Brüssel

Ex-Chefvolkswirt der EZB: Grexit verkraftbar

Bis spät in die Nacht hinein rangen die Euro-Chefs um eine Einigung mit Athen. Doch die Probleme Griechenlands lösen können sie gar nicht, sagt Professor Jürgen Stark, ehemaliger Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB).

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Im Interview mit dem Deutschlandfunk betonte Stark, der die EZB aus Protest gegen die umstrittenen Staatsanleihenkäufe verließ: Griechenland muss wettbewerbsfähig werden. Wir dokumentieren das Interview in Auszügen.

Kommt der Grexit zwangsläufig über den Zusammenbruch der Banken?

Nun, zunächst einmal nicht. Aber Faktum ist, dass das griechische Bankensystem völlig am Tropf der Zentralbanken hängt: auf der einen Seite durch die Notkredite, die die nationale Zentralbank gibt, aber auch durch die Liquidität, die die Europäische Zentralbank bereitstellt, und das sind gewaltige Volumina. Mittlerweile sind diese Notkredite aufgelaufen auf 86 Milliarden Euro. Das ist das, was die EZB gebilligt hat, was die griechische Zentralbank tun darf. Aber auch die Liquidität vonseiten der EZB selbst gegen entsprechende Sicherheiten in Höhe von 120 Milliarden Euro.

Wie lange könnte die EZB das noch weitermachen?

Nun, im Grunde genommen kann sich das Karussell weiterdrehen. Die EZB ist keine politische Institution. Aber sie verhält sich so, als sei sie eine politische Institution, und gibt diese Kredite, obwohl auf der Gegenseite – aufseiten der griechischen Regierung – die Bemühungen sehr beschränkt sind, zu einer Einigung mit den Gläubigern zu kommen.

Aber wenn sie es nicht tun würde, hätten wir schon jetzt den Zusammenbruch der Banken.

Was die Zentralbanken im Moment tun, ist ein Kaschieren der Insolvenz Griechenlands. Das heißt, das Bankensystem wäre längst zusammengebrochen, aber auch die Volkswirtschaft wäre längst zusammengebrochen. Das ist natürlich das, was man immer im Blick haben muss: Was bedeutet es, wenn man diese Kredite nicht mehr zur Verfügung stellt? Wenn auf der Gegenseite allerdings keine Leistung erkennbar ist, dass man gewillt ist, die Probleme Griechenlands wirklich anzugehen und einer Lösung zuzuführen, dann kann dies kein Spiel ohne Ende sein.

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras sagt, der Grexit wäre der Anfang vom Ende der Euro-Zone. Auf der anderen Seite sagt der Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, der Grexit ist die Rettung. Wer hat recht?

Auf jeden Fall wäre ein Aussteigen Griechenlands aus dem Euro nicht das Ende der gemeinsamen Währung, nicht das Ende der Währungsunion und auch nicht das Ende Europas. Die Finanzmärkte haben sich längst darauf eingestellt, Griechenland als einen wirklichen Sonderfall zu behandeln, und es kann nicht darum gehen, dass man nun anhand einer sehr, sehr kleinen Volkswirtschaft und des Fehlverhaltens einer Regierung die Schlussfolgerung zieht, der Euro ist gescheitert, und Griechenland dürfe den Euro nicht verlassen. Ich meine, Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut hat insoweit recht, dass im Augenblick ja „nur“ das fiskalische Problem Griechenlands angegangen werden soll oder auch das Rentensystem, dass aber das Grundproblem der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Griechenland gar nicht angegangen ist.

Die Gläubiger sollten auf keinen Fall weitere Zugeständnisse machen?

Das ist richtig. Es geht ja nicht nur um Griechenland und darum, Griechenland zu helfen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist natürlich die: Inwieweit will man die Europäische Währungsunion in ihrem institutionellen Rahmen, in ihrem Ordnungsrahmen noch weiter erodieren lassen? Man schadet Europa, wenn man hier weitere Zugeständnisse an Griechenland geben würde. Man schadet dem europäischen Gedanken und der Akzeptanz auch Europas. Und man darf auch nicht vergessen, dass es politisch für viele andere Regierungen im Euro-Gebiet sehr, sehr schwer ist, dies zu Hause zu vermitteln. Es geht auch um Länder, die ärmer sind als Griechenland, die aber bisher ihr Geld Griechenland zur Verfügung gestellt haben, die also niedrigere Renten haben, die niedrigere Löhne haben, die generell ein niedrigeres Pro-Kopf-Einkommen haben.

Wie groß ist Ihre Sorge, dass man sich weiter so durchwurstelt, wie das bisher gemacht wurde?

Ich habe den Eindruck, die derzeitige griechische Regierung oder auch das griechische Verwaltungssystem werden gar nicht in der Lage sein, eine Einigung umzusetzen. Auf der einen Seite wird die Regierung nicht willens sein, dies umzusetzen, auf der anderen Seite ist man institutionell nicht in der Lage, das umzusetzen. Was immer man letztendlich entscheiden wird, es ist nicht das Ende des Spiels, das wir jetzt seit mehreren Monaten sehen.

Sie sind Kritiker des EZB-Rettungsprogramms, also des möglichen Ankaufs von Staatsanleihen. Ist das aber nicht gerade in der jetzigen Situation der einzige Weg, um die Märkte zu beruhigen und eine Ansteckungsgefahr zu vermeiden?

Zunächst einmal: Ansteckungsgefahren sehe ich im Moment überhaupt nicht. Griechenland ist wirklich ein Sonderfall. Die anderen Länder, die in Schwierigkeiten waren, wie Irland oder Portugal, befinden sich durchaus auf einem positiven Weg. Insoweit gibt es diese Ansteckungsgefahren überhaupt nicht mehr.

Aber es gibt ja noch andere Risikokandidaten.

Ja sicher. Es gibt auch ein besonderes Risiko, dass dieses griechische Beispiel, wenn man nun zu einem Kompromiss kommt und vonseiten der anderen europäischen Länder weiter nachgibt, dass dies Schule macht und andere Länder sich ähnlich verhalten. Das heißt, man braucht sich gar nicht so sehr anzustrengen, um seine eigenen Probleme zu lösen.

Das Gespräch führte Christiane Kaess vom Deutschlandfunk (DLF)

Das ganze Interview des Deutschlandfunks lesen Sie unter www.ku-rz.de/interviewstark