Rheinland-Pfalz

Forscher in Mainz fragen: Was macht uns stark gegen Stress?

Die menschliche Psyche ist komplex: Es gibt Menschen, die halten Stress und Druck nahezu mühelos aus, andere leiden oder zerbrechen daran. In Mainz sucht man nach Faktoren für die seelische Widerstandskraft.

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Von unserem Redakteur Dietmar Brück

Die vielen Burn-out-Fälle sprechen eine beredte Sprache. In der Mainzer Universitätsmedizin will jetzt ein interdisziplinäres Forschungsteam herausfinden, was Menschen stark macht, was sie Kriege und Krisen unbeschadet überstehen lässt. Das Zauberwort heißt „Resilienz“, seelische Widerstandskraft. Diese innere Stärke soll im neu gegründete Deutsche Resilienz-Zentrum (DRZ) in der Landeshauptstadt erforscht werden.

Die europaweit einzigartige Einrichtung schließt „eine wichtige Lücke in der Wissenschaft“, erklärte Babette Simon, die Vorstandsvorsitzende der Universitätsmedizin. Und die rheinland-pfälzische Wissenschaftsministerin Doris Ahnen (SPD) sprach in Gebäude 503, im Herzen des universitären Klinik- und Forschungskomplexes, von einem hochspannenden Bereich mit großer wirtschaftlichen Bedeutung. Mediziner und Ökonomen weisen bereits seit Jahren darauf hin, dass Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen die deutsche Wirtschaft Milliardensummen kosten.

Wissenschaftliche Teamarbeit

Im neuen DRZ, das zunächst ohne eigenes Personal auskommt, arbeiten Neurowissenschaftler, Mediziner, Psychologen, Sozialwissenschaftler, Politologen und Sportwissenschaftler zusammen. In den vergangenen Jahren wurden in der Unimedizin verstärkt und gezielt kluge Köpfe angeworben, die für die Resilienzforschung Potenzial oder auf diesem Feld sogar schon einen Namen haben. Für die Forscher, die fürs DRZ wirken, werden pro Jahr fünf Millionen Euro an Personal- und Sachkosten aufgewendet. Die meisten Beschäftigten haben allerdings auch noch andere Forschungsgebiete. Das Resilienz-Zentrum soll künftig in zwei Neubauten auf dem Unigelände untergebracht werden. Sie werden mit Bundes- und Landesmitteln finanziert.

Neurologen, Psychiater und Hirnforscher an der Mainzer Hochschule sind überzeugt, dass eine ausgeprägte Stressresistenz oder Stressanfälligkeit nachweisbare Spuren im Gehirn hinterlässt. Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie stellvertretender Sprecher des DRZ, erklärt den Auftrag des neuen Instituts so: „Wir wollen verstehen, welche Vorgänge im Gehirn Menschen dazu befähigen, sich gegen die schädlichen Auswirkungen von Stress und belastenden Lebensereignissen zu schützen.“

Man will nach dem Schlüssel zur seelischen Widerstandskraft suchen. Was die Forscher dabei entdecken, wollen sie möglichst schnell in die Gesellschaft einspeisen. „Den Wissenstransfer aktueller Forschungsergebnisse“, nennt Unipräsident Georg Krausch daher als Ziel. Das neue Projekt im wissenschaftlichen Uni-Großkomplex „Lebenswissenschaften“ soll das Leben vieler Menschen verbessern helfen.

Die Forscher des Instituts wollen menschliche Schutzmechanismen analysieren. Mit anderen Worten: Sie gehen der Frage nach, aus welchen Quellen Menschen Kraft schöpfen, an denen Anspannung und Strapazen weitgehend abprallen.

Unglaubliche (Über-)Lebensleistung

Es gibt schier unglaubliche Beispiele für seelische Widerstandskraft: Menschen, die das Grauen eines Konzentrationslagers überlebt haben, ohne daran zu zerbrechen. Menschen, die unglaubliche Folter erleiden mussten oder ihre Familie verloren haben und trotzdem wieder aufgestanden sind. Menschen, die die Schrecken von Entführungen, Raubüberfällen oder lange Gefängnisaufenthalten einigermaßen unbeschadet bewältigen konnten. Kriegsheimkehrer, denen ein Neuanfang gelungen ist, obwohl andere, die das gleiche Schicksal erlitten haben, nie mehr auf die Beine kamen. Psychologen glauben, dass resiliente, also seelische starke Menschen eine höhere Selbstwirksamkeit haben: Sie glauben daran, dass sie etwas ändern können, dass sie Einfluss auf ihr Leben haben. Hilfreich scheint eine Lösungs- und Netzwerkorientierung zu sein. Will heißen: Stabilere Menschen beschreiten in Krisen neue Wege und lassen sich dabei von anderen helfen. Die Mainzer Gründer des Deutschen Resilienz-Zentrums haben dafür den Dreiklang vom „Verstehen, Vorbeugen und Verändern“ geprägt. Angewandte Neurobiologie.

Trainingsmodule entwickelt

Damit Menschen Stress vorbeugen können, hat das DRZ-Team bereits erste Trainingsmodule entwickelt. Sie werden in Unternehmen angewandt. Langfristig will das Institut nicht nur als wissenschaftlicher Kristallisationspunkt dienen, sondern auch Ansprechpartner für Politik und Wirtschaft sein.