Die FDP: Gute Seiten, schlechte Seiten

Auslaufmodell
Auslaufmodell: Arbeiter transportieren in Potsdam ein Plakat der FDP ab, die mit 1,5 Prozent nicht mehr im neuen Landestag vertreten sein wird. Foto: Ralf Hirschberger

Seit 149 Jahren gibt es zum Auftakt eines neuen Jahres im Südwesten zum Dreikönigstag die Heerschau der Liberalen. Im Nachkriegsdeutschland trat die FDP in Stuttgart 63-mal als Bundestagspartei mit bundesweitem Gestaltungsanspruch an, davon 43 Jahre lang als Mitglied der Bundesregierung. Wenn FDP-Chef Christian Lindner am Dienstag die Bühne des Stuttgarter Staatstheaters betritt, ist alles anders.

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Gregor Mayntz analysiert die Chancen der FDP und fragt sich, ob sie ihr letztes Dreikönigstreffen am Dienstag in Stuttgart erleben wird.

Die zum selbstverständlichen Möbel im Wohnzimmer der Macht gewordene Partei ist nicht nur aus dem Bundestag und elf Landesparlamenten geflogen, auch in den fünf Landtagen, in denen sie noch vertreten ist, sehen Umfragen sie unter der 5-Prozent-Hürde. Erlebt die Partei also das letzte „3K“, wie das Treffen FDP-intern genannt wird?

9,18 Prozent – das ist der in Jahrzehnten zum Grundgefühl der Deutschen gewordene Zustimmungswert zur FDP. Diese Zahl ergibt sich aus dem Durchschnitt aller Bundestagswahlergebnisse für die FDP von 1949 bis 2009. Diese Marke bedeutete Selbstgewissheit: Es ging mal rauf und mal runter, aber die Substanz war groß genug, jeweils sicher für den nächsten Bundestag planen zu können, sich auch lieber mal einen Streit zu viel als einen zu wenig leisten zu können. Auch die lange Oppositionszeit von 1998 bis 2009 hatte nur dazu geführt, dass die Deutschen sie so intensiv an der Macht vermissten wie nie zuvor: 14,6 Prozent für den Wahlkampf Guido Westerwelles drückten die FDP zurück in die Regierung und bescherten ihr gleich fünf Ministerposten.

Hätte das Grundgefühl Bestand und wäre der Absturz auf 4,8 Prozent im Jahr 2013 nur ein einmaliges Abstrafmanöver für nicht gehaltene Wahlversprechen und systematische Wählerenttäuschung gewesen – die FDP müsste längst wieder im Umfeld ihrer angestammten 9,18 Prozent liegen. Viele Beobachter erwarteten nach dem Auszug aus dem Bundestag eine Reue-Reaktion der traditionellen FDP-Klientel. Bald würden die Liberalen sicher wieder deutlich über 5 Prozent liegen, und mit jedem absehbaren marktwirtschaftlichen Fehlgriff der Großen Koalition würde die außerparlamentarische FDP gestärkt und dann von Landtagswahl zu Landtagswahl erfolgsstrotzender in den nächsten Bundestag zurückkehren.

Partei ist in Umfragen überall schon weg vom Fenster

Das Gegenteil ist eingetreten. Die FDP wird schwächer und schwächer. 2 und 3 Prozent in den jüngsten Umfragen für die bevorstehenden Landtagswahlen in Hamburg und Bremen kündigen weitere vernichtende Niederlagen an. Und: Selbst dort, wo die FDP noch im Parlament Punkte sammeln kann, ist sie laut Demoskopen schon weg vom Fenster: In Niedersachsen, NRW und Schleswig-Holstein wird sie nur noch zwischen 3 und 4 Prozent gehandelt. In den meisten anderen Bundesländern ist es nur noch eine „Zwei“. Einen bitteren Vorgeschmack liefert die Landes-FDP in Berlin, wo die Partei zuletzt nur noch auf 1,8 Prozent in den Wahlen kam und bei den Umfragen gar nicht mehr erwähnt wird.

Ist die FDP also in den Worten ihres Parteivize Wolfgang Kubicki in einen derartigen „Generalverschiss“ gekommen, dass sie endgültig ausgedient hat? Sowohl Aktivisten als auch Analysten schütteln bei dieser These energisch den Kopf. In einem Strategieworkshop eröffneten Spezialisten der Boston Consulting Group der neuen FDP-Führung, dass sowohl Marke wie Inhalte der Partei intakt seien und eigentlich funktionieren müssten. Folgerichtig startete die Partei bei ihrer Suche nach neuen Leitbildern auch keine Revolution, sondern griff eher zu einem moderneren Anstrich. Überzeugungskraft gewinnen kann die FDP nach Einschätzung von Präsidium und Wissenschaft vor allem mit der Botschaft einer „Partei, die Chancen ermöglicht“. Bereits das Dreikönigstreffen steht, begleitet vom farblich leicht gelifteten Partei-Emblem, unter dem Motto „Chancen ermöglichen“.

Merkel und Steinmeier lassen keine Luft für die Liberalen

Das Problem dabei: Bevor die FDP den Menschen (und Wählern) Chancen ermöglichen kann, muss sie selbst erst einmal wieder die Chance haben, politisch mitzuspielen. Sie braucht also eine Reihe von Kompetenzzuschreibungen, die nach dem Empfinden der Menschen von den aktuell Regierenden und als Alternative wahrgenommenen Konkurrenten nicht zu erwarten und trotzdem dringend gebraucht werden.

Da wäre etwa die Ruhe, Verlässlichkeit und Bedeutung, die über Jahrzehnte mit Außenministern der FDP vom Rang eines Hans-Dietrich Genscher verbunden waren. Dafür aber ist angesichts der überragenden Zustimmung zum internationalen Wirken von Angela Merkel kein anderweitiger Bedarf. Im Vergleich zum letzten außenpolitischen Angebot der FDP (Guido Westerwelle) und zur aktuellen Alternative in Person des Europaabgeordneten Alexander Graf Lambsdorff lässt auch der amtierende SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier keinen Millimeter Raum zur Entfaltung einer Sehnsucht nach der FDP.

Auf dem Feld der eigentlichen wirtschaftspolitischen Kernkompetenz der FDP würden die Liberalen dann vermisst, wenn es Deutschlands Wirtschaft schlecht ginge, die Weichen erkennbar falsch gestellt wären und die aktuellen Akteure Grund zum Misstrauen gäben. Doch die Wirtschaft boomt weiter, ist von besorgniserregenden Krisenszenarien weit entfernt, und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel neigt auch nicht zu sozialistischen Experimenten, die die FDP-Klientel verschrecken könnte, sondern zwingt seine Partei stattdessen sogar in einen wirtschaftsfreundlicheren Kurs der Mitte. Keine Luft auch hier für die FDP.

So bleibt es bei dem Befund, dass für eine konsequent marktwirtschaftliche Partei, die für Freiheit des Einzelnen statt staatlicher Bevormundung steht, theoretisch viel Platz wäre, dass es praktisch aber längst ums Überleben geht: Es ist kein akuter Bedarf für die FDP zu erfühlen, sodass die Umfragen weiter in den Keller rauschen. Weil die Umfragen so schlecht bleiben, gibt es auch keinen Bedarf, sich näher mit der FDP zu beschäftigen, was ihre Wahrnehmbarkeit zusätzlich verringert. Mag Bundesvorsitzender Lindner beim Dreikönigstreffen auch noch so viel Mut verbreiten – zur bitteren Wahrheit gehört inzwischen, dass es außerhalb des Einflussbereiches der FDP zu Verschiebungen in Grundstimmung, Alternativen oder wirtschaftlicher Lage kommen müsste, damit es mit den Liberalen wieder aufwärts gehen könnte.