtmauer wurde überbaut“, erzählt Maus. Es war ein architektonischer Kniff, der nicht nur einen Arkadengang brachte, sondern für die Familie auch einige zusätzliche Quadratmeter Wohnfläche.

Als das Haus neu errichtet wurde, war die Bahn im Mittelrheintal bereits seit rund fünf Jahrzenten auf dem Gleis. Aber es war in keiner Weise zu vermuten, was einmal auf dieser Trasse los sein würde. Nachdem das Haus nun mehr als 100 Jahre besteht, sind die Veränderungen dramatisch. „1954 hat die Bahn auf Elektroleitungen umgerüstet“, erinnert sich Maus. Damit begann für seine Familie ein ganz neues Kapitel des Lebens mit der Bahn, denn vor dem Erker des Hauses spannt sich seither eine Verdrahtung, die 16 000 Volt Spannung hat. Der Erker musste aus Sicherheitsgründen mit einem umfangreichen Blitzableiter ausgestattet werden, seither ist er ein Faradayscher Käfig, der Stromübersprünge verhindern soll. „Wären Sie ein Kind, wäre ich gehalten, die Fenster zu schließen“, sagt Maus. Aus Sicherheits- und aus Lärmschutzgründen. Der Abstand zu den Leitungen der Bahn beträgt die Armlänge eines Mannes, der Blick aus dem Erker fällt direkt auf die Gleise. „Damals sollte der Erker sogar abgerissen werden“, erinnert sich Maus, weil die Nähe zu den Leitungen so gering war. Statt des Abrisses kamen abschließbare Scheiben in den Erker, um einen tödlichen Stromunfall zu verhindern. Die Kosten hat die Bahn mit 75 Prozent bezuschusst, zudem wurde eine Doppelverglasung bei einigen Fenstern installiert im Haus von Herrn Maus. „Bei der Einfachverglasung von damals war jedes Gespräch zerstört. Aber auch diese Lösung nützt letzten Endes nicht so viel.“ Was die Verhandlungen mit dem Konzern anbelangt, der technisch auch heute viele Möglichkeiten hätte, den Krach am Mittelrhein zu reduzieren, sagt Maus: „Wir waren unerfahren und haben uns blenden lassen.“

Die Belastungen sind geblieben vor dem Erker von Herrn Maus, sie wurden mit den Jahren immer extremer. Wie weit weg die vermeintlich so einfache Lösung der Flüsterbremsen ist, zeigt sich in Gesprächen mit Anwohnern wie Reinhold Maus, die immer wieder verstummen müssen, weil sich ein bis zu 800 Meter langer Güterzug mit schepperndem Krach nähert. Dass Herr Maus nicht mehr sehr gut hört, dürfte auch damit zu tun haben. Denn auf ihren sogenannten leisen Sohlen sind die Güterzüge am Mittelrhein bislang äußerst selten unterwegs.