Die Welt liebt das neue Deutschland: Vom eher spröden Volk zur Vorzeigenation

 Angela Merkel und Joachim Gauck nach dem Sieg der Deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2014.
 Angela Merkel und Joachim Gauck nach dem Sieg der Deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2014. Foto: dpa

Ein bisschen merkwürdig haben wir uns immer in der Welt gefühlt. Ein bisschen langweilig im Vergleich zu anderen Nationen, die besser kochen und besser Geld ausgeben können, die ein sonniges Gemüt und sowieso mehr vom Leben haben. Und geschämt haben wir uns auch immer – für unsere Nazivergangenheit, die ihre Spuren in den Generationen hinterlassen hat.

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Von unseren Redakteuren Birgit Pielen, Dirk Eberz, Johannes Bebermeier, Robin Brand, Michael Defrancesco und Claus Ambrosius

Im November 2014 kam dann der Paukenschlag – und wir blinzelten erst verblüfft und dann verlegen auf die Nachricht: Deutschland hat das beste Image im Vergleich von 50 Nationen. Das hat die Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg in einer internationalen, repräsentativen Befragung herausgefunden. Die Welt liebt Deutschland – und damit uns! Wie kann das sein? Unsere Redakteure haben sich auf die Suche nach Erklärungen gemacht.

Beliebt und erfolgreich: Dass diese beiden Attribute neuerdings auch auf Deutsche anwendbar sind, wurde 2014 nirgends so deutlich offenbar wie Tausende Kilometer von Deutschland entfernt – bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Mit spektakulärem Offensivfußball begeisterte die DFB-Elf nicht nur deutsche Fans. Der 7:1-Rausch gegen den Gastgeber bleibt ein Fußball-Mysterium und eines der meistdiskutierten Ereignisse im Internet. Dass Deutschland diesen Sieg später noch mit dem Titel vergolden sollte, verblüffte die (Fußball-)Welt dann wieder.

Schon seit 2006 war klar, dass Deutschland und attraktives Spiel sich nicht ausschließen. Für die Konkurrenz war das auch nicht weiter tragisch, solange der ganz große Erfolg ausblieb. 2014 war das anders – und der deutsche Fußball gefragt wie nie. Wie machen die Deutschen das, rätselten die abgehängten Fußball-Großmächte. Und die Antwort war schnell gefunden: Sie liegt 14 Jahre zurück und hat etwas mit Akribie, Weitsicht und Gründlichkeit zu tun – urdeutsche Eigenschaften, würden manche sagen –, die später in dem für Deutschland so untypischen, attraktiven Spiel münden sollten.

Nach der Schmach der Europameisterschaft 2000 erkannte der DFB, dass es an der Zeit war, grundlegende Dinge am antiquierten deutschen Spiel zu ändern. Millionen wurden investiert, etliche Nachwuchsleistungszentren gebaut. 15 der heutigen Weltmeister waren da gerade einmal zwölf Jahre oder jünger. Sie stehen für perfekte Technik und eben jenes Spiel, das die Konkurrenz mit Respekt, nicht mit Neid, den deutschen WM-Sieg kommentieren lässt.

Und da ist noch etwas, was die DFB-Elf beliebt und für den britischen „Guardian“ zum europäischsten aller Teams macht: Es ist die Zusammensetzung, die ein buntes, vielfältiges Land repräsentiert. Dominierten beim WM-Sieg 1990 noch Lothar und Rudi, Jürgen und Klaus, waren es 2014 eben auch Mesut und Shkodran, Jérôme und Miroslav, die den Sieg erst möglich gemacht haben.

Es ist eine Entwicklung, die auch der wenig fußballbegeisterten „New York Times“ nicht verborgen blieb. Das Team steht für ein facettenreicheres und toleranteres Deutschland, kommentiert die Zeitung und sieht den WM-Sieg gar „sinnbildlich für Deutschlands wirtschaftliche und politische Vormachtstellung in Europa“.

Sehnsucht nach Ordnung

Gerade in der Euro-Krise hat die Europäer eine Sehnsucht nach Ordnung, nach Sicherheit erfasst. Die Griechen tappen von einer Krise in die nächste. Spanien wankt bedenklich. Und auch die Schwergewichte Frankreich und Italien versinken immer tiefer im Schuldensumpf. Da wird Deutschland zum Stabilitätsanker. „Wie machen die das bloß?“, fragt sich etwa das britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ und spricht von den „Teflon-Teutonen“. Da schwingen alte Ressentiments mit, aber auch Bewunderung. Während Rest-Europa in die Rezession taumelt, steht die deutsche Wirtschaft weiter unter Dampf. Die Arbeitslosigkeit sinkt, noch nie gab es im Land so viele Beschäftigte. Erst vor wenigen Monaten ist die Marke von 43 Millionen geknackt worden.

Der Aufschwung vom kranken Mann Europas in den 90ern zur Wachstumslokomotive ist allerdings teuer erkauft. Seither stagnierten die Realeinkommen für breite Bevölkerungsschichten, teilweise sind sie gesunken. Die Schere zwischen Arm und Reich ist weiter aufgegangen. Und viele der neuen Jobs sind schlecht bezahlt. Die Hartz-IV-Reformen erweisen sich noch immer als schwere Hypothek für die Sozialdemokraten, die die Partei gespalten hat.

Und doch blicken vor allem die Franzosen neidisch zu ihren Nachbarn nach Osten. Der konservative Präsident Nicolas Sarkozy hat das Land nicht aus seiner Lethargie befreit, sein Nachfolger und Sozialist François Hollande schon gar nicht. Frankreich wirkt reformunfähig, während Defizit, Staatsschulden und Sozialausgaben zunehmend aus dem Ruder laufen. Gleichzeitig sprudeln in Deutschland die Steuereinnahmen.

Finanzminister Wolfgang Schäuble steuert im nächsten Jahr erstmals seit 1969 die schwarze Null an – einen Haushalt ohne neue Schulden. Im Land der notorischen Nörgler macht sich Optimismus breit. Die Nation der „Sparbrötchen“ hat den Konsum für sich entdeckt. Auch dank niedriger Zinsen. So viel Aufbruchstimmung steckt an. Klammheimlich hat sich Deutschland zum zweitbeliebtesten Zuwanderungsland gemausert – direkt hinter den USA. Auch wegen des neuen Lebensgefühls. Und sie werden dringend gebraucht. Sonst gehen der Wirtschaft die Fachkräfte aus.

Dass es so gut läuft im Land, das danken die Deutschen besonders ihrer Bundeskanzlerin. Was im Sport 2014 die Fußball-Nationalmannschaft ist, das ist in der Politik Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin ist beliebt und, nun ja: erfolgreich. Das erkennen selbst ihre Gegner zähneknirschend an. Das hat natürlich auch der Rest der Welt längst bemerkt. Der „New Yorker“, die amerikanische Zeitschrift der Intellektuellen und derer, die es werden wollen, widmete ihr kürzlich ein mehr als 50 Seiten langes Porträt. Und die Londoner „Times“ ernannte sie gar zur „Person des Jahres 2014“. „Mrs. Indispensable“, die Unverzichtbare, überschrieb die Zeitung einen Text zu der Auszeichnung.

Für die „Times“ ist Merkel so etwas wie die Putin-Dompteurin. Unerschütterlich habe sie auf den russischen Präsidenten eingeredet, während des G 20-Gipfels in Australien, und so in der Ukraine-Krise zwischen Ost und West vermittelt. „Das ist die Frau, die wir in einer Welt gefährlicher Männer brauchen“, befindet die Zeitung und geht noch weiter: „Sie hat dem Westen geholfen, sich auf seine wichtigsten Werte zu konzentrieren.“

Das wäre der nüchtern-pragmatischen Merkel zwar wohl selbst ein bisschen zu dick aufgetragen. Aber der Tenor stimmt ja. Man mag sie ein bisschen langweilig finden, mag ihre Politik für zu links halten oder aber für nicht links genug. Man mag kritisieren, dass sie der Demokratie durch ihre präsidiale Art und ihr Märchen von der Alternativlosigkeit schadet.

Doch was man ihr nicht vorwerfen kann, ist, dass sie ihre Politik international nicht erfolgreich und trotzdem ohne machohaftes Gehabe durchsetzt. Und weil sie sich vor allem darauf konzentriert und sich aus der Innenpolitik öffentlich ziemlich heraushält, sich die Hände nicht schmutzig macht mit Koalitionsstreit oder dem Kampf um die beste Idee, ist sie auch im eigenen Land unheimlich beliebt. Und das in einer Zeit, in der das Vertrauen in Politik und Parteien schwindet.

Berlin ist sexy

Wie verheißungsvoll Deutschland inzwischen ist, zeigt sich auch bei einem weiteren Phänomen: Immer mehr Menschen wollen unsere zuweilen spröde, sperrige Sprache lernen. Man spricht Deutsch! Die weltweit 160 Goethe-Institute in 94 Ländern erleben einen ungeahnten Boom. Mehr als 220 000 Menschen, 6 Prozent mehr als 2012, ließen sich im vergangenen Jahr den Unterschied von der, die und das erklären und lernten, dass das Gleiche nicht unbedingt dasselbe ist. Wenn Deutschland positive Schlagzeilen macht, spricht das für sich – und für die Attraktivität des Landes, dessen Hauptstadt Berlin einen weltweit guten Ruf genießt. Berlin ist hip, Berlin ist sexy – Berlin ist das neue New York, sagen manche. Nun ja, die Amerikaner selbst sehen das wohl anders.

Stattdessen entdecken uns zunehmend die Nachbarn: Wer hätte das für möglich gehalten – die Niederländer lieben uns Deutsche, und Deutschland ist ihr favorisiertes Reiseziel. 2014 war Deutschland Partnerland der großen Touristikmesse Vakantiebeurs in Amsterdam, und die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) wurde von Anfragen nur so überhäuft. Von den insgesamt 10,8 Millionen Übernachtungen, die die Niederländer im vergangenen Jahr in Deutschland verbrachten, entfielen laut den Marktforschungsergebnissen der DZT mehr als eine Millionen Übernachtungen auf die Region Mosel/Saar, die somit die beliebteste Urlaubsregion der Niederländer darstellt.

Laut einer Umfrage des DZT lieben 95 Prozent der Niederländer an Deutschland, dass sie es mit ihren Wohnwagen schnell und bequem erreichen können. 71 Prozent der Niederländer mögen auch die abwechslungsreiche Landschaft und schöne Natur. Und ja, mehr als die Hälfte der Urlauber aus dem platten Land hinter den Deichen nennen Weltoffenheit und Gastfreundlichkeit als unsere zentralen Stärken.

Eine der wunderbarsten Änderungen in der Wahrnehmung Deutschlands von außen kann erleben, wer sich in London ins British Museum begibt. Die vielbeachtete Ausstellung „Germany – Memories of a Nation“ (am ehesten: „Deutschland – Erinnerungsstücke einer Nation“) überrascht ihre Besucher, allen voran auch deutsche, mit einem gehörigen Maß an Sympathie.

Ein Gefühl, das man den Inselbewohnern gegenüber Deutschland noch nicht lange nachsagen zu dürfen glaubte: Bis vor Kurzem kamen Deutsche im britischen TV vor allem als Nazischergen vor, das Deutschlandbild schien mit Ende des Zweiten Weltkriegs festgefroren. Die liebevoll inszenierte Ausstellung – begleitet von einem großartigen Buch zur Ausstellung, das gerade Deutschen mal eine ganz neue Überblickssicht von außen auf ihr Land und ihre Geschichte schenkt – dekliniert Zeitläufe von Karl dem Großen über Gutenberg bis zur Wiedervereinigung und erschließt britischen Besuchern damit ganz neue Themen.

Es ist schon merkwürdig, dass gerade die Briten ein neues Deutschlandbild entwickelt haben. Ausgerechnet die Nation, die uns für unzählige immer wieder verlorene Elfmeterschießen hasste, die der Kanzlerin in ihren Boulevardzeitungen gern die Pickelhaube oder gar den Hitler-Schnauzbart verpasste. Doch die Welt liebt uns – und da wollen auch die Briten nicht länger im Abseits stehen.