Gedenken: Dem Widerstand und NS-Opfern ein Gesicht geben

Joachim Hennig spürt Vorbilder auf, damit Menschen sensibel bleiben und der Demokratie nicht gleichgültig gegenüberstehen. Foto: Thomas Frey
Joachim Hennig spürt Vorbilder auf, damit Menschen sensibel bleiben und der Demokratie nicht gleichgültig gegenüberstehen. Foto: Thomas Frey

„Wie lange hätte ich denn als Richter nach Hitlers Machtergreifung mitgemacht?“ Diese Frage hat sich Richter Joachim Hennig (65) oft gestellt, immer häufiger, seit er das Schicksal von NS-Verfolgten im nördlichen Rheinland-Pfalz erforscht und an Menschen erinnert, die im Widerstand gegen das verbrecherische Regime ihr Leben riskierten – wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg beim Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944.

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Als früherer Richter am Oberverwaltungsgericht weiß er nur zu gut: Das NS-Regime, das nach der Machtergreifung 1933 auch sofort und gnadenlos jüdische Juristen aus dem Dienst entfernte und entrechtete, veränderte anfangs Paragrafen oder vorgefundene Gesetzesvorlagen teils nur subtil in Details, aber mit teuflischen Folgen. Hitler hatte, wie Hennig sagt, „nicht schon 1933 erkennbar das blutige Messer quer im Mund“.

Aber sein Apparat bewies mit jedem Jahr des Machtmissbrauchs mehr: Mit Gesetzen lässt sich in einem Willkürstaat ohne jede demokratische Kontrolle auch systematischer Völkermord für Millionen von Menschen organisieren und ein Krieg erklären, in dem sinnlos Millionen von Menschen sterben.

Bewunderung für Menschen im Widerstand

Je tiefer Hennig sich mit der Historie beschäftigt, desto mehr wächst seine Bewunderung für Menschen, die sich mutig im Widerstand engagierten. Beispielhaft erinnert er jetzt an einige Persönlichkeiten aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz, wenn er mit dem Koblenzer Förderverein „Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus“ zur 70. Wiederkehr des Attentats auf Hitler heute eine bescheidene Ausstellung bei der Sparkasse in Koblenz eröffnet. Hennig hat zu diesem historischen Datum wieder Texte geschrieben, „handgestrickt am Küchentisch. Schlicht und ergreifend“, wie er mit seinem teils auch sarkastischen Humor sagt.

Seit Jahren treibt es den als Richter auch mit Asylverfahren beschäftigten Koblenzer an, Opfern (und ihren Familien) Respekt zu erweisen, ihnen aber auch ein Gesicht zu geben, damit der Blick auf Einzelne betroffen wach rüttelt, „auch heute wachsam gegen jede Diffamierung und Menschenrechtsverletzung zu sein“. Wenn Kunden jetzt auf dem Weg zum Kassenschalter unweigerlich auf die Schautafeln mit elf Biografien stoßen, will er sagen: „Ihr Leben geht alle an. Sie haben ihr Leben auch für uns riskiert, die heute in einer Demokratie leben können.“ Sparkassenkunden mit ein bisschen Zeit auf dem Konto sollen sich daran erinnern: „Diese Menschen haben sich von Propaganda nicht einlullen lassen, haben für ihre Ideale und Werte gekämpft.“ Der Demokratie nicht gleichgültig gegenüberstehen und sie als selbstverständlich empfinden – auch diese Botschaft ist für Hennig Motivation, an Schicksale zu erinnern, egal, wie viel Zeit die Spurensuche kostet.

Erinnerung bewahren

Zu seinem Hobby, das zur Mission wurde, kam Hennig per Zufall: Zur 2000-Jahr-Feier der Stadt Koblenz (1992) hatte der damalige Justizminister Peter Caesar die Idee, auch der Geschichte der Gerichte eine Ausstellung zu widmen. Fürs Oberverwaltungsgericht wälzte Hennig Akten im Landeshauptarchiv. Aus der Ausstellung wurde nichts, aber er blieb von den ihn fesselnden Akten irgendwie gefangen – angetrieben vom Willen, wichtige Erinnerungen zu bewahren, wenn letzte Zeitzeugen sterben.

Zunächst war es Ernst Biesten, „eine der wenigen Lichtgestalten unter den Juristen“, dessen Leben ihn in Bann zog: Biesten gehörte zu denen, die sich nicht vom NS-System einschüchtern oder korrumpieren ließen. Folge: Der Koblenzer Polizeipräsident wurde 1933 sofort entlassen, durfte auch nicht als Anwalt arbeiten.

Aber Biesten („Demokrat in vier Epochen“) überlebte das Grauen: Er wurde erster Präsident des heutigen Oberverwaltungsgerichts und arbeitete maßgeblich am Entwurf der Landesverfassung mit. Als sich der Verein gründete, der mit einem Mahnmal der NS-Opfer gedenken wollte, wusste Hennig: „Da muss ich mitmachen.“ Mehr als 100 Biografien hat der 2008 mit dem Kulturpreis der Stadt Koblenz ausgezeichnete Jurist nachgezeichnet, teils als Puzzle zusammengesetzt. Bücher und Vorträge sind entstanden, auch Filme. Seine Informationen füllen gut 300 Ordner, die er im Haus seiner verstorbenen Eltern in Boppard-Hirzenach lagert. Denn der Förderverein hat keine Räume, „noch nicht einmal einen eigenen Schrank“, stemmt trotz bescheidener Mittel (12 Euro Jahresbeitrag) aber Ausstellungen und einen Internetauftritt.

Die Ausstellung wird heute um 18 Uhr in der Koblenzer Sparkassengeschäftsstelle in der Schlossstraße eröffnet. Dort ist sie bis zum 25. Juli zu sehen.

Rhein-Zeitung. 7. Juli 2014