In Ruanda tanzen sogar die Häftlinge

Foto: D. Brück

Rheinland-Pfalz/Kigali – Im rheinland-pfälzischen Partnerland Ruanda sind die Gefängnisse verbotene Zonen. Selbst der Versuch, sie von außen zu fotografieren, kann bereits gefährlich sein. Der Staat schottet seine Haftanstalten ab.

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Rheinland-Pfalz/Kigali – Im rheinland-pfälzischen Partnerland Ruanda sind die Gefängnisse verbotene Zonen. Selbst der Versuch, sie von außen zu fotografieren, kann bereits gefährlich sein.

Der Staat schottet seine Haftanstalten ab. Aus gutem Grund: Tausende Menschen vegetieren dort vor sich hin – Männer, Frauen, Kinder. Die hygienischen Bedingungen sind erschütternd, die Massenunterkünfte armselig. Auf Druck des Mainzer Innenministeriums öffneten sich jetzt für eine rheinland-pfälzische Delegation die Pforten des Gefängnisses von Gitarama. Eine Kleinstadt hinter Gittern. Schmutzig und trostlos. Aber auch ausgestattet mit kleinen Inseln, die ein wenig Menschlichkeit versprechen, falls der Schein nicht trügt. Der Besuch der afrikanischen Häftlingsanstalt hat einen höchst zwiespältigen Eindruck hinterlassen.

Allein die Begrüßung: Gefangene stehen aufgereiht an einer Ziegelsteinmauer. Sie klatschen, trommeln, tanzen und singen. Über ihnen ragt ein unbemannter Wachturm in den Himmel. Nicht weit von ihnen haben Wachleute die Kalaschnikow im Anschlag. Die orange- und rosafarbene Kleidung gibt der Szene etwas Lebensfrohes. Und doch enthüllt sie eine düstere Wahrheit. Die Häftlinge sind markiert. Diejenigen, die rosa Gewänder tragen, haben ein Völkermord-Verbrechen begangen. Viele von ihnen gehörten zu den Mörderbanden, die mit Gewehren, Macheten und Knüppeln ganze Familien niedermetzelten. Sie haben denunziert, geschlagen, getötet. 1994 kostete dieser rassistische Wahnsinn, der schlimmste Genozid Afrikas, mindestens 800 000 Menschenleben. Nach dem Blutbad füllten sich Gefängnisse – in Spitzenzeiten mit 500 000 Menschen.

Noch immer sind nicht alle Angeklagten abgeurteilt, obwohl die kleineren Prozesse durch traditionelle Gacaca-Gerichte unter Beteiligung der ganzen Gemeinde abgehalten wurden. Dennoch reichen die Verbrechen der meisten Häftlinge, die heute in ruandischen Gefängnissen sitzen, bis in das verhängnisvolle Jahr 1994 zurück.

Wer nicht am Genozid beteiligt war, trägt im Zuchthaus eine andersfarbige Kluft. Orange ist die Farbe der gewöhnlichen Kriminellen: der Diebe, der Betrüger, der Einbrecher oder Mörder ohne ethnischen Hintergrund.

Insgesamt leben rund 6700 Menschen in dem Gefängnisareal, das aus einem ganzen Komplex an Gebäuden besteht. Darunter sind gut 500 Frauen, 171 Minderjährige und 50 Kinder, die zum Teil hinter Gittern auf die Welt kamen. Sie alle wohnen, schlafen, essen und arbeiten zusammen – und das auf engstem Raum. Die Haftanstalt Gitarama ist nur auf 4500 Inhaftierte ausgelegt. Die 15 Gefängnisse des kleinen Ruandas sind mit knapp 70 000 Insassen total überfüllt.

Die eigentlichen Zellen durfte die Delegation nicht besuchen. Hier sollen bis zu 100 Männer in einem größeren Raum übernachten. Die Delegation bekam lediglich den Schlafraum der Mädchen zu sehen. 16 Mädchen teilen sich rund 20 Quadratmeter. Ihre Schlafkojen sind ein großes Etagenbett. Null Privatsphäre. Kleider liegen herum, ein Radio dudelt. Wer allein sein will, hängt ein Tuch auf.

Die Delegation konnte auch die wenigen Werkstätten besichtigen, in denen sich die Häftlinge ein paar ruandische Francs verdienen können. Sie flechten Korbstühle, bauen Möbel, nähen Kleider. Andere Gefangene arbeiten außerhalb des Gefängnisses im Straßenbau und in der Landwirtschaft. Ruanda kann es sich gar nicht leisten, Zehntausende männlicher Arbeitskräfte zu verlieren, nur weil sie hinter Gittern schmoren.

In der Gefängnisstadt gibt es ein kleines, eher schlecht ausgestattetes Gesundheitszentrum und einen sauberen, abgetrennten Raum für die Kleinkinder und ihre Mütter – von der Hilfsorganisation Grünhelme gestiftet. Die Kleinen schreien, als sie die Muzungus, die Weißen, sehen. In ihrer abgeschotteten Welt macht ihnen alles Fremde Angst. Vier Kleinkinder sind zudem HIV-infiziert.

Zur Haftanstalt gehört neben einer Friseurstube auch noch eine Mehrzweckhalle mit Mini-Bibliothek. Dort probt die Knastband, dort treten vermutlich auch die Sänger und Tänzer auf, die die Gäste aus Rheinland-Pfalz so enthusiastisch empfingen. Erschreckend wirkt die Gefängnisküche: Häftlinge rühren in rostigen Kübeln, die auf einem dreckigen Boden in einer offenen Halle stehen. Was darin brodelt, möchte man nicht probieren.

Die Sicherheitsvorkehrungen scheinen mehr als lasch. Der zwei Meter hohe Zaun hat Löcher, die Mauern sind niedrig. Wer aus dem Gefängnis in Gitarama entkommen will, hat es nicht schwer. „Manchmal fliehen Häftlinge“, räumt denn auch Gefängnisdirektor Paul Rwarakabije gegenüber unserer Zeitung ein. „Aber meistens werden sie von der Bevölkerung zurückgebracht.“ Vielleicht auch von den vielen Polizisten und Soldaten.

Manches, was die Verantwortlichen des Gefängnisses erzählen, klingt geschönt. Die Delegation kann beispielsweise beobachten, wie ein Gefangener eine Handvoll Schüler unterrichtet. Ohne Lehrmaterialien, nur mit der Tafel. Der Raum ist karg. Der Ton ist harsch. Erst nachher erfahren die Besucher aus Rheinland-Pfalz: An diesem Tag gibt es normalerweise überhaupt keinen Unterricht.

Von einer Ruanda-Reise berichtete unser Redakteur Dietmar Brück