Teheran

Gesellschaftlichen Wandel fördern: Gabriel geht es im Iran nicht nur ums Geld

Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) spricht während seines Iranbesuchs nicht nur über Wirtschaft. Auch für das Land unbequeme Themen wie das Existenzrecht Israels oder die Menschenrechte kommen zur Sprache. 
Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) spricht während seines Iranbesuchs nicht nur über Wirtschaft. Auch für das Land unbequeme Themen wie das Existenzrecht Israels oder die Menschenrechte kommen zur Sprache.  Foto: dpa

Während Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bei der iranischen Handelskammer spricht, wacht der Blick des obersten iranischen Entscheiders, von Revolutionsführer Khamenei, über ihm. Die Porträts des religiösen Führers hängen überall in den öffentlichen Gebäuden, meistens gleich unter der Decke – so weit oben wie möglich. Sie erinnern daran, dass im Iran der Islam die Gesetze und den Alltag bestimmt.

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Aus dem Iran berichtet unsere Korrespondentin Eva Quadbeck

Im Iran gelten strenge Regeln

Für die Menschen bringt das strenge Verhaltensregeln mit sich, insbesondere für Frauen. Das Tragen eines Kopftuchs ist Pflicht, dazu ein Mantel oder mindestens eine Tunika, die bis zum Knie reicht, und die Arme ganz bedeckt. An den Füßen gehören geschlossene Schuhe und blickdichte Strümpfe zum Kodex. Bei Temperaturen von 35 bis 40 Grad ist das für Mitteleuropäer sehr gewöhnungsbedürftig. Typisch für die iranische Gesellschaft ist allerdings auch, dass die Regeln im Alltag oft nicht so streng interpretiert werden, wie sie auf dem Papier stehen. In Teheran rutschen die Schleier nach hinten und die Säume der Mäntel nach oben. An viele Regeln halten sich die Iraner einfach nicht, beispielsweise an die Vorgabe, dass Frauen nicht ohne Erlaubnis ihrer Männer reisen oder Hotelzimmer beziehen dürfen.

Der deutsche Wirtschaftsminister lässt sich mit einer Wagenkolonne durch den dichten Teheraner Verkehr von Termin zu Termin bringen – eine Art politisches Speeddating. An nur einem Tag trifft er den Staatspräsidenten, den Parlamentspräsidenten und vier Minister, darunter Außenminister Mohammad Dschavad Sarif, der die Verhandlungen über das Atomabkommen geführt hatte. Sarif versichert nach dem Gespräch mit Gabriel, der Iran sei immer ein verlässlicher Partner.

Land der widerstreitenden Kräfte

Gabriels Botschaft klingt bei allen Offiziellen ähnlich: Sein Besuch soll zeigen, dass sich das Atomabkommen für den Iran lohnt. Im Gegenzug setzt der SPD-Politiker darauf, dass die wirtschaftliche Öffnung zum Westen auch die junge iranische Gesellschaft beeinflusst. Man spricht beim Iran von einer Polykratie, einem System, in dem viele widerstreitende Kräfte die Regeln bestimmen, politische wie religiöse. Ein Beispiel: Das konservative Parlament weigerte sich nach der jüngsten Wahl, Frauen in Regierungsämtern zu bestätigen. Der gemäßigt konservative Staatspräsident Hassan Ruhani griff zu einem Trick. Er ernannte gleich drei Vizepräsidentinnen für Umwelt, für Recht und für Familie. Diese Vizepräsidentinnen führen nun faktisch die Ministerien ohne Bestätigung durch das Parlament.

Für Gabriel gehören Freiheit für die Wirtschaft und für die Gesellschaft zusammen. Beim Treffen mit der iranischen Öl- und Handelskammer geht er über die diplomatischen Gepflogenheiten hinaus bis an die Grenze der Höflichkeit, um diese Haltung deutlich zu machen. Es gebe zwischen Deutschland und dem Iran Unterschiede bei den Menschenrechten, der Stellung der Frau, dem Umgang mit Minderheiten und der Bekämpfung der Korruption. Das Wort Israel sagt er mindestens genauso häufig wie das Wort Investitionen. „Gute Beziehungen zu Deutschland bedeuten immer, dass wir die Sicherheit des Staates Israel nicht infrage stellen können“, betont der Minister. Das iranische Außenministerium weist die Äußerung umgehend zurück. Gabriel nimmt das in Kauf.

Banken misstrauen dem Fortschritt

Den Wirtschaftsvertretern ist dies zu viel. Als sie den Saal verlassen, meint einer, dass so viel Politik nicht sein muss. Positiv wird von der deutschen wie von der iranischen Wirtschaft Gabriels Vorschlag aufgenommen, die deutsch-iranische Wirtschaftskommission wiederzubeleben, die zuletzt 2001 in Berlin tagte.

Gabriel will die neu belebte Kommission auf der Ebene der Ministerien tagen lassen. Er verspricht, sich gleich nach seiner Rückreise an die Organisation zu machen. Anfang nächsten Jahres soll das nächste Treffen stattfinden. Gabriel lässt bei den Iranern auch die Zusage zurück, mit den deutschen Banken zu sprechen. Die hatten sich wegen der Sanktionen komplett aus dem Irangeschäft zurückgezogen. Das Vertrauen der deutschen Geldinstitute darauf, dass die Sanktionen auch dauerhaft abgeschafft werden, ist noch nicht zurückgekehrt.