Auf Mindestlohn-Streife: Zollbeamte bei neuer Aufgabe begleitet

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Symbolbild. Foto: dpa

Für die einen ist es ein knallharter Preistreiber und Jobkiller, für andere eine lang erkämpfte Errungenschaft: das seit 1. Januar geltende Mindestlohngesetz, das sich nach Meinung von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) noch „zurechtruckeln“ muss.

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Von unserer Redakteurin Ursula Samary

Die Große Koalition hat sich darauf verständigt, dass dieser politische Aufreger bis Ostern noch einmal überprüft wird. Aber der Zoll – für die Kontrolle von Schwarzarbeit seit Jahren zuständig – macht bereits erste Kontrollgänge. Dabei konnten wir Beamte im Raum Koblenz begleiten und ganz unterschiedliche Reaktionen hören – in Filialen, die ganz ohne konkreten Verdacht überraschend amtlichen Besuch erhalten.

„Dürfen Sie das?“ Die Verkäuferin an einer Backtheke ist skeptisch, als sich der Zollbeamte freundlich vorstellt, nach Ausweis, Arbeitszeiten und Lohn fragt. Zolloberinspekteur Marco Keßler von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist mit zwei Kollegen vom Hauptzollamt Koblenz auf Mindestlohn-Streife und will daher auch wissen, ob diese Arbeitnehmerin ordentlich bezahlt wird.

Dies müsse in ihrem Sinne sein, meint der Beamte. Aber mit der Dame, die appetitliche Obstschnittchen verkauft, ist an diesem Tag nicht gut Kirschen essen: Sie verweigert dem Zoll nicht alle Angaben, aber die zu ihrem Lohn. Jetzt werden Zollbeamte ihren Chef am Hauptfirmensitz befragen. Dabei dürften sie sich nicht nur die eine Personalakte anschauen, obwohl die Firma durchaus als seriös gilt. Die Kollegin, die gerade noch den Preis für ein Brot kassiert hat, reagiert gelassener und auskunftsfreudiger: Die Arbeitszeit wird ohnehin von der Kasse elektronisch registriert. Alles scheint in Ordnung zu sein.

In grüner Montur unterwegs

Auch im Bekleidungsgeschäft nehmen die freundlichen jungen Frauen die Kontrolle locker. Sie organisieren schnell und lautlos, dass die einen ihre Kunden weiterbetreuen und andere den Zollbeamten die notwendigen Auskünfte geben. Sie haben – anders als viele Kritiker – auch kein Problem damit, dass die Beamten in ihrer grünen Dienstmontur erscheinen, zu der auch Waffe und Stiefel gehören. „Das wirkt gleich offiziell“, meint eine Angestellte. Nur eine Kundin fragt erschrocken, was „denn los ist“. Die meisten Besucher in einem Einkaufszentrum nehmen kaum Notiz von drei Beamten, deren Auftritt anderswo empört als zu martialisch kritisiert wird. Trägt er Kampfstiefel? Der Beamte überlegt. „Die Stiefel gehören zur Dienstkleidung“, sagt der Mann, der auch zwischen Kleiderständern und Theken staatliche Präsenz zeigen soll.

Im Friseursalon nebenan schaut eine Kundin nicht einmal auf, als die drei Beamten in ihrer Montur plötzlich vor den Spiegeln stehen. Sie redet weiter unaufhörlich auf die Angestellte ein, die ihr die Haare färbt. Alle Handwerkerinnen haben hier einen normalen Arbeitsvertrag, sind 40 Stunden im Dienst. Dies zeigt auch ein einfacher Plan „schon seit Jahren. Wir müssen ja wissen, wie viele Stunden jede von uns arbeitet“, wird erklärt.

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„Die Dokumentation ist wirklich nicht kompliziert“, meint Thomas Molitor, der Sprecher des Hauptzollamts: Im Salon wird auf einem Papierblatt handschriftlich notiert, wer wann wie lange täglich gearbeitet hat. Geht eine Kollegin früher als geplant oder bleibt eine halbe Stunde länger, wird der Dienstplan mit einem Rotstift korrigiert. Das war es. „Und eine solche Liste genügt uns“, sagt Keßler dazu.

Im Salon stutzt ein Beamter nur, weil eine junge Frau trotz Vollzeit nach ihren Angaben im Monat keine 1360 Euro brutto verdient, wie es bei 160 Stunden à 8,50 Euro der Fall sein müsste. Da hilft der Blick auf die Liste, auf der sich ein Kollege die in Übergangszeiten je nach Branche geltenden Mindestlöhne notiert hat: Im Friseurhandwerk wird nach einem Tarifvertrag noch bis 1. August 2015 eben nicht der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro gezahlt. Noch beträgt er nach geltendem Tarifvertrag nur 8 Euro – in der Land- und Forstwirtschaft gibt es pro Stunde mindestens 7,40 Euro, bei den Gerüstbauern dagegen 10,25 Euro und bei Dachdeckern 11,85 Euro.

Die auf Bogen erfassten Daten gleichen die Zollbeamten später am Computer mit denen der Rentenversicherung ab. Dabei kontrollieren sie, ob die Arbeitnehmer angemeldet sind, eigentlich als krank gelten oder noch Leistungen vom Arbeitsamt erhalten. Dies soll Sozialbetrug verhindern. Ein Abgleich mit Erkenntnissen im Zollnetz zeigt dann auch, ob ein überörtlich tätiges Unternehmen schon einmal dem Zoll in anderen Ländern aufgefallen ist.

Bei der Streife durch Geschäfte und Betriebe sind die drei Beamten an diesem Morgen im Dienstwagen mit der Aufschrift „Zoll stoppt Schwarzarbeit“ und in ihrer grünen Dienstkleidung unterwegs. Auf Baustellen erscheinen sie in größeren Trupps, im Gastgewerbe nur in Zivil, „um Gäste nicht zu verschrecken, aber auch um zu verhindern, dass Küchenpersonal viel schneller vom Herd gelaufen ist, als wir an der Tür sind“.

Von den vielen Beschwerden über die Dokumentationspflicht im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe hören auch sie erstaunt, wie sie sagen. Allerdings gehört es im älteren Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung bereits zu den „sensiblen Branchen“ – wie beispielsweise auch das Bau-, Reinigungs- oder Transportgewerbe. Hier müssen Beschäftigte sofort zur Sozialversicherung gemeldet werden. „Nur die Arbeitszeiten kontrollierte bisher keiner“, sagt eine Gastronomin. Jetzt grassieren aber Ärger und Angst, dass Zollbeamte die in „sensiblen Branchen“ jetzt geforderten Stundenlisten sehen wollen – vor allem von Geringbeschäftigten (bis 450 Euro), die bei Hochbetrieb als Aushilfen zupacken. Aber bei den Stichproben der Zollbeamten wird auch deutlich: Geben Beschäftigte keine Hinweise auf Verstöße, schöpft der Kontrolleur kaum einen Anfangsverdacht.

Zoll wird personell verstärkt

Für die Mindestlohnkontrollen will der Bund den Zoll bis 2019 um 1600 Kräfte verstärken, jährlich 320 Nachwuchskräfte ausbilden. Im Hauptzollamt Koblenz sind derzeit an drei Standorten (Koblenz, Mainz und Trier) 150 Beamte für die Finanzkontrolle zuständig. Den Bürgern sind sie bisher zumeist nur bei Razzien gegen Schwarzarbeit auf Großbaustellen oder im Transportgewerbe aufgefallen.

Während Arbeitgebervertreter wie der Dehoga-Landesvorsitzende Gereon Haumann gegen Stundenlisten und „den Generalverdacht von Bundesarbeitsministerin Nahles“ Sturm laufen, sind für Sozialwissenschaftler Stefan Sell deutliche Kontrollen durchaus geboten – im Sinne der Beschäftigten wie ihrer Chefs, „damit die ehrlichen Unternehmer nicht die von schwarzen Schafen angeschmierten Dummen sind“. Der Remagener Professor rät Angestellten auch, sich ihre Arbeitsstunden zu notieren, um sie notfalls einklagen zu können. Nach seinen Erkenntnissen erhält so manches Zimmermädchen in Deutschland immer noch 3 bis 4 Euro pro Stunde statt den geltenden Mindestlohn der Gebäudereinigung, der bei mindestens 9,55 Euro liegt.