Rheinland-Pfalz

Interview mit Sabine Bätzing-Lichtenthäler: Die Rezepte der Gesundheitsministerin gegen Ärztemangel

Die Rezepte der Ministerin gegen Ärztemangel Foto: leungchopan - Fo

Die ersten Tage als Gesundheitsministerin waren für die SPD-Politikerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler auch ein hartes Brot. Zwar ist ihr das Thema Gesundheit als frühere Drogenbeauftragte der Bundesregierung nicht fremd. Doch besonders beim Thema Krankenhausfinanzierung musste sie durch eine harte Schule gehen, sagt sie mit einem Schmunzeln.

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Denn gerade die Investitionspolitik des Landes bei den Kliniken stößt auf harte Kritik: Zu wenig Geld fließe in diesen Bereich. Im Interview mit unserer Zeitung schmettert sie diesen Vorwurf ab: „Wir haben das Investitionsfördervolumen 2013 um 3 Millionen Euro steigern und seitdem beibehalten können. Das ist mit Blick auf die Schuldenbremse ein Erfolg.“ Im Gespräch erläutert sie ihre Konzepte gegen den drohenden Ärztemangel und ihre Erfahrungen mit langen Wartezeiten auf Arzttermine.

Wie lange haben Sie auf Ihren letzten Facharzttermin gewartet?

Der müsste beim Frauenarzt kurz vor der Entbindung gewesen sein. Darauf musste ich aber nicht lange warten. Denn wer schwanger ist, bekommt relativ schnell einen Termin. Einen anderen Facharzt musste ich schon seit Jahren nicht mehr aufsuchen. Ich kenne das Problem aber aus meiner Familie. Ich selbst bin als Beamtin privat versichert und habe auch keine Wechselmöglichkeit in die gesetzliche Krankenversicherung. Mein Vater ist gesetzlich krankenversichert. Wenn er zum Rheumatologen muss, dann hat er sehr lange Wartezeiten. Bevor sich sein Hausarzt oder die Arzthelfer darum gekümmert haben, die für ihn die einzelnen Rheumatologen anrufen, hatte er Wartezeiten von acht bis zehn Wochen.

Sie bekommen als Privatversicherte also schneller Termine?

Ich denke schon. Auch deshalb wollen wir ja die Bürgerversicherung einführen.

Die Bürgerversicherung ist aber derzeit kaum durchsetzbar. Wie erklären Sie sich denn, dass Ärzte einen Unterschied machen?

Die Einführung der Bürgerversicherung ist bislang am Widerstand von CDU und CSU gescheitert. Ich kann die Ärzte schon verstehen, weil sie eine andere Vergütung für Privat- und Kassenpatienten bekommen. Das ist für sie eine Mischkalkulation. Aber ich möchte dies nicht akzeptieren, weil es auf dem Rücken der Patienten geschieht.

Wenn die Bürgerversicherung vorerst nicht durchsetzbar ist – was ist Ihre kurzfristige Lösung?

Der Bund plant eine Termingarantie spätestens nach vier Wochen. Ich persönlich finde aber das Modell besser, wie es bei meinem Vater läuft: mit Unterstützung des Hausarztes die Dringlichkeit eines Termins zu betonen und dadurch schneller zu einem Facharzt zu kommen. Entscheidend darf nicht sein, wer zuerst in einer Praxis nach einem Termin fragt, sondern die Dringlichkeit des Falls.

Aber diese unkomplizierte Variante funktioniert ja offenbar nicht. Was halten Sie denn von der geplanten Termingarantie?

Sie ist ein Schritt in die richtige Richtung, weil sie das Wohl der Patienten in den Blick nimmt – auch was die Vierwochenfrist angeht. Allerdings darf dies nicht das einzige Mittel sein. Die Ärzte müssen bei der Terminvergabe häufiger nach der Dringlichkeit des Falls entscheiden, und die Hausärzte und ihre Praxen sollten sich häufiger selbst einschalten, wenn es um einen Termin beim Facharzt geht. Früher hat dies gut funktioniert.

Angesichts des drohenden Ärztemangels dürfte dies aber immer schwieriger werden. Müssen sich Patienten daher nicht mit immer längeren Wartezeiten abfinden?

Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass sich wieder mehr Ärzte auf dem Land niederlassen. Und wir müssen stärker auf die Instrumente der Telemedizin setzen, um den einen oder anderen Arztbesuch vielleicht verzichtbar zu machen. Wenn jemand zum Beispiel eine chronische Erkrankung hat und normalerweise jede Woche zu seinem mehrere Kilometer weit entfernten Arzt fahren muss, warum sollte dieser Patient dann nicht die Vorteile der Telemedizin nutzen und nur im Ernstfall zum Arzt gehen?

Was ist Ihre Prognose für Patienten in Eifel oder Westerwald: Wie weit müssen sie 2020 zum nächsten Arzt fahren?

Ich möchte das nicht prognostizieren, weil das auch davon abhängt, welche Weichen wir und vor allem die Kassenärztliche Vereinigung (KV) stellen. Im Moment haben wir noch eine gute Versorgung. Im Durchschnitt ist der nächste Arzt 1,4 Kilometer entfernt, heißt es im Versorgungsatlas der KV. Aber die Altersstruktur der Ärzte macht mir Sorgen: 30 Prozent von ihnen sind älter als 60 Jahre, und nur noch rund 15 Prozent des Medizinernachwuchses will laut Umfragen Hausarzt werden. Und dann fragt sich, wie viele von ihnen sich überhaupt noch auf dem Land niederlassen wollen. Deshalb müssen der Bund und die Länder jetzt die Weichen stellen, damit die Versorgung auf dem Land sichergestellt bleibt. Und die KVs dürfen nicht vor der Herausforderung kapitulieren, auch künftig ihre Hauptaufgabe zu erledigen: die Versorgung der Bevölkerung mit Ärzten und Praxen sicherzustellen.

Ärztevertreter werfen Ihnen vor, dass sie erst die Infrastruktur auf dem Land haben kaputtgehen lassen und sich jetzt wundern, dass sich Ärzte dort nicht mehr niederlassen wollen.

Ärzte, die sich auf dem Land niederlassen wollen, stammen erfahrungsgemäß oft auch von dort und kehren gern zurück. Daher ist es wichtig, dass Kommunen und Regionen attraktiv bleiben. Der öffentliche Nahverkehr ist ein Punkt. Ich muss aber auch fragen: Habe ich Kindergärten und Schulen? Das ist besonders für junge Ärztinnen sehr wichtig. Wenn ihr Mann eine Stunde zur Arbeit braucht, ist das nicht so schlimm, aber ihr Kind wollen sie nicht eine Stunde zur Kita fahren.

Was folgern Sie daraus?

Die Kommunen und das Land müssen mehr Verantwortung dafür tragen, dass sie attraktiv bleiben und den Ärzten Strukturen schaffen, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Dazu gehören auch Strukturen, die nicht dem Zerrbild von einer klassischen Landarztpraxis mit einem 16-Stunden-Tag entsprechen, sondern Kooperationen mit anderen Ärzten, geringe Belastungen durch einen Bereitschaftsdienst und anderes mehr umfassen. Deshalb haben wir an mehreren Orten im Land sogenannte Zukunftswerkstätten gestartet.

Mit welchem Ziel?

Wichtig ist, dass es nicht das Patentrezept für alle Kommunen im Land gibt. Wir wollen individuell mit den Gesundheitsakteuren in einer Gemeinde Konzepte für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung erstellen. Bei der Pflege sind wir da schon ein Stück weiter. Dort haben die Kommunen schon mehr Mitspracherechte. Wenn wir ihnen jetzt im ärztlichen Bereich die Instrumente in die Hand geben, sie beraten und unterstützen, dann können sie mehr Verantwortung übernehmen.

Mehr als 70 Prozent der Medizinstudenten sind Frauen. Männliche Ärzte haben mir gesagt, dass sie das nicht verwundert. Denn Männer hätten früh erkannt, dass sich in dem Beruf kein Geld mehr verdienen lässt. Männliche Arroganz?

Der Arztberuf ist auch im Jahr 2015 noch ausgesprochen attraktiv und sichert auch künftig ein gutes bis sehr gutes Einkommen. Das ärztliche Einkommen ist nicht das große Problem. Dass so viele Frauen Medizin studieren, liegt vor allem am NC. Die Frauen machen im Schnitt ein besseres Abitur als die Männer. Dadurch schließen wir viele vom Studium aus. Es soll auf Bundesebene in Kürze der Masterplan Medizinstudium 2020 entwickelt werden. Dort wird auch das Auswahlverfahren für das Studium auf den Prüfstand gestellt.

Sie wünschen sich also mehr Männer im Arztberuf?

Ich würde mir eine gesunde Mischung wünschen, auch weil die Bürger das wollen. Die Frauen machen einen sehr guten Job.

Derzeit ist die Zukunft des Arztberufs weiblich. Die Frauen wollen am liebsten angestellt und Teilzeit arbeiten. Wird es den klassischen Landarzt künftig noch geben?

Wichtig ist doch, dass wir überhaupt noch einen Hausarzt auf dem Land haben. Ist das aber der eine Landarzt aus einer romantisierten, idealisierten Vorstellung, der 24 Stunden für mich da ist? Vielleicht sind es eher vier Hausärztinnen, die sich als Angestellte abwechseln. Damit wird die medizinische Versorgung nicht schlechter, nur eben anders. Vielleicht schaffen wir es aber durch Landesförderungen auch an dem einen oder anderen Ort, dass sich ein klassischer Landarzt ansiedelt.

Die KV könnte längst Arztsitze in überversorgten Gebieten zugunsten unterversorgter Regionen aufkaufen, tut dies aber nicht. Muss sie dazu verpflichtet werden?

Zunächst möchte ich unterstreichen, dass ich hinter der Selbstverwaltung im Gesundheitssystem stehe. Manches, was der Gesetzgeber dabei festgeschrieben hat, stößt aber auch auf den Widerstand der Ärzte. So ist es ist richtig, dass sich die KV bislang gegen einen Kauf von Arztsitzen sträubt. Die Frage ist aber, ob ein gezielter Aufkauf von Praxen in überversorgten Gebieten helfen kann, mehr Ärzte aufs Land zu bringen. Und diese Frage muss ohne Scheuklappen diskutiert werden.

Aber das Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land wird doch wachsen.

Beim Aufkauf von Praxen gibt es ja bereits eine Weichenstellung. Aus der Kann- wird eine Soll-Vorschrift. Wenn wir dann aber feststellen sollten, dass auch dies keine Wirkung zeigt, dann muss auch diese Soll-Vorschrift auf den Prüfstand. Mir geht es aber vor allem darum, wie wir frei werdende Sitze auf dem Land überhaupt wieder besetzen können. Dabei hilft zum Beispiel der Plan, der Allgemeinmedizin im Studium mehr Platz einzuräumen und damit aufzuwerten. Das ist eine große Chance: Wer vom Land kommt, der kennt die Vorzüge des dortigen Lebens. Wer aber in der Stadt groß geworden ist, der hat oft viele Vorurteile gegen die Arbeit als Landarzt. Je mehr diese Tätigkeit aber bereits während des Studiums wirklich erleben, umso größer könnte ihre Bereitschaft sein, aufs Land zu gehen.

Ihr Ministerium setzt auf regionale Gesundheitszentren wie das in Meisenheim. Andererseits investieren Sie aus Sicht von Krankenhausgesellschaft und Kassen deutlich zu wenig in Kliniken – jährlich fehlen bis zu 120 Millionen Euro. Wie passt das zusammen?

Wünschen würden wir uns auch mehr. Diesen hohen Investitionsstau kann ich aber so nicht bestätigen, da dieser auch daraus resultiert, was die Krankenhäuser an Investitionen angemeldet haben. Ob und in welchem Umfang die angemeldeten Investitionen nötig sind, kann man aber erst sagen, wenn sie geprüft sind. Wir haben das Investitionsfördervolumen 2013 um 3 Millionen Euro steigern und seitdem beibehalten können. Das ist mit Blick auf die Schuldenbremse ein Erfolg. Außerdem konnten wir durch Einzelförderungen Schwerpunkte bei Pflege, OP und Psychiatrie setzen.

Die Kliniken müssen aber bei Investitionen immer stärker auf den Topf der Fallpauschalen zurückgreifen – Geld, das eigentlich für die Behandlung vorgesehen ist. Das kann Ihnen doch nicht gefallen.

Deshalb setzen wir große Hoffnungen in den geplanten Bund-Länder-Strukturfonds. Von den 500 Millionen Euro sollen 25 Millionen Euro nach Rheinland-Pfalz fließen. Das Geld soll vor allem dazu dienen, die Zukunft der Versorgung sicherzustellen.

Sie haben auf die Schuldenbremse verwiesen. Diese gilt ja nicht für Sozialversicherungen wie die Kassen. Muss jetzt also der Beitragszahler für die Investitionen bluten?

Die Schuldenbremse zwingt uns, sparsam mit den vorhandenen Mitteln umzugehen. Deshalb dürfen wir aber nicht die gute medizinische Versorgung aus dem Blick verlieren.

Müsste der geplante Strukturfonds dann nicht aufgestockt werden?

Grundsätzlich hätte ich mir gewünscht, dass vor allem der Bund für die Finanzierung des Fonds aufgekommen wäre und man sich dazu nicht aus dem Gesundheitsfonds bedient hätte. Jetzt müssen wir den Strukturfonds erst einmal auf den Weg bringen. Derzeit ist er nur als Eckpunkt festgeschrieben. Doch mittelfristig ist auch der Bund mehr gefordert, weil es hier um Zukunftsfragen geht, die alle Länder betreffen.

Wann wird denn das erste Geld an die Kliniken fließen?

Ich werde mich dafür einsetzen, dass die rheinland-pfälzischen Krankenhäuser im Jahr 2016 einen ersten Teilbetrag in Höhe von 5 Millionen Euro erhalten.

Das Gespräch führte Christian Kunst