Rheinland-Pfalz

Digitales Erbe: Umgang stellt viele Fragen

Zugangsdaten zu persönlichen Konten im Internet sollten an einem sicheren Ort oder bei einer Vertrauensperson hinterlegt werden.
Zugangsdaten zu persönlichen Konten im Internet sollten an einem sicheren Ort oder bei einer Vertrauensperson hinterlegt werden. Foto: Oleksandr Delyk

Was genau passiert eigentlich mit meinen Konten, Fotos und persönlichen Daten im Internet, wenn mir etwas passiert? Wie können sich meine Hinterbliebenen Zugang verschaffen, um sie zu sichern oder gegebenenfalls zu löschen, um zu vermeiden, dass Fremde darauf zugreifen?

Lesezeit: 4 Minuten
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Von unserer Redakteurin Nicole Mieding

Noch vor Kurzem hätten viele bei solchen Fragen wohl nur mit den Schultern gezuckt oder abgewinkt. Mit dem Absturz der Germanwings-Maschine am 24. März und einer Fülle privater Fotos, die seither im Netz und auch in Zeitungen kursierten, sind sie ins öffentliche Interesse gerückt. Da kommt eine Initiative der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz gerade recht, die Menschen dafür sensibilisieren will, ihren digitalen Nachlass zu Lebzeiten zu regeln.

Der offenbart sich als schier unerschöpflich: Er umfasst sämtliche Rechtsverhältnisse, die ein Nutzer im Internet eingeht – sei es, indem er ein E-Mail-Konto eröffnet, in einem Onlineshop einkauft, Bankgeschäfte online erledigt oder übers Internet einen Strom-, Gas- oder Telefonvertrag abschließt. Hinzu kommen sämtliche Texte und Bilder, die auf Internetportalen veröffentlicht werden oder dorthin zum Speichern ausgelagert sind.

Überblick verschaffen: Welche Konten bestehen – und wozu?

Wo habe ich mich eigentlich überall angemeldet? Welche Daten habe ich hinterlegt? Benötige ich die Accounts überhaupt noch? Wie kann ich sie löschen? Wer sich solche Fragen (vermutlich erstmals) stellt, merkt schnell, dass das Thema gewaltigen Umfang annimmt und ungeahnte Gefahren birgt. Absolute Priorität beim Regeln des digitalen Nachlasses sollte der Zugang zu E-Mail- und Bankkonten haben, ebenso zu digitalen Zahlungsdiensten wie Paypal, Cloud-Anbietern (z. B. Google, Apple) die digitale Daten extern speichern, sozialen Netzwerken und auch Onlinehändlern wie eBay, um beispielsweise laufende Auktionen im Notfall unterbrechen zu können.

Der Umgang mit dem digitalen Nachlass gebiert aber auch neue Geschäftsmodelle. So bieten bereits Firmen die digitale Nachlassverwaltung über eine Art Schutzbrief an, den Angehörige beim Bestatter ähnlich einer Versicherung abschließen können. Über ein Benachrichtigungssystem („Death Notification System“) werden Unternehmen im Sterbefall automatisch über den Tod des Kunden informiert – allerdings nur diejenigen, die einen entsprechenden Kooperationsvertrag haben. Andere Firmen bieten an, den privaten PC oder Laptop eines Verstorbenen nach relevanten Daten zu durchforsten, die gelöscht werden müssen. Zugleich ermöglicht man diesen Unternehmen damit aber auch den Zugriff auf höchst sensible persönliche Daten, warnt die Verbraucherzentrale.

Aus Datenschutzgründen ebenfalls höchst problematisch bewerten die Experten Unternehmen, die anbieten, eine Liste mit Nutzeraccounts und Zugangsdaten zu verwalten. Sie muss regelmäßig aktualisiert werden. Zudem ist ungeklärt, was mit den Daten passiert, wenn der Dienstleister vom Markt verschwindet. Zur Vermeidung solcher Risiken empfehlen die Verbraucherschützer, eine Vertrauensperson zum digitalen Nachlassverwalter zu bestimmen und die eigenen Wünsche zum posthumen Umgang mit den eigenen Daten rechtzeitig zu formulieren.

Auch bei den Profis ist der digitale Nachlass oft noch kein Thema

Mit dem Nachlass im Internet ist zudem so mancher Anbieter eines digitalen Dienstes oder Onlineshops überfordert, wie die stichprobenhafte Untersuchung der Verbraucherzentrale in Mainz offenbart. Über einen Zeitraum von drei Monaten haben Mitarbeiter im vergangenen Jahr 18 ausgewählte Internetportale (soziale Netzwerke, Onlinehändler, E-Mail- und Streamingdienste) daraufhin überprüft, ob Nutzer ihre Konten selbst löschen können und ob die Betreiber der Seiten darauf Hinweise zur Stilllegung geben. Zudem haben sie die Betreiber schriftlich befragt, was mit digitalen Daten nach dem Tod des Nutzers passiert. Das Ergebnis sollte zu denken geben: Nur zwei der ausgewählten Seiten enthalten derzeit Hinweise zum digitalen Nachlass. Bei einem Drittel der geprüften Anbieter ist es nicht möglich, den Account online zu löschen. In den übrigen Fällen war eine Anleitung dazu teils nicht vorhanden oder schwer auffindbar. Auf die schriftliche Anfrage der Verbraucherzentrale zum digitalen Nachlass konnte oder wollte ein Drittel der Seitenbetreiber keine Auskunft geben.

Zum Umgang mit persönlichen Daten nach dem Tod der Nutzer gibt es bislang keine einheitliche Regelung, betonen die Mainzer Verbraucherschützer. Welche Dokumente die Erben vorlegen müssen, in welche Daten sie Einblick bekommen und welche Daten mit dem Tod automatisch gelöscht werden, unterscheidet sich je nach Anbieter des Internetdienstes ganz erheblich, wie die Untersuchung zeigt. Der rheinland-pfälzische Justiz- und Verbraucherschutzminister Gerhard Robbers will das Thema digitales Erbe deshalb zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit machen. Der derzeit bestehende Rechtsrahmen reicht nicht aus – das Internet ist eben doch Neuland, dessen Grenzen erst gezogen werden müssen. „Die Gesetzgebung hinkt der Entwicklung im Internet deutlich hinterher“, betont Robbers. Er will nun prüfen, wo die bestehenden Gesetze ausgeweitet werden müssen, wo sich neuer Regelungsbedarf ergibt und ob man die Provider digitaler Dienste dazu verpflichten kann, ihren Umgang mit dem digitalen Nachlass ausdrücklich zu formulieren. Unterstützung erhofft sich der Minister auch von einem neu eingerichteten Verbraucherpolitischen Beirat. Das ehrenamtlich arbeitende, neunköpfige Gremium aus Wissenschaft, Wirtschaft und Praxis soll sich des Themas digitales Erbe als erstem Arbeitsschwerpunkt annehmen. „Vieles wird auf Bundes- oder EU-Ebene geregelt werden müssen“, betont der rheinland-pfälzische Justizminister. Im Land sind von dem Thema vor allem Behörden und Verwaltungen betroffen. „Es gibt ein Recht auf Vergessenwerden. Das hat der Europäische Gerichtshof formuliert, und es muss auch über den Tod hinaus gelten“, fordert er.

Guter Vorsatz: Frühzeitig von Überflüssigem trennen

„Einiges kann aber auch jeder Einzelne selbst tun“, sagt Robbers. Es gilt, die Menschen für das Thema zu sensibilisieren und zu einem digitalen Testament anzuregen. Eine stichprobenhafte Bürgerbefragung der Verbraucherzentrale hat ergeben, dass dafür noch viel zu tun bleibt: Der überwiegende Teil der Befragten hat keine Zugangsdaten für die Angehörigen hinterlegt. Immerhin aber haben die Angesprochenen die Notwendigkeit dafür erkannt. Nun muss der Einsicht nur noch Handeln folgen. Barbara Steinhöfel, Expertin der Verbraucherzentrale, regt an, die Liste der persönlichen Zugangsdaten lebendig zu halten – also regelmäßig zu aktualisieren. Und ungenutzte Konten vorsorglich zu löschen.