Brüssel

Die EU könnte mit Tsipras leben

Sehen die Wähler den Syriza-Chef und ehemaligen Premierminister Alexis Tsipras immer noch als Heilsbringer (Bildmitte), wie es ein Wahlplakat verheißen will?
Sehen die Wähler den Syriza-Chef und ehemaligen Premierminister Alexis Tsipras immer noch als Heilsbringer (Bildmitte), wie es ein Wahlplakat verheißen will? Foto: AFP

Europa scheint in diesen Tagen vor der Wahl in Griechenland andere Probleme zu haben. Doch der Eindruck täuscht. Zwar gebieten die politischen Regeln im Umgang mit den Mitgliedstaaten strikte Zurückhaltung. Dennoch gibt es immer wieder klare Ansagen in Richtung Athen.

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Von unserem Brüsseler Korrespondenten Detlef Drewes

„Ich denke, dass Premierminister Alexis Tsipras die Absicht hat, eine stabile Regierung zu bilden“, erklärte Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem bei einer informellen Tagung der Euro-Finanzminister am vergangenen Wochenende in Luxemburg. Zugleich warnte der Niederländer die künftigen Verantwortlichen Griechenlands vor dem Versuch, das frisch geschnürte 86-Milliarden-Euro-Hilfspaket „nachverhandeln zu wollen“. Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling äußerte sich „felsenfest“ von der griechischen Vertragstreue überzeugt, „wenn einmal der kollektive Unfug, sprich der Wahlkampf“, vorbei sei. Die EU unterstützt zwar nicht den ehemaligen linken Regierungschef, registriert aber aufmerksam, dass Tsipras versprochen hat, die Abmachungen mit den internationalen Geldgebern einzuhalten – ebenso übrigens wie der Spitzenkandidat der erstarkten Konservativen Nea Dimokratia, Evangelos Meimarakis.

Beide liegen zwar dabei auf einer Linie. Aber wollen sie auch eine Koalition eingehen? Die Frage ruft in Brüssel lediglich ein Achselzucken hervor: Entscheidend sei es nicht, heißt aus der Euro-Gruppe, ob Rechts oder Links gewinne, sondern ob die vereinbarten Reformen umgesetzt würden. Diesen sogenannten Katalog der Grausamkeiten hat auch Tsipras, der sich in den Monaten seiner ersten Amtszeit zwischen Januar und August 2015 vom Revoluzzer zum Verteidiger der Euro-Auflagen entwickelt hat, im Wahlkampf immer wieder verteidigt – aber zugleich betont, er bestehe auf „Nachbesserungen“. Und damit sind nicht jene kleinen Korrekturen gemeint, die sich bei der Überprüfung der Fortschritte durch die Geldgeber immer ergeben. Athen hofft auf Erleichterungen bei den Schulden.

Angesichts einer öffentlichen Verschuldung von 200 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) drängt auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, auf „Schuldenmaßnahmen“. Das könnte auf weitere Zinserleichterungen und längere Rückzahlungsfristen für die gewährten Darlehen hinauslaufen, für die sogar Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu gewinnen wäre. Dennoch muss sich der neue Regierungschef, dem die Verfassung nur drei Tage für eine Regierungsbildung zugesteht, ab Montag beeilen. Die seit dem Rücktritt am 20. August amtierende Übergangsregierung hat die Umsetzung der Reformen völlig vernachlässigt.

Wenn spätestens Anfang November die Kontrolleure von IWF, EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und ESM-Rettungsfonds nach Athen reisen, um zu prüfen, ob Griechenland weitergekommen ist, wird ein positives Urteil nötig sein. Ansonsten steht die nächste Rate des dritten Hilfspaketes ebenso infrage wie jene 15 Milliarden Euro, die für die Abwicklung und Sanierung maroder hellenischer Geldinstitute angesetzt wurden. Allerdings bleibt die Entwicklung von weiteren, aktuellen Erwartungen Brüssels an die neue Regierung überschattet. Griechenland gehört zu den Ländern, die vom Flüchtlingsstrom völlig überfordert sind. Täglich bringen Fähren bis zu 4000 Menschen von den Inseln wie Kos oder Lesbos nach Piräus, von wo sie weiter Richtung Europa ziehen.

Das Land braucht aus vielen Gründen Geld, soll dies durch umfangreiche Auflagen der Geldgeber hereinholen: durch eine Reform des Steuersystems, das Reiche und Wohlhabende nicht länger verschont. Die Rentenversicherung muss umgebaut, Sonderrenten sollen abgeschafft und Liberalisierungen auf dem Arbeitsmarkt durchgesetzt werden. Tsipras’ Rücktritt war vor diesem Hintergrund so etwas wie ein kalkuliertes Manöver, um sich mehr Rückendeckung für das zu holen, was nun folgen muss. „Sein Rücktritt ist Teil der Lösung, nicht Teil der Krise“, drückte es Bundeskanzlerin Merkel aus, nachdem der hellenische Premier – übrigens in Absprache mit der Europäischen Kommission – seine Demission eingereicht hatte. Ob er nun noch einmal zurückkehrt und da weitermachen kann, wo er am 20. August aufgehört hatte? Die letzten Umfragen sehen sein zwar gespaltenes, aber doch noch schlagkräftiges linkes Syriza-Bündnis gleichauf mit der wieder erstarkten Nea Dimokratia.