Rheinland-Pfalz

Fußballzauber: Wir sind wieder eins

Foto: Sascha Ditscher

Großes beginnt oft im Kleinen. Historisches beginnt oft ohne jegliche Vorankündigung. Wer von den Millionen Deutschen ahnte, was auf ihn zukommen würde, als er gegen 22 Uhr den Fernseher einschaltete, Chipstüte und Getränke griffbereit?

Lesezeit: 3 Minuten
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Von unserem Redakteur Michael Defrancesco

32,57 Millionen waren es, die den Siegesrausch der deutschen Elf gegen Brasilien anschauten – so viele wie noch nie bei einem Fernsehereignis – und die ihren Augen nicht trauten. Die jubelten, aber manchmal doch ungläubig waren, ob das alles wahr sein konnte. Ob da wirklich eine brasilianische Nationalmannschaft filetiert wurde. Und wehe dem, der es wagte, nur mal ganz kurz zum Kühlschrank oder auf die Toilette zu gehen – schon wieder war ein Tor gefallen.

Der starke Regen und die späte Anstoßzeit räumten vielerorts die Public-Viewing-Orte leer. Und so saßen die Deutschen, alte und junge, arme und reiche, Fußballverrückte und Gelegenheitsgucker, meist in den heimischen Wohnzimmern, maximal per Telefon, WhatsApp oder Facebook mit der Außenwelt verbunden. Und erlebten eine Nacht, die von Minute zu Minute unglaublicher wurde. Kaum kam man mit dem Jubeln hinterher – „War das jetzt die Wiederholung oder schon das nächste Tor?“ -, und je länger, desto mehr mischte sich auch Mitleid in den Jubel. „Reicht doch eigentlich“, sagte man zu sich beim 4:0, als brasilianische Kinder zu sehen waren, die im Stadion heftig weinten. Und den Ehrentreffer wünschte man den Brasilianern spätestens nach dem 6:0.

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

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Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

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Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

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Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Wer das Fußballwunder von 2014 verschlafen hatte, weil er Frühdienst hatte und als braver Arbeitnehmer pünktlich zu Bett gegangen war, der wachte ebenso wie die 32,57 Millionen am nächsten Morgen mit dem Gefühl auf, das Vergangene könne nicht wahr sein. Und so wie die Deutschen am Morgen aus ihren Häusern in Büros und Geschäfte strömten, so konnten sie endlich auch miteinander reden. In den Kantinen, auf den Schulhöfen, in den Bäckereien, den Bussen und Bahnen gab es nur das eine Thema: das Sambamärchen, das Wunder von Belo Horizonte.

Ausgelassen bejubeltz wurde der deutsche Sieg beim Autokorso auf dem Kreisel in Idar.

Hosser

Aufgrund des schlechten Wetters war dort aber weniger los als sonst nach Triumphen von Jogis Jungs.

Hosser

Anspannung herrschte bei den Deutschland-Fans n der Arena Herborn nur ganz am Anfang.

Hosser

Schnell machte sich Begeisterung über das temporeiche Spiel der deutschen Elf breit.

Hosser

Auf der Großleinwand verfolgten die Fans auch, wie in Brasilien getrauert wurde.

Hosser

Enttäuscht waren auch die Angehörigen der kleinen brasilianischen Gemeinde in Idar.

Reiner Drumm

Diese Brasilianerin schwenkte aber während des Spiels um und bekannte ihre Liebe zur deutschen Mannschaft.

Reiner Drumm

Auf einmal schien Deutschland zu vergessen, wie heterogen es ist. Auf einmal spielten Standesunterschiede und Profession keine Rolle mehr. Denn gejubelt hatten alle gleich, als Thomas Müller den Ball zum 1:0 ins Tor gehämmert hatte. Und sich in den Arm gezwickt, ob sie noch wach sind, als André Schürrle das Spektakel aus deutscher Sicht mit dem 7:0 beendete. Sie hatten überrascht festgestellt, wie die brasilianischen Fans am Ende sogar die deutschen Tore beklatschten. Und sie hatten bewegt dabei zugesehen, wie die deutschen Spieler ihre brasilianischen Kollegen nach dem Spiel in den Arm nahmen und trösteten und nicht zuletzt auch für diese große Geste in der ganzen Welt bewundert und gefeiert wurden.

Es war der große Tag der Fußballnichtkenner. „Meine Tochter hat im Kindergarten auf 7:2 für Deutschland getippt“, erzählten völlig verdatterte Väter. Kinderbilder, auf denen das Ergebnis „10:0 für Deutschland“ steht, stahlen so manchem Fußballkenner die Schau. Was am Vortag noch eine Witzwette unter Kollegen gewesen war, sorgte auf einmal dafür, dass der Tippende als neuer Experte und Geheimkenner der Szene verehrt wurde.

„Wir sind wieder wer“, hieß es 1954 nach dem Wunder von Bern. „Wir sind wieder stolz auf Deutschland“, hieß es 2006 nach dem Sommermärchen. „Wir sind wieder eins“, heißt es jetzt. Vereint im Jubel. Dank ein paar Jungs im fernen Brasilien, die uns neu erleben lassen, wie wichtig gesellschaftlicher Kitt ist.