Bahnlärm: Alle drei Minuten rauscht ein Zug an den Rhein

Bern/Rheinland-Pfalz – Am Wochenende wollen Bürgerinitiativen in Mainz und Bonn für richtig Krach sorgen, weil sie höllischer Bahnlärm am Mittelrhein krank macht. Und es soll noch schlimmer werden. Das neue Schreckensszenario ist für 2016 programmiert: Mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels kann alle drei Minuten ein Zug heranrauschen, stellt der Chef der Bundesvereinigung gegen Schienenlärm, Willi Pusch, fest.

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Mit dem Netzausbau rund um die Nordseehäfen Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam wächst noch weiterer Druck auf die hochbelastete Rheinstrecke, wo Güterzüge auch nachts mit dem Getöse eines Presslufthammers den Schlaf rauben. Das weiß auch die Bundesregierung, nicht erst die amtierende. Das seit Jahren alarmierte Rheinland-Pfalz drängt sie mit den Hessen, endlich zu handeln. Jetzt macht auch die Schweiz Druck: Wegen der ausländischen Krachmacher kann sie ihre Lärmziele nicht erreichen.

Deshalb ziehen die Eidgenossen die Notbremse: Von 2020 an dürfen nur noch leise Züge die Grenze passieren. Gleichzeitig wächst ihr spektakulärer Gotthard- Basistunnel immer schneller. Durch ihn sollen steigungsfrei noch mehr Güter von den Nordseehäfen übers Mittelrheintal und durch die Alpen nach Mailand und Genua verfrachtet werden.

Vor diesem Hintergrund informierte sich Infrastrukturminister Roger Lewentz (SPD) mit Experten aller Landtagsfraktionen und Willi Pusch in Bern. Die Reise endet mit zwiespältigen Gefühlen – mit Respekt vor der technischen Meisterleistung am Gotthard, Lehrstunden in Sachen Lärmdämmung und der Gewissheit: Das Mittelrheintal ist für das rollende Schienen-Warenlager der Zukunft absolut zu eng und heute schon zu laut. Dieses Anti-Lärm-Programm der Schweiz wünschen sich die rheinlandpfälzischen Politiker und Bürgerinitiativen herbei: ein lärmabhängiges Trassenpreissystem mit dem deutlichen Anreiz, die alten und lauten Graugusssohlen gegen das leisere Bremssystem mit K-Sohlen auszutauschen.

Laute Züge werden teurer. Der Erfolg heute: Mehr als 8000 Güterwagen sind umgerüstet – alle der SBB und 50 Prozent der privaten Halter. Parallel wurden Lärmschutzwände und Schallschutzfenster installiert. Bilanz: Bis 2015 werden 62 Prozent der Bürger vor Bahnlärm besser geschützt. Der Lärm ist um etwa 10 Dezibel geringer, „was gefühlt einer Halbierung gleichkommt“, wie der Vorsitzende der Bundesvereinigung gegen Schienenlärm, Willi Pusch, und Minister Lewentz sagen. Aber das Schweizer Parlament pocht auf einen Schutzgrad von 67 Prozent.

Folge: Laute Züge werden 2020 verboten. Denn dem Direktor im Bundesamt für Verkehr, Peter Füglistaler, und Botschafter Tim Guldimann reißt bei Erfahrungen mit ausländischen Bahnen der Geduldsfaden: „Freiwillig passiert nichts. Ohne behördlichen Druck werden die Güterzüge erst in 30 Jahren vollständig lärmarm sein.“

Was kostet die Bahnen das Schweizer Trassenpreissystem?

Mit dem Lärmbonus für leise Verbundstoffsohlen amortisiert sich der Einbau der K-Sohlen bei 625 Transitfahrten, sprich acht Touren durch die Alpen pro Monat, in sechs Jahren, wie das Bundesamt vorrechnet. Bei der billigeren, aber noch nicht zugelassenen LL-Sohle sollen die Kosten in sechs Jahren bei 16 Fahrten pro Jahr wieder eingefahren sein. Dabei geben die Schweizer die Kosten für die K-Sohle noch doppelt so hoch wie die Bahn AG an.

Was macht Deutschland?

Bundesregierung und Bahn AG setzen seit Jahren auf Zeit: Sie warten auf die billige LL-Sohle. Gleichzeitig bietet das für dieses Jahr geplante Trassenpreissystem zu wenige Anreize, laute Graugusssohlen zu verschrotten: Lewentz, die Grünen-Abgeordnete Jutta Blatzheim-Roegler, der CDU-Parlamentarier Josef Dötsch wie auch die schwarz-gelbe hessische Landesregierung kritisieren es als zahnlosen Tiger oder Kotau vor der Bahn. „Wenn laute Güterwaggons eingesetzt werden, muss dies teurer als bisher werden“, lautet die Ansage an Bundesminister Peter Ramsauer (CSU) beiderseits des Rheins. Das bisherige Preissystem greife nicht.

Wie lässt sich das Mittelrheintal entlasten?

Mit den Flüsterbremsen ließe sich der Lärm wie in der Schweiz um 10 Dezibel senken. Ramsauer und Bahn gehen jetzt fest davon aus, dass die LL-Sohle „noch in diesem Sommer“ europaweit zugelassen wird. Verzögert sich dies aber weiter, muss ein K-Sohlen-Programm anlaufen, fordern die Rheinland-Pfälzer. Pusch pocht zudem auf weitere Schutzwände und Schienenschallabsorber, die Brücken am Rhein „entdröhnen“.

Gibt es Ausweichstrecken, weil eine Alternativstrecke für den Mittelrhein erst nach Jahrzehnten fertig wäre, wenn sie denn in den Bundesverkehrswegeplan 2015 aufgenommen wird?

Rheinland-Pfalz drängt darauf, die bisher einspurige Trasse Trier–Köln sowie die Strecke Rhein–Ruhr–Sieg „zu ertüchtigen“ – also auszubauen und auch komplett zu elektrifizieren oder vorhandene Tunnels im Querschnitt zu vergrößern. Bahn-Chef Rüdiger Grube hält dies, so Lewentz, in absehbarer Zeit für möglich, um ständig wachsende Transportmengen umzuleiten. Nur: Der Bund muss die notwendigen Millionen dafür bereitstellen.

Rheinland-Pfalz meldet die Strecken für den Bundesverkehrswegeplan an. Aber diese beiden Strecken könnten auch erst in Jahren die ins Rheintal drängenden Zusatzkapazitäten aufnehmen und allein noch nicht den Bahnlärm auf der Nord-Süd- Trasse zwischen Rotterdam und Genua unter krank machende Schmerzgrenzen senken. In der Schweiz haben Volksentscheide die Regierung zum Handeln gezwungen, in Deutschland könnten es auch wachsende Proteste sein.

Von unserer Redakteurin Ursula Samary