Das Donnerwetter des Papstes: Enzyklika „Laudato si“ prangert Umweltsünden an

Der Heilige Vater ist zornig. Sehr sogar. Hatte seine Enzyklika „Evangelii gaudium“ noch einen motivierenden „Habt keine Angst vor Reformen“-Ton, so schleudert Papst Franziskus nun gleichsam Blitz und Donner. „Laudato si“ heißt seine neue Enzyklika zum Thema Umweltschutz – erstmals schreibt ein Papst zu rein ökologischen Themen –, und er wählte den Untertitel „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“.

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Unser Redakteur Michael Defrancesco analysiert die neue Enyzklika

Schon auf der ersten Seite wird deutlich, wie groß diese Sorge ist: „Schwester Erde schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen, die Gott in sie hineingelegt hat“, schreibt Franziskus. „Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen, dass wir ihre Eigentümer und Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern. Darum befindet sich unter den am meisten verwahrlosten und misshandelten Armen diese unsere unterdrückte und verwüstete Erde.“
Umweltverschmutzung ist eine Sünde, formuliert der Papst: „Ein Verbrechen gegen die Natur zu begehen, ist eine Sünde gegen uns selbst und gegen Gott.“ Und er wettert gegen alle, die die Augen vor der Zerstörung verschließen: die Machthaber, aber auch die normalen Menschen, die gleichgültig sind, „bequem resignieren“ oder die blind auf technische Lösungen vertrauen.

„Laudato si“ hatte bereits im Vorfeld für unglaublichen Wirbel und ein breites Schaulaufen der Lobby im Vatikan gesorgt. Aus Kirchenkreisen hört man, dass beispielsweise der mächtige Energiekonzern Exxon bei Papst Franziskus vorstellig wurde. Es hat offenkundig nicht viel genützt.

Der Papst wählt drastische Worte, um die herrschenden Strukturen in der Welt zu beschreiben: Er spricht von ökologischer Schuld und von einem „perversen System von kommerziellen Beziehungen und Eigentumsverhältnissen“. Er wirft der Politik vor, sich Konzernen und Banken zu unterwerfen, er beklagt die Erfolglosigkeit der Weltgipfel über Umweltfragen. Er redet den reichen Ländern des Nordens ins Gewissen, die ihren Wohlstand mehren und sich nicht um die Ärmsten der Welt kümmern. Er geißelt Unternehmen, die allein nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung arbeiten.

Und mehr noch: Der Papst sieht die großen Weltkonzerne als Gefahr an, und er fordert, Kleinproduzenten zu unterstützen und die Produktionsvielfalt zu fördern. „Damit es wirtschaftliche Freiheit gibt, von der alle effektiv profitieren, kann es manchmal notwendig sein, denen Grenzen zu setzen, die größere Ressourcen und finanzielle Macht besitzen“, schreibt Papst Franziskus.

Er benennt den Klimawandel als vom Menschen gemacht, kritisiert die Wegwerfkultur und legt den Finger in eine weitere Wunde: „Das Industriesystem hat am Ende des Zyklus von Produktion und Konsum keine Fähigkeit zur Übernahme und Wiederverwertung von Rückständen und Abfällen entwickelt. Noch ist es nicht gelungen, ein auf Kreislauf ausgerichtetes Produktionsmodell anzunehmen, das Ressourcen für alle und für die kommenden Generationen gewährleistet und das voraussetzt, den Gebrauch der nicht erneuerbaren Reserven aufs Äußerste zu beschränken.“

Papst Franziskus hat als Zielgruppe für sein Schreiben ausdrücklich nicht nur die Katholiken auserkoren, sondern „jeden Menschen, der auf diesem Planeten wohnt“.

Entsprechend unkompliziert ist „Laudato si“ zu lesen – der Papst baut keine intellektuellen Hürden auf, sondern er wählt eine niedrigschwellige Sprache, klar und schnörkellos, eindringlich und gänzlich undiplomatisch. Er richtet sich an die Politik, an die Wirtschaft, an die Banken – und lässt es nicht zu, dass sich der einfache Bürger entspannt zurücklehnt. Nein, auch jeder einzelne Mensch soll wachgerüttelt werden, seinen Lebensstil zu überdenken.

Dass sich etwas ändern muss, das steht für Franziskus außer Frage. Dass sich nur schwer etwas ändern wird, auch. Doch der Papst will nicht resignieren, sondern er entwickelt im vierten Kapitel der Enzyklika einen neuen Lebensstil, eine „ganzheitliche Ökologie“, so wie er es nennt. Gemeint ist: Er will nicht nur auf die Umwelt blicken, sondern auch die menschliche und soziale Dimension mit einbeziehen.

Harmonie mit der Umwelt

Zunächst wendet er sich gegen Gleichförmigkeit und Automatismen: „Die konsumistische Sicht des Menschen neigt dazu, die Kulturen gleichförmig zu machen und die große kulturelle Vielfalt zu schwächen.“ Lösungen für ein harmonisches Zusammenleben zwischen Mensch und Mensch sowie Mensch und Umwelt „müssen aus der eigenen lokalen Kultur erwachsen“, schreibt Franziskus.

Der Mensch selbst solle in einem gepflegten Umfeld leben können – mit sicherem Zugang zu sauberem Trinkwasser, mit der Möglichkeit, eine Wohnung und Privateigentum zu haben, mit gepflegten öffentlichen Plätzen, mit Lebensqualität. Und: mit der Möglichkeit, arbeiten zu können.

„Der Rhythmus des Konsums, der Verschwendung und der Veränderung der Umwelt hat die Kapazität des Planeten derart überschritten, dass der gegenwärtige Lebensstil, da er unhaltbar ist, nur in Katastrophen enden kann“, schreibt der Papst. Als Grund für dieses Verhalten sieht Franziskus die Individualisierung des postmodernen Menschen, der die Schwächeren und das Gemeinwohl aus dem Blick verloren habe. Er ermahnt zunächst die Gläubigen, „in Übereinstimmung mit ihrem Glauben zu leben“.

Immer wieder zitiert der Papst seinen Namensgeber, Franz von Assisi, als Vorbild. Seine Liebe zur Umwelt, die so groß war, dass er die Natur und die Tiere Brüder und Schwestern nannte, sei nicht naiv oder romantisch. Für den Papst ist Franz von Assisi ein Musterbeispiel eines Menschen, der sich bewusst war, dass alles miteinander verbunden ist und der Achtung vor jedem Lebewesen hatte. Diesen Geist wünscht er sich in der Gesellschaft, schreibt der Papst. Und er leitet klare Handlungen daraus ab: Müll vermeiden und trennen, öffentliche Verkehrsmittel benutzen, überflüssige Lampen ausschalten. Alltagstipps, die nicht neu sind, die aber zeigen sollen, dass jeder Einzelne etwas tun kann. Der Papst benutzt das Wort „ökologische Umkehr“.

Papst ruft zum Boykott auf

Er geht sogar so weit, die Menschen zum Boykott aufzurufen: „Es ist eine Tatsache, dass die Unternehmen, wenn die Gewohnheiten der Gesellschaft ihre Rendite gefährden, sich genötigt sehen, ihre Produktionsweise zu ändern“, schreibt er. Jeder Verbraucher habe eine soziale Verantwortung. Auch an die Familien appelliert Franziskus: Sie sollten ihre Kinder zur Ehrfurcht vor der Umwelt erziehen und diese auch vorleben.

Gleichzeitig ist ihm bewusst: „Es ist nicht genug, dass jeder Einzelne sich bessert.“ Deshalb entwickelt der Papst Forderungen an Politik und Wirtschaft, die dort wohl eher ungern gehört werden. Er fordert die Politik auf, die 1992 auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro formulierten Grundsätze endlich umzusetzen. Er fordert, „stärkere und wirkkräftig organisierte internationale Institutionen zu entwickeln, die mit der Macht ausgestattet sind, Sanktionen zu verhängen“, um Umweltsünder zu stoppen. Die armen Länder müssten die grassierende Korruption beenden.

Der Wirtschaft schreibt der Papst ins Stammbuch, nicht nur zu fragen, ob sich ein neues Projekt wirtschaftlich lohne. „Es muss ein objektiver und schlagender Nachweis dafür erbracht werden, dass das Vorhaben keine schweren Schäden für die Umwelt und ihre Bewohner verursachen wird“, schreibt Franziskus. „Eine wirtschaftliche Entwicklung, die nicht eine bessere Welt hinterlässt, kann nicht als Fortschritt betrachtet werden.“ Er wünscht sich „neue Formen der Wiederverwertung“ und eine bessere Energieeffizienz der Städte.
Neue Gesetze, ein neues Bewusstsein und ein „ökologisches Bürgertum“: „Laudato si“ bietet viel Stoff zum Nachdenken.