Genf/Abuja

Attentäterinnen aus Scham

Ort und Zeit waren bewusst gewählt. An einem Montag warb Präsident Goodluck Jonathan in der Stadt Gombe vor Anhängern im Norden Nigerias um seine Wiederwahl am 14. Februar. Kurz darauf explodierte die Bombe.

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Von Marc Engelhardt

Eine Frau hatte sie in der Umgebung in einem Auto gezündet. Sie starb, und 18 Menschen wurden verletzt. Allem Anschein nach waren die Hintermänner die Islamisten von Boko Haram. Wieder einmal hat die Terrorgruppe ihre Macht demonstriert – und dafür eine Frau benutzt.

Am 10. Januar war es ein junges Mädchen, das in der Millionenstadt Maiduguri 20 Menschen mit in den Tod riss. Auf höchstens zehn Jahre schätzen die Behörden die bislang jüngste Attentäterin, die Boko Haram in ihrem Kampf gegen den nigerianischen Staat eingesetzt hat. Von Monat zu Monat werden es mehr. Ein Dutzend Frauen hat sich seit Juni vergangenen Jahres für den angeblich heiligen Krieg in die Luft gesprengt. Ihr Tod ist Teil einer zweigeteilten Strategie. Während die Männer mit Panzern und Artillerie auf das Schlachtfeld ziehen wie eine reguläre Armee – zuletzt Ende Januar in Maiduguri -, verbreiten die Frauen und Mädchen mit ihren Bomben am Leib an anderen Orten Angst und Schrecken.

Dass eine wachsende Zahl Frauen Selbstmordattentate für Boko Haram verübt, wertet die US-Sicherheitsexpertin Mia Bloom denn auch als Zeichen der Schwäche. Frauen würden vor allem gegen weiche Ziele eingesetzt, wo sie weniger auffielen als Männer, zum Beispiel auf Märkten: „Terrorgruppen, die Frauen engagieren, machen das, weil sie an harte Ziele nicht herankommen – oder schlicht, weil sie nicht genügend Männer zusammenbekommen.“

Frauen, die sich für den Dschihad opfern, motivieren wiederum Männer, sich Terrorgruppen wie Boko Haram anzuschließen – und sei es aus Scham. Ein günstiger Nebeneffekt. Angeblich soll Boko Haram 50 Selbstmordattentäterinnen ausgebildet haben. Das behauptet eine der Bürgerwehren in Maiduguri, die im Dezember eine der Bombenlegerinnen überwältigte. Demnach sollen die Frauen den Auftrag bekommen haben, gemeinsam 100 000 Menschen zu töten. Schwäche sieht anders aus.

Und auch sonst ist Boko Haram so erfolgreich wie nie, kontrolliert in Nordnigeria bereits ein Gebiet von der Größe Belgiens, in dem sie einen Kalifatsstaat errichtet hat. Die Frankfurter Professorin Schröter verweist daher auch auf andere Motive, die bisher Frauen zu Täterinnen machten. „Oft handelte es sich um Frauen in sozialen Konflikten, denen das Selbstmordattentat als ein ehrenvoller Ausweg aus ihrer Schande verkauft wurde.“ Viele Frauen sprengen sich nicht freiwillig in die Luft, sondern werden von Männern gezwungen, sich in lebende Bomben zu verwandeln. Auch Geld spielt eine Rolle: Den vier Kindern ihres ersten Selbstmordattentäters soll Boko Haram fast 25 000 US-Dollar gezahlt haben: Geld für eine Zukunft, die der arme Mann seinen Kindern in Nigeria, wo nur Reiche Chancen haben, niemals hätte bieten können.