Wien

Flüchtlinge sterben im Kühltransporter

Manchmal sind Politikerreden nicht weit entfernt vom ganz realen Grauen der Flüchtlingskrise. Am Donnerstag waren es nur wenige Kilometer. In Wien kam Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit etlichen anderen Spitzenpolitikern zur Westbalkan-Konferenz zusammen. Kaum 40 Fahrtminuten weiter südlich fiel Autobahnarbeitern auf einem Pannenstreifen bei Parndorf (Bezirk Neusiedl am See) ein Kühlwagen auf. Aus dem Laderaum sickerte eine Flüssigkeit – es war Verwesungsflüssigkeit.

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Von Thomas Burmeister

Vom Fahrer fehlt jede Spur

Als Polizeibeamte die Türen aufbrachen, bot sich ein Schreckensbild: die Leichen zahlreicher Menschen. Allesamt wahrscheinlich Flüchtlinge, die ihr Leben Schleppern anvertraut hatten.

Was genau sich in dem Kühl-Lkw mit ungarischen Kennzeichen und dem Schriftzug einer slowakischen Hühnerfleischfirma abgespielt hat und wann die Menschen starben, konnten die Ermittler zunächst nicht sagen. Vom Fahrer und eventuellen Begleitern fehlte jede Spur. Die Fahndung nach den Schleppern läuft auf Hochtouren, versicherte der Polizeidirektor des Burgenlandes, Hans Peter Doskozil. „Es wurde ein Krisenstab eingerichtet.“ Die Pannenbucht war weiträumig abgeriegelt. Über den anderen Fahrstreifen rollte der Verkehr weiter. Viele Menschen waren unterwegs zu einer Shoppingveranstaltung in einem nahe gelegenen Designer Outlet in Parndorf.

Bundeskanzlerin Angela Merkel reagierte bestürzt auf die Flüchtlingskatastrophe in Österreich. „Wir sind alle erschüttert von der entsetzlichen Nachricht“, sagte Merkel. „Das waren Menschen, die auf dem Weg waren, um mehr Sicherheit und Schutz zu suchen, und dabei einen so tragischen Tod erleiden mussten.“ Die Tragödie ist nach ihren Worten eine Mahnung an Europa, die Migrationsprobleme schnell und im europäischen Geist der Solidarität anzugehen und Lösungen zu finden.

Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sagte: „Diese Tragödie macht uns alle betroffen.“ Der grausige Fund von Parndorf überschattete auch die Westbalkan-Konferenz in Wien und ließ wohl niemanden unberührt. Doch wird sich etwas ändern am Herangehen der europäischen Staaten? „Das wird nicht die einzige Katastrophe bleiben“, prophezeite der Generalsekretär von Amnesty International Österreich, Heinz Patzelt.

Täglich sind Schlepper unterwegs

Fast jeden Tag sind auf österreichischen Straßen Schlepperfahrzeuge mit jeweils Dutzenden Menschen unterwegs. Viele kommen über die sogenannte Balkanroute. Viele hoffen, dass sie es bis nach Deutschland oder in eines der anderen nördlichen Länder der EU schaffen.

„Es war zu befürchten, dass es einmal Todesopfer bei den Schleppertransporten gibt“, sagte Österreichs Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP). „Denn die organisierte Schlepperei ist eine skrupellose und mörderische Form schwerster Kriminalität, der man europaweit konsequent entgegenwirken muss.“ Dafür tritt auch der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres, seit Langem ein. Doch ein Allheilmittel ist der Kampf der Polizei gegen die Schlepperbanden für ihn nicht. Seiner Meinung nach muss Europa endlich ein „ordentlich funktionierendes System“ schaffen, das es Flüchtlingen ermöglicht, auf legalen Wegen zu kommen und Asyl zu beantragen – am besten bereits in Aufnahmezentren an den EU-Außengrenzen.

Das würde wahrscheinlich zumindest den Autobahnschleppern innerhalb der Europäischen Union den Boden für ihr Geschäft entziehen. „Wenn man die Flucht der Menschen staatlich organisierte, dann wären die Schlepper und Schleuser arbeitslos“, sagte der Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur, Rupert Neudeck, der Zeitung „Welt“.