Gabriel im Interview: Die SPD ist Merkels starke Seite

Die SPD steht vor einem Dilemma: In 14 von 16 Bundesländern sitzt sie in der Regierung, doch auf Bundesebene kommt sie nicht heraus aus dem Umfragetief. Im Interview mit unserer Zeitung gibt sich SPD-Chef Sigmar Gabriel selbstbewusst: „Die SPD ist die starke Seite von Angela Merkel.“ Die Stabilität und Handlungsfähigkeit der Regierung habe viel mit der SPD zu tun.

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„Die SPD ist die starke Seite von Angela Merkel“, sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel im RZ-Interview.
Foto: Jens Weber

Zugleich warnt er die Union: „Manche, die schon immer gegen den Mindestlohn waren, missbrauchen jetzt die Debatte über die Bürokratie dazu, den Mindestlohn kaputtzureden.“ Hier das Interview im Wortlaut:

Die Große Koalition ist etwas länger als ein Jahr im Amt. Wie zufrieden sind Sie?

Ich finde es viel spannender zu fragen, was die Deutschen denken. Die Umfragen zeigen: Noch nie waren die Deutschen mit einer Regierung so zufrieden. Die Menschen merken, dass wir eine stabile und handlungsfähige Regierung haben. Und ich sage ganz selbstbewusst: Das liegt ganz wesentlich an der SPD. Wir hatten ja davor eine Regierung mit derselben Kanzlerin. Die damaligen Koalitionspartner von CDU/CSU und FDP haben sich aber nach kurzer Zeit gegenseitig „Wildsäue“ genannt und vier Jahre nur miteinander gestritten. Davor hatten wir die erste Große Koalition mit Union und SPD unter Angela Merkel. Auch sie wurde sehr gut bewertet, weil wir Deutschland damals gut durch die Finanzkrise gebracht haben. Der Blick zurück zeigt doch: Die Stabilität und Handlungsfähigkeit der Bundesregierung hat viel mit der SPD zu tun. Offenbar ist Angela Merkel immer dann eine gute Kanzlerin, wenn die SPD auf CDU und CSU aufpasst.

Die SPD regiert das Land, die Kanzlerin aber die Umfragen. Die sehen die SPD festbetoniert bei unter 30 Prozent. Sie setzen Ihre Wahlversprechen durch, aber werden dafür nicht belohnt.

Das sehe ich etwas anders: Als ich SPD-Vorsitzender geworden bin, haben wir nur in sieben Ländern regiert. Jetzt regiert die SPD in 14 Ländern. Wir stellen in neun der zehn größten Städte die Oberbürgermeister. Das ist doch eine ziemlich erfolgreiche Entwicklung. Aber wo sie recht haben: Auf Bundesebene müssen wir noch zulegen. Ich rate meiner Partei aber dazu, sich wegen der relativen Stärke der CDU unter Angela Merkel nicht zu grämen. Denn wir sollten selbstbewusst sagen: Die SPD ist die starke Seite von Angela Merkel.

Stellen Sie sich mal vor, Angela Merkel müsste mit Horst Seehofer allein regieren. Als Seehofer neulich erklärte, dass er für die Union bundesweit die absolute Mehrheit anstrebt, habe ich ein wenig humorvoll gesagt: Jetzt überlegt selbst Angela Merkel, die SPD zu wählen. Sie hält die inneren Widersprüche der Union doch nur durch zwei Dinge im Zaum: erstens durch ihre hohe persönliche Popularität in der Bevölkerung, die sie übrigens völlig zu Recht hat. Und zweitens dadurch, dass die SPD eine sehr klare Regierungspolitik durchsetzt.

SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel (Mitte) im Verlagshaus der Rhein-Zeitung – im Gespräch mit Verleger Walterpeter Twer (2.v.r.), Chefredakteur Christian Lindner (2.v.l.), Nachrichtenchefin Birgit Pielen und Politikredakteur Christian Kunst. Foto: Jens Weber
SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel (Mitte) im Verlagshaus der Rhein-Zeitung – im Gespräch mit Verleger Walterpeter Twer (2.v.r.), Chefredakteur Christian Lindner (2.v.l.), Nachrichtenchefin Birgit Pielen und Politikredakteur Christian Kunst.
Foto: Jens Weber

Aber Seehofer und Merkel verstehen sich offenbar sehr gut.

Wenn Sie damit die plötzlich angedachte Abschaffung des Soli meinen, dann ist dies das Gegenteil von dem, was Frau Merkel und die Union vor der Wahl versprochen haben. Und es ist das genaue Gegenteil dessen, was der CDU-Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble selbst vorgeschlagen hat. Es rumpelt eben in der Union auch gelegentlich. Das ist in Volksparteien auch normal, denn es treffen dort viele unterschiedliche Meinungen aufeinander. Aber insgesamt beweisen wir doch täglich, dass wir gemeinsam gut regieren.

Wie zum Beispiel?

Wir haben vor ein paar Tagen ein Investitionsprogramm durchgesetzt mit massiven Verbesserungen für die Städte und Gemeinden. Dass Wolfgang Schäuble und ich das so schnell vereinbaren konnten, zeigt doch, dass wir gut zusammenarbeiten. Übrigens: Dass die finanzschwachen Kommunen dabei eine so große Rolle spielen, hat ganz wesentlich mit dem Engagement der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer zu tun. Zusammen mit Hannelore Kraft aus NRW hat Malu Dreyer seit Monaten dafür gekämpft, endlich den finanzschwachen Städten zu helfen.

Die Städte und Gemeinden in Rheinland-Pfalz sollen jetzt mehr als 250 Millionen Euro zusätzlich bekommen. Der nächste Schritt muss sein, den Kommunen die Kosten der Flüchtlingsunterbringung abzunehmen. Das Anwachsen der Flüchtlingsströme hat internationale Ursachen. Wir dürfen die Folgen nicht einfach den Gemeinden vor die Tür kippen. Am Ende müssen sie entscheiden, ob sie die Schule sanieren oder Flüchtlinge anständig unterbringen. Das wäre dann wirklich sozialer Sprengstoff. Aber leider ist die CDU noch nicht so weit wie die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Da müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten.

Bei der Hamburg-Wahl hat die SPD klar gewonnen. Was kann die SPD aus dem Wahlsieg lernen?

Dass es richtig ist, keinen Widerspruch erscheinen zu lassen zwischen wirtschaftlichem Erfolg und sozialem Zusammenhalt. Rheinland-Pfalz ist dafür ein gutes Beispiel. Es ist ein Land, das sich wirtschaftlich exzellent entwickelt und das zugleich als erstes in Deutschland die Kitagebühren abgeschafft hat und Ganztagsschulen ausbaut.

Nach Gerhard Schröder hatte die SPD niemanden mehr, der als Ministerpräsident Kanzlerkandidat wurde. Brauchen Sie wieder einen Landesfürsten als Kandidaten?

Über den Kanzlerkandidaten der SPD wird 2016 und 2017 entschieden. Die Menschen wollen, dass wir jetzt anständig regieren und nicht schon über den nächsten Wahlkampf nachdenken.

Die Frage ist doch, ob man auf Länderebene gezeigt haben muss, dass man Wahlen gewinnen kann.

Jeder erfolgreiche Ministerpräsident ist auch ein potenzieller Kanzlerkandidat.

Auch Olaf Scholz?

Der ist ein erfolgreicher Ministerpräsident.

Wie schätzen Sie Pegida aus persönlicher Beobachtung ein?

Ich glaube, dass es in Dresden und an anderen Orten Organisatoren gab und noch immer gibt, die rechtsradikal sind. In Sachsen stehen dahinter auch Teile der AfD. Früher haben Bewegungen Parteien gegründet. Dort hat eine Partei versucht, sich eine Bewegung zu schaffen. Viel interessanter ist aber die Frage, warum Tausende zu Veranstaltungen der Pegida gehen, die nicht rechtsradikal oder ausländerfeindlich sind. Bei einer Veranstaltung der Zentrale für politische Bildung in Dresden, an der ganz normale Bürger – Befürworter und Gegner von Pegida – beteiligt waren, habe ich immer wieder die gleichen Sätze gehört: Die Politik hört uns ja sowieso nicht mehr zu. Politiker haben keine Ahnung von unserem Alltag. Danach habe ich überlegt, wie diese Einschätzung zustande kommt.

Was ist Ihre Antwort?

Ein Beispiel: Wenn wir den Leuten lang genug sagen, dass wir eine gute Wirtschaftspolitik machen, damit es allen besser geht, und im Alltag verdient eine Physiotherapeutin in Sachsen 1200 Euro brutto, dann kann die mit dem Gerede über das starke Deutschland wenig anfangen. Es gibt eine wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die den Eindruck hat, dass Politik und die Eliten nichts mehr von dem wissen, was die Menschen umtreibt.

Was ist Ihre Schlussfolgerung?

Wenn wir schwierige Entscheidungen wie zu Griechenland oder der Ukraine treffen, dann müssen wir uns viel mehr Mühe geben, Politik zu erklären. Wir müssen da hingehen, wo Erklären schwierig ist. Es würde uns guttun, überall im Land darüber zu reden, was unser Land eigentlich ausmacht. Und wie wir in einer Welt voller Unsicherheit zusammenleben wollen. Dazu gehört auch zu sagen, wo Politik ihre Grenzen hat, was sie nicht schaffen oder zumindest nicht mehr allein national schaffen kann. Wir brauchen eine neue Verständigung über diese Fragen, damit wir nicht auseinanderfallen. Die Politik muss dies leisten und darf sich nicht nur in Parlamente und Regierungsetagen zurückziehen.

Ist der Bürger dabei auch gefordert?

Ja, natürlich. Demokratie ist keine Konsumveranstaltung. In Schulen werde ich manchmal von Jugendlichen gefragt, was ich gegen ihre Politikverdrossenheit tue. Meine Antwort lautet: Gar nichts, denn ich bin nicht euer Animateur. Ich will die dann ein bisschen provozieren, denn man muss sich um die Zukunft des Landes auch selbst Gedanken machen. Demokratie heißt Verantwortung.

Apropos Bringpflicht: Was hinterlässt Sebastian Edathys sehr reueloses Geständnis bei Ihnen?

Eine Mischung aus Enttäuschung und Verärgerung. Sebastian Edathy war am Ende seiner Karriere ein erfolgreicher und populärer Abgeordneter. Er hätte wissen müssen, dass sich damit eine Verantwortung verbindet auch in der persönlichen Lebensführung und in der Pflicht zur Wahrheit. Aber er hat monatelang so getan, als sei er das Opfer. Er ist Täter. Ich habe sehr früh seinen Ausschluss aus der SPD gefordert, weil man wissen muss, dass Kinderpornografie damit beginnt, dass ein Kind missbraucht oder vergewaltigt wird. Jeder, der diese Bilder herunterlädt, macht sich mitschuldig daran, dass die Vergewaltigung von Kindern zum Geschäftsmodell wird.

Wenn er nicht von selbst aus der Partei austritt, wird das Ausschlussverfahren dann fortgesetzt?

Ja. Ich bin überzeugt, dass Sebastian Edathy der SPD und ihrem Ansehen schwer geschadet hat. Wer meint, dass Kinderpornografie ein Kavaliersdelikt ist, der hat mit den Grundsätzen der SPD gebrochen.

Was sagen Sie zum Vorstoß der rheinland-pfälzischen CDU-Chefin Julia Klöckner, die Arbeitszeit für den Mindestlohn nur noch monatlich zu dokumentieren?

Wie macht man denn eine monatliche Erfassung, wenn man es nicht täglich aufzeichnet? Manchmal neigen Politiker dazu, schnell mal einen Vorschlag zu machen, um in die Medien zu kommen. Besser ist es, die Vorschläge vorher zu durchdenken. Manche, die schon immer gegen den Mindestlohn waren, missbrauchen jetzt die Debatte über die Bürokratie dazu, den Mindestlohn kaputtzureden. Das werden wir nicht zulassen.

Das Gespräch führten Chefredakteur Christian Lindner, Birgit Pielen und Christian Kunst