Gabriel: Auf die Linken ist kein Verlass

Foto: Sascha Ditscher

Wenn SPD und Grünen die große Aufholjagd in den nächsten Wochen nicht gelingt, wird es mehr als knapp für ein rot-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl. Im Liveinterview mit unserer Zeitung erklärt SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, warum sich junge Menschen für Politik interessieren sollten und wie sein Wunsch-Regierungsbündnis doch noch Wirklichkeit werden könnte:

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Das Gespräch führten die Schülerreporter Sebastian Fobbe, Laura Will und unsere Redakteure Manfred Ruch und Rena Lehmann

Herr Gabriel, Sie sind schon als Jugendlicher in die SPD eingetreten. Aus welchem Grund könnte das für Jugendliche heute interessant sein?

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Sie sollten sich für Politik interessieren, weil es um ihre Zukunft geht. Was wir heute entscheiden, wird für ihr Leben Konsequenzen haben. Das würde ich nicht anderen Leuten überlassen. Die SPD setzt sich seit ihrer Entstehung dafür ein, dass das Leben für Menschen gleich sein soll. Ich glaube, das ist eine sehr junge Idee.

Wollen Sie ein Wahlrecht mit 16?

Wir haben das in Niedersachsen als erstes Land für Kommunalwahlen eingeführt. Bei der Bundestagswahl habe ich damit auch kein Problem.

Sind mit der SPD auch Volksentscheide auf Bundesebene möglich?

Seit 1987 beantragen wir das regelmäßig im Bundestag. Man braucht dafür aber eine Zweidrittelmehrheit, also müssten auch Teile der CDU da zustimmen. Wir wollen das heute mindestens genauso wie früher, aber es ist bisher immer abgelehnt worden. Der Volksentscheid könnte helfen, die Distanz zwischen Bürgern und Politik zu überbrücken. Politik würde sich mehr anstrengen, Entscheidungen zu erklären.

Was wäre das Erste, was Sie in unserem Schulsystem ändern würden?

Ich würde gar nicht im Schulsystem beginnen, sondern in den Kindertagesstätten. Sie müssen gebührenfrei sein und zu Familienbildungsstätten werden. Statt, wie die Union und FDP das jetzt mit dem Betreuungsgeld vorhaben, Leuten 150 Euro dafür zu geben, dass sie ihre Kinder nicht in Kindertagesstätten geben, würde ich das Geld in die Kitas geben.

Und was tun Sie für die Schule?

Ich bin dafür, dass wir einen Rechtsanspruch auf Ganztagsschule einführen. Ich bin auch dafür, dass man dann Hausaufgaben abschafft. Die Ungerechtigkeit beginnt doch damit, dass Eltern, die Akademiker sind, ihren Kindern bei der höheren Schulbildung einfacher helfen können als Eltern, die nicht studiert haben. Und deswegen will ich, dass das in der Schule stattfindet und nicht im Elternhaus. Der Bund muss den Ländern natürlich bei der Finanzierung der Ganztagsschulen helfen.

Können Sie uns erklären, warum man Steuern erhöhen muss, wenn der Staat gerade so viel Geld einnimmt wie noch nie?

Weil wir auch die höchsten Schulden haben. Wenn heutige Jugendliche einmal so alt sind wie ich und Kinder haben, dann müssen wir aufpassen, dass ihre Kinder und Enkelkinder nicht noch die Schulden abtragen müssen, die wir heute verursachen. Deswegen muss man die hohen Steuereinnahmen, die wir jetzt haben, nutzen, um Schulden abzubauen.

Wie viel Rente werde ich noch bekommen?

Das hängt davon ab, wie viel Sie in Ihrem Leben verdienen werden. Es sei denn, Sie werden Beamter, dann hängt es davon ab, wie viel Sie in den letzten Arbeitsjahren verdienen, was übrigens auch ungerecht ist. Bei den Arbeitern und Angestellten werden auch die niedrigen Löhne der Anfangszeit dazugezählt. Pensionen von Beamten sind deshalb in der Regel auch etwas höher. Auch das muss im Rentensystem irgendwann geändert werden, dass diese Benachteiligung von Arbeitern und Angestellten mal aufhört.

Hätten Sie nicht selbst Lust gehabt, Kanzlerkandidat zu werden?

Man muss entscheiden, wer für eine bestimmte Situation der Beste ist. Ich bin der Überzeugung, dass die größte Aufgabe, die vor uns steht, die Bändigung der Finanzund Bankmärkte ist. Da ist Steinbrück der Beste. Da ist er besser, als ich das könnte. Wir können viele der innenpolitischen Fragen vergessen, wenn es uns nicht gelingt, diese Finanzmärkte mindestens mal auf europäischer Ebene in den Griff zu bekommen. Sie sind nach wie vor außer Rand und Band. Dafür ist Peer Steinbrück der Richtige. Außerdem hätte ich Ärger mit meiner Frau gekriegt.

Mit welchem Thema will die SPD beim Fernsehduell punkten?

Man muss für gute Arbeit auch wieder fair bezahlt werden. Es kann nicht sein, dass ein Viertel unserer Arbeitnehmer inzwischen in prekärer Beschäftigung sind. Frauen kriegen im Jahr 2013 fast 25 Prozent weniger Gehalt als Männer. Es muss gleichen Lohn für gleiche Arbeit geben.

Wenn es für eine rot-grüne Mehrheit nicht reicht: Mit wem würde die SPD koalieren?

Unser Wahlkampf geht um Rot- Grün, und Frau Merkel sagt ja auch, dass sie Schwarz-Gelb will. Darüber wird Wahlkampf geführt. Wenn die Wählerinnen und Wähler anders entscheiden, wird es schwierig werden, eine Regierung zu bilden. Deswegen werben wir darum, dass wir Klarheit schaffen bei der Bundestagswahl.

Können Sie sich auch eine Große Koalition vorstellen?

Meine Fantasie reicht zu allem aus. Ich will sie nicht. Große Koalitionen neigen dazu, Koalitionen des kleinsten gemeinsamen Nenners zu sein. Ich finde es aber nicht gut, wenn demokratische Parteien öffentlich erklären, dass die anderen so schlimm sind, dass sie mit ihnen keine Politik machen wollen.

Peer Steinbrück schließt aus, dass er in einer Großen Koalition eine Rolle spielt. Würden Sie das für sich auch sagen?

Ich will SPD-Vorsitzender bleiben, und das ist ehrlich gesagt anstrengend genug.

Die Linkspartei hat Ihnen auch gerade ein Angebot gemacht. Schlagen Sie eine Koalition mit der Linken wirklich aus?

Ich kann Deutschland nicht in eine Regierung führen, bei der der Rest Europas nicht weiß, ob das, was diese Regierung verabredet, einen Tag später noch gilt. Deutschland genießt hohen Respekt, aber man schaut darauf, ob man sich auf uns verlassen kann.

Minderheitenregierung oder solche Spielchen führen dazu, dass der größte Staat in Europa wackelig ist. Man darf kein Regierungsamt so sehr anstreben, dass man bereit ist, ein so hohes Risiko dafür einzugehen. Deswegen werden wir das nicht machen.

Worauf werden Sie am 22. September anstoßen?

Ich werde sicher ein Bier trinken – und damit auf den Wahlsieg der SPD anstoßen.