Berlin

Bismarck vor 200 Jahren geboren: Mythos und Dämon

Der „Eiserne Kanzler“ in Bronze gegossen: Bismarck schmiedete das Deutsche Reich bis 1871 in drei blutigen Kriegen. Vor allem seine Innenpolitik ist bis heute umstritten.
Der „Eiserne Kanzler“ in Bronze gegossen: Bismarck schmiedete das Deutsche Reich bis 1871 in drei blutigen Kriegen. Vor allem seine Innenpolitik ist bis heute umstritten. Foto: dpa

Meterhoch steht Bismarck auf seinem Sockel, in Bronze gegossen, in Sichtweite der Siegessäule in Berlin. Die rechte Hand auf der Urkunde der Reichsgründung, die linke am Säbel. 1901 ist dieses monumentale Denkmal entstanden, nur drei Jahre nach dem Tod des Reichskanzlers. Es steht für seine damals fast kultische Verehrung. Otto von Bismarck war ein Mythos – eine Schlüsselfigur der deutschen Geschichte, ein Staatsmann mit weltpolitischer Bedeutung. Heute jährt sich seine Geburt zum 200. Mal – was bedeutet er uns?

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Von Andreas Hoenig

Schlachtschiffe und Heringe sind nach ihm benannt worden, Schnäpse und Mineralwasser. Niemandem sind mehr Denkmäler errichtet worden, schreibt der Publizist Norbert F. Pötzl. An Bismarcks Geburtstag selbst, dem 1. April, ist in Berlin ein Festakt angesetzt: Im Deutschen Historischen Museum „Unter den Linden“ spricht Bundespräsident Joachim Gauck. Es gibt neue Biografien, Ausstellungen, Vorträge – und eine Sonderbriefmarke. Jede Menge für einen Mann, der in vergangenen Jahrzehnten sehr kritisch gesehen wurde. Als „Dämon der Deutschen“ stufte ihn gar der Journalist und Historiker Johannes Wilms ein.

Privilegiert geboren

Wer war Bismarck also? Geboren wurde Otto von Bismarck am 1. April 1815 auf dem Gut Schönhausen im heutigen Sachsen-Anhalt als Spross eines alten Adelsgeschlechts. Er war ehrgeizig, erzkonservativ und hatte vor allem ein Ziel: Preußens Macht zu mehren. „Als Politiker schreckte er vor keinem Winkelzug zurück und verfolgte seine Gegner mit abgrundtiefem Hass noch bis ins Grab“, schreibt der Historiker Christoph Nonn. Privat war Bismarck „egozentrisch und cholerisch“, neigte zur Hypochondrie.

Nach einer diplomatischen Karriere als preußischer Gesandter in St. Petersburg und Paris schlug 1862 Bismarcks Stunde. Inmitten einer schweren Krise der Monarchie ernannte der preußische König und spätere deutsche Kaiser Wilhelm I. Bismarck trotz Bedenken zum Ministerpräsidenten. Fast 30 Jahre lang sollte Bismarck die Geschicke der zersplitterten Nation lenken. Mit „Eisen und Blut“ schmiedete er einen kleindeutschen Nationalstaat – also ohne Österreich – nach Siegen in den Kriegen gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71). Mit einem komplizierten Bündnissystem sorgte er anschließend für ein Gleichgewicht der Kräfte in Europa. Hauptziel war es dabei, Frankreich zu isolieren. Als „ehrlicher Makler“ verhinderte er 1878 auf dem Berliner Kongress einen neuen Krieg.

Gnadenloser Gegner der Arbeiter

Seine innenpolitische Bilanz fällt weitaus schlechter aus. Bismarck war ein gnadenloser Gegner der Arbeiterbewegung. Das „Sozialistengesetz“ von 1878 bedeutete de facto ein Verbot der Sozialdemokratie. Im Kulturkampf setzte er sich gegen den Einfluss der katholischen Kirche ein. Auf der anderen Seite schuf er eine moderne Sozialgesetzgebung und führte Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung ein – Zuckerbrot und Peitsche. Seine bittere Entlassung durch den jungen Kaiser Wilhelm II. 1890 kommentierte das britische Magazin „Punch“ mit den Worten: „Der Lotse geht von Bord.“ Am 30. Juli 1898 starb Bismarck mit 83 Jahren. „Ein Schauern und ein Zittern ergreift einen – auch wenn man nicht will“, schrieb Theaterkritiker Alfred Kerr. „Ein Stück von Deutschland ist es, das in die Fluten des Weltgeschehens für alle Ewigkeit versank.“

Wie wurde er gesehen? Die Heldenverehrung Bismarcks sollte in weiten Teilen der Bevölkerung andauern. Adolf Hitler stellte sich in eine Reihe mit Friedrich dem Großen und Bismarck. Spätestens ab den 1970er-Jahren aber setzte eine Götterdämmerung ein. Bismarcks Wirken wurde nun teils äußerst kritisch bewertet. Viele Historiker sahen ihn als Ahnherrn einer preußischen und deutschen Kriegs- und Gewaltpolitik. Einen ausgewogenen Weg wählte der Historiker Lothar Gall: Bismarck habe in einer Zeit des grundlegenden Umbruchs gelebt, davon zeugten Kulturkampf und Kampf gegen die Sozialdemokratie, aber auch die fortschrittliche Sozialgesetzgebung – „ein weißer Revolutionär“.

Auch für den Passauer Historiker Hans-Christof Kraus ist es an der Zeit, sich Bismarck gelassener zu nähern. Er sei weder Übervater noch Dämon – ein „Mann mit Begabungen und Fehlern, mit hoher Intelligenz und Charakterstärke, aber auch mit einer Neigung zu kleinlicher Rachsucht“.

Widersprüchliches Erbe

Was bleibt von Bismarck? Von einem „widersprüchlichen Erbe“ spricht der Historiker Heinrich August Winkler. Außenpolitisch sorgte Bismarcks Bündnissystem zwar für einen langen Frieden – allerdings nicht dauerhaft. Pötzl sagt: „Es war ein höchst riskanter Ausgangspunkt für die Außenpolitik unter seinen Nachfolgern, als das Kaiserreich nach Weltgeltung strebte.“ Innenpolitisch hinterließ Bismarck ein zerrissenes Land. Zwar führte Bismarck auf Reichsebene das allgemeine Wahlrecht für Männer ein. Eine Parlamentarisierung des Regierungssystems aber folgte nicht – eine schwere Vorbelastung der Weimarer Republik.