Königswinter/Berlin

Ernährung: Handel sieht keine Abkehr vom Fleisch

Der Hunger der Deutschen nach Fleisch ist noch immer groß, auch wenn viele eher im Supermarkt als beim Metzger einkaufen. Allerdings müssen sich auch die Einzelhändler viel einfallen lassen, um die Kunden an die Fleischtheke zu lotsen – es wird zunehmend ins SB-Regal gegriffen.
Der Hunger der Deutschen nach Fleisch ist noch immer groß, auch wenn viele eher im Supermarkt als beim Metzger einkaufen. Allerdings müssen sich auch die Einzelhändler viel einfallen lassen, um die Kunden an die Fleischtheke zu lotsen – es wird zunehmend ins SB-Regal gegriffen. Foto: Jens Weber (RZ)

Die Fleischbranche hat ein Problem. Zwar erreicht sie mit ihren Produkten 99 Prozent der deutschen Haushalte – also so gut wie alle. Doch ihr Image ist dürftig. Denn selbst wenn sich die Menschen im Supermarkt anders entscheiden: Generell haben immer mehr etwas einzuwenden gegen industrielle Tierhaltung.

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Von unserer Redakteurin Nicole Mieding

„Gesunde, sichere, schmackhafte Lebensmittel werden nicht der industriellen Landwirtschaft zugeordnet, sondern einer bäuerlichen Idylle, die so eigentlich kaum noch besteht“, betont der Human- und Veterinärmediziner Hans-Joachim Götz beim Deutschen Fleischkongress auf dem Petersberg in Königswinter. Auf Einladung der Branchenzeitschrift „Lebensmittel Praxis“ haben sich dort die Entscheidungsträger der Branche zusammengefunden: Vertreter aller großen Handelsketten und deren Lieferanten. Kurz gesagt also genau jene Menschen, die maßgeblich bestimmen, was am Ende auf unseren Tellern landet.

Werden in der Öffentlichkeit „viele Dinge vermischt“?

Wer zuhört, stellt schnell fest: Sie fühlen sich ungeliebt und missverstanden. „Es prasselt auf die Branche vieles ein, was fast schon an Verleumdung grenzt“, beschreibt Christina Steinheuer vom gastgebenden Verlag LPV Media GmbH in ihrer Anmoderation die interne Stimmung. Und Götz, Präsident des Bundesverbands praktizierender Tierärzte, gibt ihr gleich recht. „In der öffentlichen Debatte werden viele Dinge vermischt“, sagt er. Und dass es ihr oft an Seriosität und Wissenschaftlichkeit fehle. So werde etwa der Einsatz von Antibiotika dazu benutzt, um die moderne Landwirtschaft zu diskreditieren: „Die Politik nutzt die Debatte, um Wählerstimmen zu gewinnen“, beklagt der Veterinär.

Dass der Einsatz von Antibiotika und die damit verbundene Entstehung resistenter Keime eine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellt, bestreitet Götz gar nicht. „Aber die Risikowahrnehmung der Bevölkerung entspricht nicht den Fakten“, erklärt er. „Die sogenannten multiresistenten Keime (MRSA) sind vor allem ein Problem von Kliniken und ambulanten Arztpraxen“, betont Götz, der zugleich Human- und Tiermediziner ist. MRSA-Keime kämen vor allem bei der Schlachtung und Zerlegung auf das Tier, nicht durch Krankheit – sonst würde man die Keime im Tier nachweisen. Fazit: „Nur 2 bis 2,5 Prozent der MRSA-Keime entstammen der Nutztierhaltung, der Rest entsteht durch Hygienemängel im Krankenhaus.“

Das Antibiotika-Dilemma

Auch die These, dass ein kleiner Bauer weniger Antibiotika verbraucht als ein großer Bauer, lasse sich durch das QS-Antibiotika-Monitoring, das seit 2012 die Antibiotika-Gaben der sogenannten Rot- und Weißfleischindustrie erfasst (also die Produzenten von Fleisch und Geflügel), so nicht bestätigen. „Antibiotika sind verschreibungspflichtig, wir setzen sie nicht ohne Diagnose ein“, sagt der Bundesvorsitzende zur Ehrenrettung der Tierärzte. Aber auch das ist Fakt: Laut einer Studie aus dem Jahr 2011 erhalten neun von zehn Hähnchen in ihrem Leben Antibiotika. „Ganz legal“, wie Götz betont. Und dass das bei Kindergartenkindern im Grunde auch nicht anders wäre. Um das Verabreichen von Antibiotika weiter einzudämmen, plädiert er für ein gemeinsames Vorgehen von Human- und Tiermedizin. „Wir müssen ein Nachdenken einleiten“, fügt er selbstkritisch an.

Im aktuellen Trend zu vegetarischer oder gar veganer Ernährung sieht sich die Branche derzeit nicht bedroht. Nach Getränken ist Fleisch/Wurst die umsatzstärkste Sparte im deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Doch die Zahl der „unbekümmerten Fleischesser“, die rund 80 Kilo Fleisch im Jahr verputzen, sinkt, wie Helmut Hübsch von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) bilanziert. Dafür nehmen jene Käufer zu, die nur gelegentlich und dafür ganz bewusst Fleisch konsumieren. Die „Flexitarier“ kommen auf rund 16 Kilo pro Jahr, da darf's auch gern mal etwas mehr kosten.

Regionales Angebot und Fertignahrung

Der allgemeine Trend beim Fleischkonsum ist jedoch ein anderer: An den Fleischtheken im Supermarkt wird weniger verkauft, stattdessen greifen die Kunden ins Selbstbedienungsregal. Im Wagen landen dann die günstigeren Handelsmarken statt der teureren Markenware. Die sogenannten Convenience-Produkte, also Vorgegartes, jagt dem Frischfleisch ebenfalls Anteile ab. Denn die traditionellen Gewohnheitsköche scheinen allmählich auszusterben, stattdessen steigt die Zahl der Außer-Haus-Esser und der figurbewussten Gelegenheitsköche. Der Handel stellt sich darauf ein: An den Fleischtheken im Supermarkt wächst das Angebot an regionalen Produkten. Dazu kommen internationale Feinkostspezialitäten wie Dry Aged Beef oder pfannenfertige Gerichte. Denn wenn es darum geht, Zeit zu sparen, sind die Kunden durchaus bereit, mehr Geld zu auszugeben.

Die Verunsicherung, die das künftige Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) bei Verbrauchern auslöst, ist aus Branchensicht unnötig. „Unsere US-Lieferanten lassen ihre Waren schon seit Jahren nach deutschen Standards zertifizieren. Das wird sich auch durch TTIP nicht ändern“, berichtet Hans Jürgen Matern für die Metro-Handelsgruppe. „Die Amerikaner suchen dringend Ansprechpartner in Europa, die ihnen erklären, was die Kunden hier wollen – da ist der Handel gefragt. Zurzeit findet die Debatte nur auf politischer Ebene statt, aber keiner hier sucht das Gespräch mit der Wirtschaft“, merkt er kritisch an. US-Produzenten werden sich nach den Wünschen deutscher Kunden richten, glaubt Matern fest: „Die sind an langfristigem Profit interessiert. Dafür müssen die Waren den hiesigen Geschmack treffen, sonst ist das ein relativ kurzfristiges Geschäft!“