„Revolution um die Ecke“ – Rechtsextreme drängen an die Macht in Stoke

„Das ist keine englische Stadt": Der Vize-Vorsitzende der rechtextremen  BNP, Simon Darby (l.), und einer der Mitglieder im Stadtrat für die BNP,  Michael Coleman, beim Wahlkampf in Stoke-on-Trent.
„Das ist keine englische Stadt": Der Vize-Vorsitzende der rechtextremen BNP, Simon Darby (l.), und einer der Mitglieder im Stadtrat für die BNP, Michael Coleman, beim Wahlkampf in Stoke-on-Trent. Foto: Alexei Makartsev

Stoke on Trent. In Stoke-on-Trent fegt der kühle Wind die zarten Blüten von den Apfelbäumen und lässt sie in romantischen Wirbeln durch die Fußgängerzone tanzen. An deren Ende blickt man durch eine Lücke zwischen den Häusern von einem Hügel weit hinaus in die grünen Ebenen der Midlands, in denen längst keine Fabrikschlote mehr rauchen.

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Stoke-on-Trent – In Stoke-on-Trent fegt der kühle Wind die zarten Blüten von den Apfelbäumen und lässt sie in romantischen Wirbeln durch die Fußgängerzone tanzen. An deren Ende blickt man durch eine Lücke zwischen den Häusern von einem Hügel weit hinaus in die grünen Ebenen der Midlands, in denen längst keine Fabrikschlote mehr rauchen.

Wie kaum in einer anderen englischen Stadt steht der rosa Schein in Stoke in Widerspruch zur tristen wirtschaftlichen Realität. Denn auf den Ruinen des industriellen Erbes in der einst für ihre Keramik- und Porzellanprodukte berühmten Stadt mit 240 000 Einwohnern tobt ein erbitterter Kampf zwischen der schwachen Labour-Partei und den Rechtsextremisten, die an die Macht drängen.

Neben Barking in London hat die British National Party (BNP) den Wahlbezirk Stoke Central zum Schauplatz einer politischen Offensive ausgesucht, die ihrem Vize-Vorsitzenden Simon Darby am 6. Mai ein Mandat im Westminster-Parlament einbringen könnte. „Die Revolution ist um die Ecke“, versprechen die Nationalisten den Einwohnern, die sich nach der Rezession von der Zentralregierung im Stich gelassen fühlen. Für Manche in Stoke kann die befreiende „Revolution“ gegen das unfähige Establishment gar nicht früh genug kommen.

Gary Elsby gehörte früher zur  Labour-Partei in Stoke, aus Protest gegen einen von London aufgezwungenen  Kandidaten für Labour zog er als Unabhängiger in den Wahlkampf.
Gary Elsby gehörte früher zur Labour-Partei in Stoke, aus Protest gegen einen von London aufgezwungenen Kandidaten für Labour zog er als Unabhängiger in den Wahlkampf.
Foto: Alexei Makartsev

Wir treffen uns im Stadtnorden, wo die Straßen die Namen von Spitfire-Bombern und Tornados tragen. Als der 45 Jahre alte Darby die zweistöckigen braunen Häuser mit den gepflegten Vorgärten erblickt, huscht ein missbilligendes Lächeln über sein Gesicht. „Das ist keine englische Stadt. Die Immigranten haben die Engländer aus Stoke verdrängt“, sagt der Mann, der sich in seinem Blog als „Naturforscher und Angler“ beschreibt. Die Gesellschaft sei „tot“, klagt Darby. Die Importe hätten die Jobs auf der Insel vernichtet, und jetzt würden die Einwanderer aus Pakistan seine Kultur zerstören. Aber die englischen Patrioten würden diese „ethnische Säuberung“ nicht länger dulden, sagt hoffnungsvoll der Politiker, der sich 2009 bei einem Treffen mit Neo-Nazis in Italien mit Hitlergrüßen feiern ließ.

Die BNP hat nach eigenen Angaben eine solide Basis in Stoke mit 100 Aktivisten, die im Wahlkampf helfen würden. „Wir haben die Schlacht der Argumente gewonnen. In zehn Jahren werden wir die Stadt regieren“, sagt Michael Coleman, der die Rechten im Gemeinderat vertritt. Die BNP werde Stoke mit Geld überschwemmen, verspricht Darby. „Wir werden durchsetzen, dass Großbritannien seine Grenzen für Migranten schließt. Wir werden mit Indien verhandeln, dass für die Sikhs in Kaschmir ein eigener Staat gegründet wird. Und dann werden wir alle Fremden hier bitten, nach Hause zu gehen“.

“Blödsinn, nur leere Luft”, ärgert sich Tony Walley über die BNP-Propaganda. „Darby ist zwar ein Rassist, aber Stoke ist nicht fremdenfeindlich“. Tony ist Direktor einer Aluminiumhandelsfirma und ein engagierter Blogger, dessen Internetseite „Pits n Pots“ („Gruben und Töpfe“) hohes Ansehen genießt. In seinem Büro in einem Gewerbepark erklärt der Mittvierziger, warum die BNP sich im Aufwind fühlt: Die Rechtsextremen hätten es geschafft, die kommunale Politik zu unterwandern und viele Labour-Anhänger in der Arbeiterschicht abzuwerben, die darüber verbittert seien, dass ihre Jobs nach Asien abwanderten. „Ich glaube jedoch nicht, dass Darby Erfolg haben wird“, sagt Walley. Und wenn doch? „Es wäre eine Katastrophe für uns. Alle Investoren würden vor der Herrschaft der BNP fliehen“.

Tony gibt der Labour-Zentrale in London die Schuld für die angespannte Lage in seiner Stadt. Über die Köpfe der lokalen Aktivisten hinweg habe sie den bekannten TV-Historiker Tristram Hunt als Kandidaten für Stoke Central gegen Darby in den Kampf geschickt. Das habe zu heftigen Protesten und einer Spaltung von Labour in Stoke geführt, von der die Rechten profitieren würden. „Unsere Politik ist korrumpiert. Die Wähler fühlen sich von den demokratischen Prozessen ausgeschlossen“, klagt Gary Elsby, der nach 30 Jahren bei Labour als unabhängiger Kandidat gegen seine Ex-Partei – und gegen Simon Darby – kämpft. Elsby sagt, dass er von der BNP bedroht worden sei.

Ebenso der vierte Kandidat für den depressiven Wahlbezirk: Alby Walker saß für die BNP im Stadtrat, ehe er 2010 seine Mitgliedschaft bei den Rechtsextremen quittierte, weil er deren Programm „menschenfeindlich“ fand. „Sie haben mich danach mit Drohanrufen verfolgt“, sagt der Mann mit schneeweißem Haar. Der Aussteiger nennt Labour einen „aussterbenden politischen Dinosaurier“ und kritisiert die Partei dafür, dass sie gleichgültig für die Nöte der Armen sei. An einen Triumph der BNP im Machtvakuum von Stoke glaubt Walker dennoch nicht. Die Wähler in der Stadt sind gespalten. „Die Rechten haben gute Chancen, so lange hier Jobmangel herrscht. Unsere Insel ist zu klein, um so viele Einwanderer aufzunehmen“, sagt der arbeitslose Philip Hopkins, der früher in einer Porzellanfabrik gearbeitet hat. „Die BNP kann nicht den Menschen das Recht wegnehmen, dort zu leben, wo sie sich wohl fühlen. Wir in England legen großen Wert auf Fairness, darum werden die Rassisten hier niemals an die Macht kommen“, sagt überzeugt der ehemalige Soldat Greg Masterson.

Simon Darby und sein Parteikollege Michael Coleman hören diese Stimmen nicht. Bei dem Pressetermin in der Straße mit den zweistöckigen braunen Häusern im Norden von Stoke reden beide BNP-Größen viel von einem „politischen Erdbeben“, doch sie haben auffällig wenig Interesse daran, einfache Wähler zu treffen. „Zu gefährlich“ sei dieses „suspekte“ Wohngebiet, erklärt Coleman nach einigem Hin und Her. „Die Leute hier könnten uns angreifen. Und wenn sie Simon die Nase brechen, wie würde das bitte im Fernsehen aussehen?“