Die Wut der Griechen – Eindrücke aus Athen

Nach einer Kurzreise mit der Grünen-Chefin Peter nach Athen hat unsere Hauptstadtkorrespondentin Rena Lehmann den Eindruck: Die Tsipras-Regierung genießt Vertrauen, weil sie anders ist.

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An dem Tag, an dem das Hilfsprogramm für Griechenland in letzter Sekunde verlängert wird, schüttet es in Athen wie aus Kübeln. Viele Griechen haben den Glauben daran verloren, dass die Euro-Rettung am Ende auch sie rettet. Das tief verunsicherte Land setzt all seine Hoffnungen auf die jungen Wilden in der neuen Regierung. „Sie sind eine einzige Herausforderung für das europäische Establishment“, sagt ein deutscher Beobachter in Athen. Die Griechen vertrauen ihnen gerade deshalb.

An der Decke prangen Wasserflecken, Kabel ragen aus den Wänden und führen nirgends hin. Es ist das Vorzimmer des Mannes, auf dem in den nächsten Monaten die Hoffnungen der Euro-Gruppe ruhen und die vieler Griechen. Es ist das Ministerium von Gianis Varoufakis, griechischer Finanzminister im neuen Regierungsbündnis Griechenlands unter Führung des linken Syriza-Bündnisses.

Während Varoufakis an diesem Tag eine Delegation deutscher Grünen-Politiker empfängt, erklärt seine Entourage den Journalisten im Vorzimmer ihre Sicht auf die Krise. Der Direktor des Pressebüros des Ministeriums macht seinem Ärger Luft. Griechenland habe seine Mitgliedschaft in der Euro-Zone „mit Blut bezahlt, Deutschland seine mit Geld“.

An Griechenland werde in Europa ein Exempel statuiert, und „die Deutschen“ seien auch noch stolz auf das, was sie dem Land antäten. Der Mann redet sich jetzt vollends in Rage. Deutschland, so sagt er, würde in dieser Krise seine „Großmacht-Träume“ ausleben. „Bevor Griechenland die Euro-Zone verlässt, muss Deutschland die Euro-Zone verlassen.“

Das Land ist in der Krise müde und fatalistisch geworden

Es ist ein ungewöhnlicher Auftritt für den Sprecher eines Finanzministeriums. Er sagt vielleicht etwas über die Vertrauenswürdigkeit der neuen Führung Griechenlands aus. Er sagt sicher mehr noch über die Stimmung in dem Land aus, das nach fünf Jahren unter dem Rettungsschirm und unter dem Diktat der Troika krisenmüde und fatalistisch geworden ist.

Die „humanitäre Krise“ ist in Athen in aller Munde. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Leuten liegt bei 35 Prozent, Zehntausende sind ohne Strom, weil sie Rechnungen zu lange und zu oft nicht mehr bezahlt haben. Die Armut wird sichtbar, sagen viele.

Eleni Katsouli betreibt für die Gemeinde eine Suppenküche mitten im Zentrum. In den „guten Zeiten“, wie sie die Zeit vor der Krise nennt, kamen zwischen 300 und 350 Menschen zum Essen. Heute sind es täglich 2500. Die Stimmung hier ist aufgeheizt, Filmaufnahmen und Fotos sind verboten. Niemand, der hier isst, möchte sich filmen lassen. Die Menschen, die kommen, sind sehr hungrig. Ob sich mit Syriza an ihrer Lage etwas ändern wird? Eleni Katsouli sagt: „Die Leute haben eine Hoffnung gewählt.“

Die andauernde Krise hat die Menschen in Griechenland „fatalistisch und unideologisch“ gemacht, meint ein politischer Beobachter aus Deutschland. Viele hätten Syriza aus einem „Reflex“ heraus gewählt. „Sie hoffen, dass die bleierne Zeit von ihnen abfällt und dieses Gedemütigtwerden ein Ende hat“, sagt der Experte. Viele Griechen hätten in den vergangenen Jahren alles verloren. „Der Abstieg ist für viele enorm“, meint er. Die Menschen fühlten sich „kulturell und materiell erniedrigt“.

Die Hoffnung also heißt Alexis Tsipras. Der 40-jährige frühere Spitzenkandidat der europäischen Linken im Europawahlkampf ist seit dem 26. Januar Regierungschef von Griechenland. Auch er hat sich bereit erklärt, die Grünen-Delegation mit Parteichefin Simone Peter an der Spitze im Regierungssitz in Athen zu empfangen. Doch als die Delegation eintrifft, gibt es ein Hin und Her mit dem Protokoll.

Die grüne EU-Parlamentarierin Ska Keller ist schon drin bei Tsipras. Simone Peter muss warten, ebenso EU-Parlamentarier Sven Giegold. Tsipras' junger Sprecher entscheidet erst so, dann so, wer rein darf und wer nicht. Für einige Minuten herrscht Durcheinander. Schließlich dürfen Peter und Giegold doch rein. Nach einem knapp einstündigen Gespräch treten sie mit Tsipras in der Mitte kurz vor die Tür, für die Länge eines gemeinsamen Fotos, das rasch gemacht wird. Tsipras sagt nichts, kein Statement vor den deutschen Journalisten.

Die Befindlichkeiten zwischen Griechenland und Deutschland sind sensibel geworden. Beide Länder beobachten sich skeptisch. Es wird zugespitzt und polemisiert. Der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach etwa, in Deutschland ein eher unbekannter Politiker, ist wegen seiner markigen Sprüche in Griechenland eine echte Berühmtheit. Auch die „Bild“-Zeitung kennt man hier. Ihr Aufruf gegen weitere Hilfen für den Krisenstaat in der vergangenen Woche hat viele Griechen wütend gemacht. „Hier läuft alles über Emotionen“, sagt ein Kenner des Landes.

Jedes Wort kommt inzwischen auf die Goldwaage, auf beiden Seiten. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) machte keinen Hehl daraus, dass ihn die Äußerungen seines griechischen Amtskollegen Varoufakis in der vergangenen Woche verärgerten. Der hatte kurz nach der ausverhandelten Verlängerung des Hilfsprogramms erneut einen Schuldenschnitt für sein Land angemahnt und mit „halbstarken Sätzen“ provoziert, wie Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) befand.

Im griechischen Finanzministerium hat man seine eigene Erklärung für die Verstimmungen. In Berlin habe man bemerkt, dass man mit Varoufakis nicht so einfach umspringen kann. Deshalb würde man ihn jetzt diskreditieren und beleidigen.

Korruption aus Deutschland „importiert“?

Verschwörungstheorien haben Konjunktur. Bei einem kleinen Parteitag der Grünen Griechenlands hört man am Abend noch Abenteuerlicheres. Die Korruption, ist einer von mehreren Generalsekretären der Partei überzeugt, sei von Firmen wie Siemens überhaupt erst aus Deutschland nach Griechenland „importiert“ worden. Außerdem habe der vormalige Regierungschef Antonis Samaras alle Vorgaben der EU nur deshalb „abgenickt“, weil die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel „eine Korruptionsliste“ von ihm gehabt habe.

Die Grünen Griechenlands haben sich dem Parteienbündnis Syriza angeschlossen und regieren deshalb jetzt auch mit. Sie stellen sogar den stellvertretenden Umweltminister. Giannis Tsironis ist für die längst überfällige Ordnung des Katasterwesens im Land zuständig und für die mehreren Hundert illegalen Müllhalden. Es ist auch dies eine Mammutaufgabe.

Für den gesamten Norden Griechenlands hat der Mann, der jetzt Minister ist, nur vier Kontrolleure. Tsironis ist ein ernsthafter Politiker, der eine To-do-Liste hat, die er routiniert vortragen kann. In seinem Büro stehen noch keine Akten, der Schreibtisch ist leer. Diese Regierung ist noch gar nicht richtig eingezogen.

Ein Bild hängt an der Wand, mit Sonnenblumen, die sich der Sonne entgegenrecken. „Die Reformen, die wir jetzt machen, machen wir für die Zukunft des gesamten europäischen Projekts“, sagt Tsironis. In seinem ruhigen Lächeln blitzt für einen Moment tatsächlich so etwas wie Optimismus auf. Rena Lehmann