Graffiti – Kunst oder Vandalismus?

Graffiti - Kunst oder Vandalismus?
Berthold Temmler kämpft selbst im Ruhestand noch für ein sauberes Koblenz. Bunt besprühte Wände wie die hinter ihm sind dem Graffiti-Koordinator ein Dorn im Auge. Foto: dpa

Zwischen 800 und 900 Graffiti-Delikte zählt allein das Polizeipräsidium Koblenz Jahr für Jahr. Zu sehen bekommt die bunten Schmierereien aber kaum jemand. Dafür sorgen eine deutschlandweit einmalige Kooperation von Stadt und Polizei mit Graffiti-Koordinator Berthold Temmler.

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Er sieht aus wie einer der vielen Touristen, die täglich durch die Koblenzer Altstadt schlendern. Gemächlichen Schrittes spaziert Berthold Temmler durch die Gassen, schaut interessiert an den alten Hausfassaden hoch.

Der 67-jährige Rentner ist der Graffiti-Koordinator der Stadt. Zweimal die Woche sucht er Koblenz nach unerwünschten Schmierereien ab. „Wenn ich einen Tag oder ein Piece entdecke“, erklärt er unserer Zeitung seine Arbeit in einwandfreier Sprayer-Sprache (siehe Kasten), „dann mache ich Fotos davon, schreibe eine Anzeige für die Polizei und einen Arbeitsauftrag für die Beseitigung.“

Ein Piece auf einem Zug Kick: etwa 20 MinutenKosten für den Sprayer: 10.400,00 EUR, Entfernung mit speziellen Reinigungsmaschinen

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Ein Scratching an einem Zugfenster Kick: etwa 3 MinutenKosten für den Sprayer: 1.300,00 EUR, Auswechseln der Glasscheibe

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Ein illegales Tag Kick: etwa 30 Sekunden, im Vorbeigehen gesprüht Kosten: 180 Euro, Entfernung mit speziellen Reinigungsmaschinen

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Ein illegales Piece an einer Fassade Kick: etwa 20 MinutenKosten für den Sprayer: 1.400,00 EUR, Entfernung mit speziellen Reinigungsmaschinen

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Ohne Graffiti aufwachen

Meist rückt schon in der darauffolgenden Nacht, frühmorgens zwischen drei und vier Uhr, das Graffiti-Beseitigungsteam der Stadt aus, Temmlers entdeckte Farbschmierereien zu entfernen. „Dann sind noch nicht so viele Autos unterwegs, und man kommt überall gut dran“, sagt Temmler. „Und der Koblenzer Bürger wacht in einer sauberen Stadt auf.“ Das in der Nacht entstandene Graffiti soll er am besten gar nicht erst zu sehen bekommen.

Diese Schnelligkeit, mit der in Koblenz seit Anfang 2001 gegen Graffiti vorgegangen wird, ist für Temmler das Erfolgsgeheimnis der Aktion „Saubere – sichere Stadt“, einer bundesweit einmaligen Kooperation zwischen Stadtverwaltung und Polizei. Allein in den ersten drei Jahren seiner Arbeit als Graffiti-Koordinator hat Berthold Temmler 5455 Graffiti dokumentiert und zur Anzeige gebracht und eine Fläche von 25 303 Quadratmetern reinigen lassen. Zwischen 50 000 und 60 000 Euro lässt sich die Stadt die Säuberungen pro Jahr kosten.

Sprayern vergeht die Lust

Die Koblenzer Innenstadt ist mittlerweile komplett Graffiti-frei, in zwei bis drei Jahren, so schätzt Temmler, hat er die gesamte Stadt von Farbschmierereien befreit. „Indem wir die Graffiti so schnell wie möglich entfernen, nehmen wir den Sprayern den Spaß. Irgendwann haben die keine Lust mehr.“ Und tatsächlich: Gereinigte Bereiche werden heute kaum wieder besprüht.

Berthold Temmler hingegen wird nicht müde. Ein Jahrzehnt lang hat er sich hauptberuflich bei der Stadt um die Sauberkeit seiner Heimat gekümmert. Jetzt ist er schon seit zwei Jahren als Pensionär auf Graffiti-Suche, durchkämmt systematisch Stadtteil für Stadtteil. „Es gibt keine Straße, in der ich noch nicht war“, sagt er stolz.

Als Pingel, Pedanten oder gelangweilten Pensionär will sich der Rentner aber nicht bezeichnet wissen. „Ich liebe einfach meine Stadt und möchte nicht, dass sie verschandelt wird“, erklärt Berthold Temmler seine Motivation, auch aus dem Ruhestand heraus noch Graffiti zu zählen. „Ich möchte doch nur nicht, dass meine Heimat verschandelt wird.“ Und dafür legt er sich so manche Nacht sogar selbst auf die Lauer, in der Hoffnung, einen Wiederholungstäter auf frischer Tat zu ertappen.

Beschwert sich denn da nicht die Gattin? „Überhaupt nicht“, winkt Temmler ab. „Auch wenn ich mit meiner Frau spazieren gehe, halte ich ständig Ausschau nach Graffiti. Früher habe ich auf Ausflügen Blumen fotografiert, heute sind es eben bunte Wände.“

Von unserer Reporterin Anna Lampert

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